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Ein Musk für alle Fälle

Von Klaus Stimeder aus Los Angeles

Wirtschaft

Tesla will den Markt für Pickup Trucks aufmischen. Eingedenk der Kultur, die gestern wie heute mit dem vielleicht amerikanischsten aller Autos einhergeht, ein gewagtes Unternehmen.


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Sie jagten ihn durch Salz- und Süßwasser, trieben ihn durch den Großstadtdschungel, über Sümpfe und durch die Wüste, und zwischendurch ließen sie ihn unzählige Male abheben und wieder landen. Aber egal, was sie ihm auch antaten: Das Ding schien einfach unzerstörbar, sechs Jahre lang. Jeder Bursche und jedes Mädchen, der oder die in den Achtzigerjahren auf der Schokoladenseite des Eisernen Vorhangs aufwuchs, kannte das Gefährt, das ebenso unverwüstlich zu sein schien wie sein Besitzer. Letzterer war fiktiv und hörte auf den Namen Colt Seavers. Ersteres war echt und trug den eher sperrigen Namen GMC K-2500 Sierra Grande Wideside.

 

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Als im Jahr 1981 im US-Fernsehen die erste Folge von "The Fall Guy" mit Lee Majors in der Hauptrolle über die Bildschirme flackerte, hatten seine Produzenten noch keine Ahnung, dass sich die Serie binnen kurzer Zeit zu einem der größten Hollywood-Exportschlager des Jahrzehnts auswachsen würde. Sogar Spielzeughersteller Lego ließ seinerzeit ein "Fall Guy"-Set produzieren, das aus zwei Figuren und dem Auto bestand. Auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz gehörte "Ein Colt für alle Fälle", wie der mehr oder weniger sanft eingedeutschte Titel der Show lautete, seinerzeit zum Standardrepertoire des Frühabendprogramms.

Ikone der amerikanischen Coolness

Neben dem von Majors gespielten Protagonisten, der in seinem Hauptberuf als Stuntman nicht genug Geld verdient und sich deshalb regelmäßig als Kopfgeldjäger verdingen muss, seiner Kollegin Jody Banks (Heather Thomas) und seinem Cousin und Zögling Howie Munson (Douglas Barr) spielte über die gesamte Laufzeit der Serie hinweg vor allem ein Accessoire eine entscheidende Rolle: der unverkennbare, braun-ockerfarbene GMC Pickup Truck, der dem Trio über ein halbes Jahrzehnt lang - die letzte Klappe fiel im Mai 1986 - scheinbar treue Dienste leistete. Die Tatsache, dass die "Fall Guy"-Macher in Wirklichkeit mindestens ein Auto pro Drehwoche zertrümmerten, bis sie vom Hersteller eigens für ihre speziellen Zwecke modifizierte Modelle zur Verfügung gestellt bekamen, konnte dem Image des Kleinlasters nichts anhaben. Dank Colt Seaver’s Strahlkraft wurde er in den Achtzigern zur globalen Ikone, zum Inbegriff amerikanischer Coolness und Robustheit; und verstärkte eine massive Trendwende unter den Konsumenten, die damals bereits im Gang war und deren Auswirkungen heute quasi als selbstverständlich angesehen werden.

Das Augenscheinlichste: dass von jenen Leuten, die heutzutage weltweit hinter dem Steuer von Pickup Trucks sitzen, nur mehr eine verschwindende Minderheit nämliche braucht, um Dinge über unwegsames Gelände von A nach B zu transportieren - was ja an und für sich der ureigentliche Sinn und Zweck des Autos ist. Weil das auch der Mann weiß, dem das Image eines der innovativsten Köpfe des 21. Jahrhunderts anhängt und der es sich unter anderem zur Aufgabe gemacht hat, Elektroautos in den USA zum neuen Standard zu machen, war es so gesehen nur eine Frage der Zeit, bis seine Firma ins Geschäft mit den Brummern einsteigen würde. Am Donnerstagabend war es soweit.

