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Ein Match ohne Ende: Kassen gegen Ärzte

Von Theodor Tomandl

Wissen

Sozialpartner trafen Nagel auf den Kopf. | Ärzte und Kassen sollten ihre Probleme einvernehmlich lösen. | Notfalls zwingend Schlichter einschalten? | Es besteht kein Zweifel, dass die Sozialpartner mit ihrem Vorschlag, die Finanzierung des Gesundheitswesens in einer Hand zu bündeln, den Nagel auf den Kopf getroffen haben. Die Sozialversicherung kann keinen Einfluss auf die Kostengestaltung in den Krankenanstalten nehmen und die Länder haben keinen Einfluss auf die niedergelassenen Ärzte. Eine kostensparende Abstimmung beider Bereiche ist daher nicht möglich. Die vorgeschlagene Reform müsste gegen den Widerstand der Bundesländer durchgesetzt werden, was leider unrealistisch ist.


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Es lohnt sich daher eher, auf die Vorschläge zur Neugestaltung der ärztlichen Versorgung einzugehen. Sie bedeuten einen einschneidenden Systemwandel. Seit es die gesetzliche Sozialversicherung gibt, wird die Krankenversicherung durch den fundamentalen Interessengegensatz zwischen Krankenkassen und Ärzteschaft geprägt. Die Krankenkassen streben nach einem umfassenden Gesundheitsschutz für ihre Mitglieder, allerdings zu möglichst geringen Kosten. Auch die Ärzte haben ein Interesse an der Gesundheit ihrer Patienten, gleichzeitig aber auch an einem angemessenen Einkommen. In ihrer Bemühung, die Kosten gering zu halten, haben die Krankenkassen drei Strategien verfolgt: Sie versuchten die Zahl an Kassenärzten zu beschränken, sie errichteten eigene Behandlungsstellen (Ambulatorien) und sie setzten die Kassenärzte unter Druck, die Behandlungskosten möglichst niedrig zu halten. Dadurch sahen sich die Ärzte nicht nur in ihrer wirtschaftlichen Existenz, sondern auch in der Ausübung der ärztlichen Kunst bedroht. Die Frühzeit der Krankenversicherung war daher von permanenten Auseinandersetzungen zwischen Ärzten und Krankenkassen geprägt, die an Erbitterung den massivsten Streikbewegungen um nichts nachstanden.

Der Gesetzgeber des ASVG 1955 entschloss sich daher, das bewährte Modell der Sozialpartnerschaft auf die Krankenversicherung auszudehnen und machte sich dabei die Erfahrungen zu Nutze, die man im Arbeitsrecht gewonnen hatte. Ausgangspunkt war die Tatsache, dass der einzelne Arzt in seiner Verhandlungsmacht gegenüber einer Krankenkasse genau so hoffnungslos unterlegen ist, wie ein Arbeiter oder Angestellter gegenüber einem Großunternehmen. Er entschied sich daher für eine Anleihe an der bewährten Einrichtung des Kollektivvertrages. Die Rechte und Pflichten von Kassenärzten und Krankenkassen sollten durch Gesamtverträge zwischen Ärztekammer und Hauptverband der Sozialversicherungsträger geregelt werden. Dabei musste jedoch beachtet werden, dass jede Krankenkasse in ihrem Bereich eine Monopolstellung besitzt. Der Gesetzgeber entschied sich deshalb dafür, dass mit Ärzten ein Kassenvertrag nur auf der Basis eines bestehenden Gesamtvertrages abgeschlossen und aufrechterhalten werden darf. Mit dem Außerkrafttreten eines Gesamtvertrages finden daher sämtliche Kassenarztverträge automatisch ihr Ende. Die Patienten können Ärzte dann nur mehr auf Basis von Privathonoraren aufsuchen. Um diese Last für die Patienten zu vermindern, erhalten sie eine höhere Kostenerstattung als beim Aufsuchen

