Aus Protest gegen Putin werfen Vertreter der Zivilgesellschaft das Handtuch.
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Moskau. Zunächst waren es nur zwei, die nicht mehr wollten, angesichts der offensichtlich gefälschten Parlamentswahl und der Sonntagsreden des russischen Politik-Tandems Medwedew-Putin. Irina Jassina, die sich für die Rechte Behinderter in Russland einsetzt, und die Radiojournalistin Swetlana Sorokina schrieben bereits im Dezember ihre Austrittsgesuche aus dem beim russischen Präsidenten angesiedelten Menschenrechtsrat. Dann gingen vor drei Wochen weitere neun Politologen, Ökonomen und Soziologen. Am Wochenende warf dann gar Ljudmila Alexejewa, die Grande Dame der russischen Menschenrechtsbewegung, das Handtuch. Gestern wandten sich schließlich zwei Mitglieder des Kreml-Gremiums zur Entwicklung der Zivilgesellschaft von der Arbeit ab - weil sie von der Politik des alt-neuen Präsidenten Wladimir Putin genug haben.
Eigentlich ist der Menschenrechtsrat ein eher schwaches Organ. Beraten, mahnen, Vorschläge unterbreiten ist der Job des Gremiums - alles zur Verbesserung der Lage rund um die Rechte und Freiheiten des Bürgers. 40 Mitglieder hat der Rat, jeder Einzelne ist vom Vorsitzenden, einem extra dafür bestellten Präsidentenberater, dazu "eingeladen" und muss eine Absichtserklärung unterschreiben, sich für den Aufbau einer Zivilgesellschaft zu engagieren. Bisher gab es kaum jemanden, der dieser Einladung nicht gefolgt ist. Es sind vor allem Menschenrechtler, die sich mal um die Rechte von Kindern oder die Verschmutzung der Umwelt, mal um die Justiz oder die Verteidigungspolitik kümmern. Immer wieder treffen sie sich mit Ministern, informieren verschiedene Behörden über die Missstände in der Gesellschaft.
Einmal im halben Jahr hört sich auch der Präsident die Ausführungen an. Befolgt hat er die Ratschläge so gut wie nie. "Aber wir konnten ihm ins Gesicht sagen, was in unseren Augen alles falsch läuft in diesem Land. Das war eine Art moralischer Genugtuung", sagt die 84-jährige Ljudmila Alexejewa im Gespräch. Vor allem die neuen Regeln, wie das Gremium zusammengesetzt werden soll, stören sie. Jede Organisation hat künftig die Möglichkeit, ihren Vertreter einer Wahl im Internet zu stellen. "Auch Geheimdienstveteranen hätten so die Chance, in den Rat zu kommen", schimpft Alexejewa einen Tag nach ihrem Rückzug. Sollten noch drei Menschenrechtler gehen, so erklärte der Ratsvorsitzende Michail Fedotow, werde auch er von seinem Posten zurücktreten. Der Rat wäre arbeitsunfähig, die Zivilgesellschaft aber nicht gebrochen. All die Ausgetretenen wollen weitermachen mit ihrer Arbeit - nun eben ohne den Zusatz "beim russischen Präsidenten".