Elon Musk, Gründer und Chef des Elektroauto-Herstellers Tesla (und von SpaceX und der Boring Company und OpenAI) präsentierte in Los Angeles seine ureigene Interpretation des vielleicht amerikanischsten aller rollenden Gefährten. Der unzweideutig "Cybertruck" getaufte Pickup Truck aus dem Hause Tesla schaut so aus wie er heißt: ein Kleinlaster aus der Zukunft, die längst Gegenwart ist. Insofern war es auch kein billiger Gag, dass Musk im Rahmen der Vorstellung seinen Chefdesigner Franz von Holzhausen mit einem Vorschlaghammer auf das gute Stück eindreschen ließ.

Wer sich heute in den USA einen Pickup Truck kauft, und das tun dort satte drei Millionen Menschen im Jahr, der kauft sich damit das Image von Härte und Robustheit, und das will erst mal bewiesen werden. Die Seitenfenster des Cybertruck (Neusprech auch: Cybrtrk) überlebten zwar von Holzhausens Attacke nur leidlich, laut Musk soll seine Karosserie aber gar Pistolenkugeln im Format von neun Millimetern aushalten. Am vielleicht überraschendsten war aber trotzdem die Info, wie viel die billigste Version des Tesla-Kleinlasters kosten wird: unter 40.000 US-Dollar. Eine angesichts seiner fortgeschrittenen Technik im Vergleich zur Konkurrenz geradezu unverschämt preiswerte Variante.

Bisher unangefochten an der Spitze: F-Serie von Ford

Dementsprechend machte der 48-jährige Entrepreneur mit den drei Pässen (USA, Kanada, und Geburtsland Südafrika), der seine erste Milliarde einst als Mitbegründer der Zahlungs-Applikation PayPal machte, gleich klar, dass er nicht herumzuspaßen gedenke. Ab 2021, wenn die Serienproduktion des Cybertruck beginnen soll, plant Musk umgehend den einsamen Führer im Pickup-Truck-Segment anzugreifen: Ford, der mit seiner F-Serie den Markt seit rund 40 Jahren geradezu nach Belieben dominiert (einzig der Chevrolet Silverado kann heute noch einigermaßen mithalten.) Ob und inwieweit das gelingen wird, steht freilich in den Sternen. Angesichts des aalglatten, futuristischen Designs des Cybertruck sind nicht nur deshalb Zweifel angebracht, weil er rein gefühlsmäßig wie nach Meinung zahlreicher Experten mehr an einen Hummer erinnert als einen klassischen Pickup. Das macht das ganze zu nicht weniger als zur Kulturfrage.

Seit sich Henry Ford nach dem Ersten Weltkrieg die Pläne eines neuen Typs von Transportgefährt von der Armee abschaute und in sein Model-T-System integrierte, ist kaum ein anderes Auto derart intim mit der amerikanischen Geschichte verwoben wie der Pickup Truck. (Der Ordnung halber: Manche Historiker behaupten, dass Chevrolet mit seinem Model 490 schon früher, konkret bereits 1918, mit seiner Erfindung für den zivilen Gebrauch dran war.) Für die automotive Erschließung des riesigen Landes, das vergleichsweise spät mit dem Bau des Interstate Highway System begann - erst 1956, unter Präsident Dwight Eisenhower - war die Idee des Kleinlasters wie geschaffen. Um ein Gefühl dafür zu kriegen, kommt einem in diesem Zusammenhang eine andere, zur Zeit ihrer Erstausstrahlung ebenfalls extrem populäre Fernsehserie in den Sinn. Eine, die auch wenn sie in einer anderen Epoche spielt, sinnigerweise im selben Jahr zu Ende ging, in dem Colt Seavers das erste Mal mit seinem GMC durch die Luft flog. In "The Waltons", einem Familienepos, das zur Zeit der Großen Depression in den Dreißigerjahren spielt, braust Papa John Walton mit seinem Ford Model AA Pickup von 1929 durch die Hügellandschaft von West Virginia.

