Die Partei des Unternehmers Babis profitiert vom Polit-Frust im Land und dürfte besonders den Sozialdemokraten Stimmen wegnehmen.
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Prag/Jihlava. Jetzt oder nie. Die tschechischen Piraten sehen ihre Zeit gekommen, endlich ins Parlament einzuziehen, nachdem sie es schon in einige lokale Vertretungen geschafft haben. Getragen von vielen jungen Unterstützern, die für die Partei brennen und ihrer Mission mit Begeisterung nachgehen, sind sie im Wahlkampf äußerst aktiv. Immer wieder begegnet man an Prager U-Bahn-Stationen und auf Märkten ihren Aktivisten, die das "Piratenblatt", die Zeitschrift der Partei, verteilen und Passanten in Gespräche verwickeln.
Eine dieser Wahlhelferinnen ist die Studentin Barbora Stuchla, die gerade an der U-Bahn-Station Haje - wo an diesem Nachmittag niemand sonst außer den Piraten Präsenz zeigt - um Wähler wirbt. Was sie an den Piraten so begeistert? "Sie arbeiten vollkommen transparent, und bei ihnen gibt es keinerlei Korruption", sagt sie. Das hätten die Piraten auf lokaler Ebene schon bewiesen. Auch die Meinungsforschungsinstitute geben den Piraten sehr gute Chancen, dass sie bei der Parlamentswahl, die am Freitag und Samstag dieser Woche stattfindet, die Fünf-Prozent-Hürde überspringen.
Ihr Aufstieg und die Themen ihres Wahlkampfes zeigen zweierlei. Erstens: Korruption und die damit einhergehende Enttäuschung über die etablierten Politiker und Parteien zählen in Tschechien nach wie vor zu den wichtigsten Themen. Zweitens, und das hängt mit der Korruptionsdebatte zusammen: Die tschechische Parteienlandschaft ist in den vergangenen Jahren kräftig ins Rutschen geraten.
Politiker, der sich als "Anti-Politiker" inszeniert
Die Parteien besitzen - mit Ausnahme der Kommunisten - nur eine geringe Stammwählerschaft, was viele politische Bewegungen kommen und gehen ließ und wovon die Piraten nun profitieren könnten. Die einstigen Großparteien, die neoliberale Demokratische Bürgerpartei (ODS) und die Sozialdemokraten (CSSD), die die politische Szene nach der Samtenen Revolution 1989 zwei Jahrzehnte lang dominiert haben, haben nach einer Reihe von Finanz-Skandalen und dubiosen Lobbyinggeschichten bei den Wählern viel an Kredit verloren. Das trifft auf die ODS noch mehr als auf die CSSD zu.
Große Profiteur dieser Entwicklung ist der zweitreichste Mann des Landes: der ursprünglich aus der Slowakei stammende Milliardär Andrej Babis. Der mit seinem Landwirtschaftskonzern Agrofert reich gewordene 63-Jährige ist mit der von ihm gegründeten und ganz auf ihn zugeschnittenen Partei ANO ("ano" bedeutet auf Tschechisch "ja") der große Wahlfavorit, Umfragen sehen ihn bei um die 25 Prozent.
Dem Politiker Babis gelingt es nämlich, sich als Anti-Politiker zu inszenieren. "Geschäftsleute gehen in die Politik, um zu arbeiten, währenddessen Politiker daraus vor allem ein Geschäft machen", ist ein Zitat von Babis. Das ist typisch für die Rhetorik und Inszenierung, derer er sich bedient: Er arbeitet für das Land, während die anderen Politiker nur mit sinnlosen Diskussionen ihre Zeit vergeuden und die eigenen Tachen füllen.
Strategischer Fehlerder Sozaildemokraten
Dabei ist Babis, der den Staat wie ein Unternehmen führen will, selbst in dubiose Affären verstrickt. Die Polizei ermittelt, ob ein Wellness-Ressort, das auf Verwandte überschrieben wurde, zu Unrecht Subventionen von etwa zwei Millionen Euro erhalten hat. Zudem wird nun in der Slowakei erneut von den Gerichten geprüft, ob Babis während des Kommunismus für die Geheimpolizei tätig war.
Bei einer Wahlveranstaltung, im mährischen Jihlava, wo Babis am Hauptplatz und in einer Veranstaltungshalle auftritt, geht er auf diese Anschuldigungen ein. Es sei kein Zufall, dass diese nun so kurz vor den Wahlen auftauchen, verkündet er.
Bei seinen Anhängern kommt das offenbar an. "Jetzt vor der Wahl leeren sie die Schmutzkübel über ihn aus", sagt eine Pensionistin, die einen ANO-Folder in der Hand hält und sichtlich erzürnt ist. "Die anderen Parteien wollen ihn fertig machen, weil sie ihn fürchten", attestiert ihre Freundin, die neben ihr steht.
