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Einige Wochen ist sie nun alt, die neue Daimler-Benz-City am Potsdamer Platz. Doch schon mehr als zwei Millionen Besucher haben sich seit dem "Tag der Einheit" durch die schmalen | Straßenschluchten gedrängelt, der abendlichen Licht-, Laser- und Feuerwerksshow Beifall geklatscht, sich durch die "Potsdamer Platz Arkaden", einer auf drei Ebenen glasüberdachten 40.000 Quadratmeter | großen Einkaufswelt mit 120 Läden und Restaurants, hindurchgeschoben oder sich zu einem Besuch des neuen Musicaltheaters, des Filmkomplexes mit 19 Kinos, dem Varieté oder der neuen Spielbank anlocken | lassen. Es mangelt aber auch nicht an Kritik.
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Was hier im früheren Knotenpunkt der Hauptstadt, der Trümmerwüste nach dem Zweiten Weltkrieg und dem späteren Niemandsland an der Mauer zwischen Ost- und Westberlin unweit des
Brandenburger Tores und des neuen Regierungsviertels seit dem ersten Spatenstich vor fünf Jahren aus dem Boden gestampft wurden, nötigt Hochachtung ab. Auf dem 68.000 Quadratmeter großen Areal hat
Daimler-Benz einen multifunktionellen Stadtteil mit einem Ensemble aus 17 verschiedenen Gebäuden und einem anspruchsvollen urbanen Nutzungsmix erstellt. Er umfaßt rund 50.000 Quadratmeter ober- und
unterirdische Fläche, darunter 40.000 Quadratmeter für Handel und Gastronomie, 180.000 Quadratmeter für Büros, 122.000 für Wohnungen und Kultur, 10 Straßen, einen Stadtplatz, 4.000 vorwiegend
unterirdische Parkplätze und eine riesig große Wasserfläche. 2,4 Millionen Tonnen Erdaushub wurden bewältigt, 5,5 Millionen Tonnen Beton verarbeitet, 10.000 Menschen haben hier einen Arbeitsplatz
gefunden.
Unter der Leitung des Genueser Architekten Piano ist ein Ensemble entstanden, das nach gängiger Meinung alle neugebauten Stadtteilzentren der Nachkriegszeit in den Schatten stellt. Kein
Wunder, daß die neue Retortenstadt von den Offiziellen in den höchsten Tönen gelobt wird.
Für Bundespräsident Herzog ist "eine inhumane Lücke geschlossen" worden, für Bürgermeister Diepgen soll "die Geburt dieser neuen Innenstadt. . . . den Ost- und Westteil miteinander verbinden", für
den Center-Manager Kube ist sie "ein Jahrhundertbauwerk", ein "bedeutender Meilenstein auf dem Weg in die Zukunft", für Wirtschaftssenator Pieroth entstand eine "Vorbildfunktion weit über die Grenzen
der Spreemetropole hinaus".
Daimler-Benz Vorstandsmitglied Gentz verweist zurückhaltender darauf, daß erst in der Zukunft entschieden wird, ob hier gute großstädtische Architektur entstand. Auf alle Fälle müsse sich dieses
Projekt "rechnen", also für "Bauherr, Investoren und Aktionäre ausreichende Kapitalverzinsung gewährleistet sein".
Daran wird es mit Sicherheit nicht mangeln. Daimler-Benz hat schon 1989 vor der Wende das 6,8 Hektar große Areal zum umstrittenen politischen Sonderpreis vom Land Berlin für nur 133 Millionen Mark
gekauft. Es ist das Mehrfache wert. Schon jetzt sind alle Büro- und Wohnflächen verkauft oder vermietet, und das obwohl die Wohnungsmieten bei 30 DM pro Quadratmeter und die Büromieten bei 60 DM
liegen. Arkaden-Geschäftsführer Koprian geht davon aus, daß das "wirtschaftliche Umsatzklassenziel · 250 Millionen Mark im Jahr · erreicht wird".
Nicht wenige der ersten Schaulustigen gingen mit nachdenklichen Gesichtern nach Hause. Obwohl die meisten auf ihr Auto verzichtet hatten, wurden sie von dem Verkehrschaos genervt. Viele Gehwege
erwiesen sich als zu eng, die Straßen in der neuen Mitte können laut Experten nur 20 Prozent des zu erwartenden Fahrverkehrs aufnehmen. Angesichts der alles beherrschenden Superbauten fragt sich so
mancher auch besorgt ob es vertretbar ist, daß ein einziger privater Investor sein eigenes Stadtzentrum baut, zumal der Rest des Potsdamer Platzes ebenfalls von zwei weiteren privaten Unternehmen.
Sony und ABB, schon verplant ist. Bürgerbeteiligung und öffentliche Kontrolle blieben weitgehend ohne Wirkung. Die Kulturprojekte "city scope" und "kulturpassiert" veranstalteten ein Tribunal,
Dichterlesungen und eine Dokumentarfilmnacht über die Bebauung des Platzes, bei denen kritische Bürgerinitiativen zu Wort kamen.
Aufhorchen läßt auch Karnidal Sterzinsky, Erzbischof des Bistums Berlin, der bezweifelt, "ob inmitten der kühnen und großformatigen Architektur Menschen leben und sich wohlfühlen können". An den
Bauten zeigte sich "die Kraft des Kapitals und der Postmoderne". Von dort ginge die Botschaft aus: "Schaut auf die wirtschaftliche Macht dieser Konzerne. Amüsiert euch und genießt".
. . . "Beabsichtigt man ernsthaft, dieses Areal als Symbol für die Einheit und Zukunft Berlins zu bezeichnen?" Es frage sich, welchen Platz Familien oder arme Menschen dort hätten.