In den ersten Dekaden nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Modelle technisch wie im Alltagsgebrauch immer besser (weniger Benzinverbrauch, mehr Ladefläche) und bis weit in die Sechziger hinein konnte und mochte kein US-Amerikaner, der auf einer Farm oder am Bau arbeitete, auf seinen Pickup verzichten. Auch wenn sie sich im Lauf der folgenden Jahrzehnte zunehmend auf ausländische Marken verließen - spätestens in den Achtzigern hatten Datsun, Mitsubishi, Mazda und Isuzu, aber vor allem Toyota den Rückstand aufgeholt und ihre eigenen, in der Regel kompakteren und verlässlicheren Trucks auf den Markt geworfen - blieben sie dem Grundkonzept des Autos treu. Mit dem schon damals langsam aber sicher einsetzenden Strukturwandel änderte sich das, aber im Endeffekt nicht wirklich.

Ist der Elektro-Pickup männlich genug?

Obwohl es für immer weniger Leute Sinn machte, sich aus praktischen Gründen einen Kleinlaster zuzulegen, hörten sie nicht damit auf, sie en masse zu kaufen. Im Gegenteil. Die Gründe dafür sind relativ leicht erklärt und werfen nebenbei ein bezeichnendes Licht auf die Entwicklung, die die USA in den vergangenen vierzig Jahren genommen haben. Gilt heute in jenen Bundesstaaten, die an den Küsten liegen, ein Tesla Roadster, ein Mercedes- oder ein BMW-Hybrid als Statussymbol, zeigt sich das Bild im Mittleren Westen und im Süden des Landes gänzlich anders. Wer dort etwas herzeigen will, legt etwa für einen Chevy Silverado mit SUV-Komfort schon mal gut und gern 100.000 Dollar hin.

Laut einer jüngst veröffentlichten Studie der auf den Automarkt spezialisierten Consultingfirma Strategic Vision spielt das Image, das ein Pickup Truck - egal welchen Typs - bis heute verkörpert, in den USA (wie vermutlich im Rest der Welt) eine enorme Rolle bei der Kaufentscheidung. Nämliches ist freilich extrem männlich geprägt. Knapp 90 Prozent der Käufer der Kleinlaster sind Männer. Mit anderen Worten: Vielleicht gerade weil immer weniger von ihnen im Wald, am Feld oder am Bau arbeiten, scheint in Arizona, Missouri, Indiana oder South Carolina das Bedürfnis nach einer symbolischen Stärkung des männlichen Egos in Form eines möglichst fetten Pickup Trucks heute stärker ausgeprägt als je zuvor in der US-Geschichte. Was auch insofern ins Bild passt, als sich in Bundesstaaten wie diesen oft die größten Fans des erwiesenermaßen mit Abstand unsichersten Mannes finden, der jemals das Amt des US-Präsidenten bekleidet hat.

Cybertruck wird sich am Land schwer durchsetzen

Insofern ist es kaum vorstellbar, dass Elon Musk und Co. mit ihrem Cybertruck gerade in diesem Markt schon bald einen Fuß auf den Boden bekommen. Wahrscheinlicher ist hingegen, dass das Auto dort zum Verkaufshit wird, wo Tesla schon jetzt mit Abstand die meisten seiner Produkte verkauft: an den Küsten, allen voran in Kalifornien und New York, wo es mittlerweile auch eine weitreichende Infrastruktur zum Aufladen der Autos gibt.

Manche Dinge ändern sich halt doch nicht. Obwohl begeisterter Pickup-Fahrer, war selbst Colt Seavers seinerzeit stets froh, wenn er nach seinen Ausflügen ins Landesinnere nach Los Angeles zurückkam.