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Ein Meilenstein auf Bosniens weitem Weg in die Normalisierung

Von Nikolaus Schwärzler

Politik

Vor wenigen Wochen diskutierten in Sarajewo Mitglieder der Venedig-Kommission als Autoren, Mitglieder des Parlaments der Bosnischen Föderation und Experten den Entwurf eines Verfassungsgesetzes, | mit welchem Ende der diesbezüglichen Übergangszeit mit Ende des Jahres 2000 die Ombudsman-Institution nicht mehr auf dem Vertrag von Washington beruhen, sondern innerstaatliches Verfassungsrecht zur | Grundlage haben soll.


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Kommt man nach Sarajewo, so ist nicht zu bestreiten, dass einiges restauriert wurde, von dem der Gesprächspartner allerdings sagt, "das waren nicht wir, das alles haben die europäischen und

amerikanischen Donoren (Staaten und Private) bezahlt". Das ist erfreulich, aber der die Situation vor drei Jahren vergleichende Blick des Besuchers macht nur allzu leidvoll bewusst, dass es noch sehr

viele Jahre brauchen wird, bis die wirklich schmerzenden Wunden verheilt sein werden.

Da ist der verwaiste und zum Teil zerschossene Bahnhof, an dem sich nichts geändert hat. Vor drei Jahren erklärte man, dass keine Züge fahren, weil sich die Ethnien nicht dazu aufraffen konnten, die

unsinnige Forderung aufzugeben, dass an der ethnischen Grenze auch das Zugspersonal der anderen Ethnie weichen und ausgetauscht werden müsse. Und wenn man jetzt weiter fragt, dann erfährt der am

Schicksal des Landes Interessierte, dass es auch keinen Güterverkehr gebe, weil der Transport inzwischen in den Händen derer sei, die das Sagen hätten und keiner der das Geschäft in Händen habenden

Politiker ein Interesse daran zeige, dass die Eisenbahn jemals wieder funktioniere. Vom neuen Reichtum ist auf den Straßen nichts zu sehen, da herrscht noch vorwiegend sichtbare Armut, die

Miserabilität der Infrastruktur, da sind die Gesichter der vom Leid geprüften Menschen in der großen Überzahl.

Eines aber funktioniert und das in einer geradezu unbegreiflich vorbildlichen Weise: die Arbeit der Ombudsman-Institution der Föderation. Dieses Ombudsman-Büro besteht aus 21 Mitarbeitern der je

einer Ethnie angehörenden Ombuds-Personen, der Kroatin Branka Raguz, dem Muslim Esad Muhibic und der Serbin Vera Jovanovic. Diese drei bilden eine · es möge so bleiben · uneinnehmbare Festung des

Ringens um Rechtsstaatlichkeit und um die Durchsetzung der Menschenrechte.

Der Entwurf des neuen Gesetzes schafft eine "klassische", also vom Parlament gewählte nur diesem verantwortliche Volksanwaltschaft.

Die gesetzlichen Regelungen spiegeln vieles wider, was sich in den bisherigen vier Jahren der Arbeit als unverzichtbar oder als besonders neuralgisch erkannt wurde. So sieht das Gesetz vor, dass die

Volksanwälte · obwohl sie sich in die Rechtsprechung nicht einmischen sollen · dazu berechtigt sind, gerichtliche Verfahren zu initiieren, in anhängigen Verfahren zu interventionieren und den

Exekutionsinstanzen Fristen zur Vollstreckung von Urteilen zu setzen. Wird dem nicht entsprochen, so sollen sie diese Fälle im Jahresbericht oder in einem Spezialbericht aufzeigen.

Die Beschwerden sollen auf die drei Volksanwälte nicht nach ethnischen Gesichtspunkten verteilt werden.

Die Neugierde und ein wenig das gesunde Misstrauen gegenüber besonders großen Ombudsman-Institutionen lassen die Frage aufkommen, ob denn Bürger wirklich vom Ombudsman selbst empfangen werden, ob der

Bürger also · dem biblischen römischen Bürger Paulus gleich · "an den Kaiser appellieren" kann, um von diesem selbst gehört zu werden. Je größer die Institution, umso mehr natürlich wird der den

Volksanwalt Aufsuchende durch Mitarbeiter des Volksanwaltes betreut und "mediatisiert". Für die drei Volksanwälte in BiH ist von Verfassung wegen vorgesehen, dass sie im höchstmöglichen Ausmaße den

persönlichen Kontakt zum Beschwerdeführer pflegen sollen, eine sinnvolle Aufforderung an einen Ombudsman, die sich allerdings bisher in keinem anderen Ombudsman-Gesetz finden läßt. In gleicher Weise

auf die besonderen Verhältnisse in Bosnien zugeschnitten ist die Regelung, dass die Arbeit der Ombuds-Institutionen auch durch die Ausrufung des Ausnahmezustandes und auch dadurch nicht unterbrochen

wird, dass das Parlament nicht zusammentritt oder aufgelöst ist. Die bosnischen Volksanwälte genießen Immunität und eine Verurteilung nach Aufhebung derselben kann nur durch den Obersten Gerichtshof

erfolgen.

Was dem Gesetz fehlt, sind allerdings sonstige Beziehungen zu anderen Grenzorganen, wie dem Verfassungsgericht, um Gesetze und Verordnungen auf deren Verfassungs-, bzw Gesetzmäßigkeit überprüfen zu

lassen. Es findet sich auch keine Regelung über die Lösung eines Zuständigkeitsstreites zwischen der Verwaltung und der Volksanwaltschaft.

Angesichts eines an sich ausgefeilten und hervorragenden Gesetzes mit großen Kautelen für eine unabhängige und effektive Arbeit der Volksanwälte wäre vielleicht doch zu überlegen gewesen, ob statt

einer die Unabhängigkeit immer schwächenden Möglichkeit der (Nicht-)Wiederwahl anstatt zweier fünfjähriger Amtsperioden nur eine einzige, aber längere hätte vorgesehen werden sollen. Ein Meilenstein

ist das Gesetz jedenfalls und die Volksanwaltschaft ist in Bosnien etwas vom Wenigen, das hohe Autorität genießt und · wohl zuallererst dank der Persönlichkeiten, die derzeit im Amte sind ·

vorbehaltlos funktioniert.

MMag Dr. Nikolaus Schwärzler war Landesvolksanwalt von Vorarlberg und ist Mitglied des Unabhängigen Bundesasylsenates sowie Präsident des Europäischen Ombudsman-Institutes