Babis verspricht seinen Anhängern viel. "Wir werden die Steuern senken", verkündet er bei einer Rede. Und die Pensionen würde ANO auch erhöhen, falls die Partei an die Macht kommt.
Babis war bereits in der vergangenen Regierung Finanzminister, bis er aufgrund von Steuerbetrugsvorwürfen dieses Amt niederlegen musste. Dieses Kabinett hat schon Gehälter von Staatsangestellten oder im Gesundheitswesen erhöht. Und die tschechische Wirtschaft brummt: Die Wachstumszahlen bewegen sich um die vier Prozent, die Arbeitslosigkeit ist die niedrigste in ganz Europa.
"Babis schafft es durch seine PR-Maschinerie, das alles als seinen eigenen Erfolg zu verkaufen, obwohl die Sozialdemokraten den Kanzler gestellt haben", analysiert in seinem Prager Büro Jiri Pehe, der die dortige Niederlassung der New York University leitet. Somit dürften sich die Mehrheitsverhältnisse bei dieser Wahl umdrehen. Die CSSD, die stärkste Partei war, liegt nun mit etwa 13 Prozent klar hinter ANO.
Laut Pehe hat die CSSD einen strategischen Fehler begangen. "Sie konzentriert sich vollkommen auf ältere Leute mit nicht so hohem Ausbildungsgrad", erklärt der Politologe. Junge, urbane Bürger und liberale Linke würden von der CSSD überhaupt nicht vertreten. Damit bewegen sich die Sozialdemokraten aber auf dem selben Spielfeld wie ANO - und verlieren ihre Wähler an Babis. "Wenn die CSSD vorschlägt, die Pensionen zu erhöhen, dann applaudiert Babis dieser Idee. Und schlägt gleich vor, die Pensionen noch mehr zu erhöhen."
Auch sonst haben die anderen Parteien noch kein Rezept gegen Babis gefunden. Der Unternehmer, der auch einige Zeitungen und den größten Radiosender gekauft hat, dominiert auch deshalb den Wahlkampf, weil er ständig, präsent ist. "Immer wieder geht es darum, was er sagt und was die anderen über ihn sagen", berichtet Pehe. Auch über mögliche Koalitionsbildungen mit ANO wird hierbei schon diskutiert. Top 09, die Partei von Ex-Außenminister Karel Schwarzenberg, lehnt diese dezidiert ab. Die anderen Parteien machen zur Bedingung, dass Babis nicht Premier werden darf, solange nicht alle Vorwürfe gegen ihn geklärt sind.
Ablehnung der Flüchtlingsquoten ist Konsens
Ein weiteres großes Thema ist laut Pehe eine Diskussion über "virtuelle Gefahren". Damit meint der ehemalige Berater des früheren Präsidenten Vaclav Havel Pehe das Migrationsthema.
Tschechien war von den großen Flüchtlingsbewegungen der vergangenen Jahre überhaupt nicht betroffen, trotzdem wehrt sich das Land massiv gegen die von der EU beschlossenen Quoten. Einerseits sieht man sich hier von Brüssel überrumpelt, andererseits sehen laut Umfragen etwa zwei Drittel der Tschechen die Integration in westlichen Staaten, in denen es viel mehr Zuwanderer gibt, als gescheitert an. Sie assoziieren damit eher islamistischen Terror und No-Go-Areas als wünschenswerte Vielfalt.
Pehe wirft der Politik vor, dies zu instrumentalisieren. Lediglich 2000 Flüchtlinge hätte Tschechien aufnehmen sollen. "Wenn die Politik sich nicht entschlossen hätte, Ängste als Mobilisierungsinstrument zu nutzen, wäre das kein großes Thema gewesen", meint Pehe. Mittlerweile lehnen alle Parteien bis auf die Grünen, die den Einzug ins Parlament wohl nicht schaffen werden, die Flüchtlingsquoten ab - ein anderer Standpunkt würde bei den Wählern nicht gut ankommen.
Am radikalsten führt diesen Diskurs der Geschäftsmann Tomio Okamura. Der Halbjapaner und Vorsitzende der Partei "Freiheit und direkte Demokratie (SPD) hat bereits offen zum Boykott von Geschäften aufgerufen, die von Moslems betrieben werden. Er behauptet entgegen aller Fakten, dass sich 30.000 illegale Einwanderer im Land aufhielten und dadurch die Sicherheit Tschechiens gefährdet sei. Okamura angelt damit nach Leuten, "die fake news konsumieren und an Verschwörungstheorien glauben", sagt Pehe. Er könnte mit seinen Hetzparolen Erfolg haben: Bis zu zehn Prozent der Stimmen werden Okamura prognostiziert.