eines Nicht-Kassenarztes (Wahlarztes) bei bestehendem Gesamtvertrag. Dieses Modell zwingt Ärzteschaft und Krankenkassen, ihre Beziehungen einvernehmlich auszugestalten, ohne dass eine Seite die andere unter unerträglichen Druck setzen kann. Das verhindern die Patienten. Da sie im vertragslosen Zustand die ärztlichen Leistungen vorfinanzieren mussten, üben sie auf beide Streitteile Druck aus, sich zu einigen. Sie tun dies erfahrungsgemäß durch die Einschränkung von Arztbesuchen und durch die Unterstützung der Medien. Tatsächlich funktioniert das Modell bis heute im Großen und Ganzen, vertragslose Zustände sind selten und meist nur von kurzer Dauer.

Neue Spielregeln?

Belastet wurde das Modell jedoch dann, wenn sich die Politik einschaltete und bestimmte Ziele durchsetzen wollte. Sie konnte den Krankenkassen zwar vorschreiben, welche Ziele sie in den Verhandlungen zu verfolgen hat, der Erfolg musste aber von der Zustimmung der Ärzteschaft abhängen. Und die Ärzteschaft hat sich nicht so selten geweigert, mitzuspielen. Nun wollen die Sozialpartner erreichen, dass die Krankenkasse im Falle eines vertragslosen Zustandes Einzelverträge mit Ärzten ihrer Wahl nach freiem Ermessen abschließen können. Man erwartet wohl nicht grundlos, dafür genügend Ärzte zu finden und dadurch die Ärztekammern unter Druck setzen zu können. Wann immer die Krankenkasse die Spielregeln ändern will oder dazu den Auftrag von der Politik erhält, könnte sie dann erfolgreich mit der Aufkündigung der Gesamtverträge und dem Abschluss von Einzelverträgen drohen.

Diese für Uneingeweihte wenig bedeutsam erscheinende Möglichkeit verändert daher das bestehende Modell grundlegend, weil sie der einen Seite ein klares Übergewicht gegenüber der anderen verleiht. Es ist daher verständlich, dass die Vertreter der niedergelassenen Ärzte dagegen Sturm laufen. Ebenso verständlich ist freilich das Anliegen der Gesundheitspolitik, bestimmte für wichtig gehaltene Ziele erreichen zu können. Dafür stehen ihr aber geeignetere Wege zur Verfügung. Der Gesetzgeber könnte, wie er dies im Arbeitsrecht getan hat, die Regelungsbefugnis der Gesamtvertragsparteien beschränken und wichtige Fragen selbst zwingend regeln. In diesem Fall müsste die Politik aber die Karten auf den Tisch legen und ihre konkreten Absichten der Öffentlichkeit unterbreiten. Davor scheut sie bisher zurück, weil sie den Widerstand der Ärzteschaft fürchtet. Der Ausweg, den ihr der Sozialpartnervorschlag bietet, könnte für sie daher sehr verlockend sein, weil er im Dunkel lässt, welche konkreten Ziele auf diese Weise in Zukunft erreicht werden sollen.

Meines Erachtens wäre dies aber ein Pyrrhussieg. An dem Grundsatz, dass Ärzte und Krankenkassen ihre Probleme einvernehmlich zu regeln haben, sollte nicht gerüttelt werden. Wenn sich jedoch eine Seite konsequent weigert, auf Wünsche der anderen Seite einzugehen, dann müsste sich entweder der Gesetzgeber einschalten oder es müsste beiden Seiten die Möglichkeiten gegeben werden, eine Problemlösung herbeizuführen. Die zwingende Einschaltung von Schlichtern wäre eine solche Möglichkeit, da die Vorschläge der Schlichter von neutraler Seite kämen und öffentlichen Druck erzeugen würden.

Der Autor ist emeritierter Universitätsprofessor für Arbeits- und Sozialrecht an der Universität Wien. Wissen: Krankenkassen

analyse@wienerzeitung.at