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Der Theologe und Bioethiker Ulrich Körtner erwartet verschiedene Stammzellen-Therapien.
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"Wiener Zeitung":Sehen Sie in Versuchen mit embryonalen Stammzellen, wie sie jetzt auch erstmals in Europa gemacht werden, ein bioethisches Problem?Ulrich Körtner: Es ist ein bioethisches Problem für die, die schon die Gewinnung von embryonalen Stammzellen für unethisch halten. Das führt uns auf die hinlänglich diskutierte Frage zurück, ob es moralisch verwerflich ist, aus Embryonen, speziell aus überzähligen Embryonen, die bei der In-vitro-Fertilisation anfallen, sogenannte Stammzellen oder Stammzelllinien zu gewinnen. Wer das ablehnt, der wird natürlich jetzt auch diese Forschungen, die in den USA und neuerdings auch in England laufen, für unethisch halten. Die eigentliche Frage ist die Herkunft dieser Stammzellen. Sie können eben nur gewonnen werden, indem zuvor menschliche Embryonen zerstört werden.

Die zweite Frage, die sich nicht von anderen Fragestellungen in der Biomedizin unterscheidet, ist dann, welche Risiken mit dem Therapieversuch für die Probanden verbunden sein können. Da geht es vor allem um die mögliche Gefahr, dass Stammzellen sich zu Tumorzellen entwickeln können.
Wie lautet Ihre persönliche Einstellung zu diesen Fragen?
Grundsätzlich bin ich für einen möglichst strengen Schutz von Embryonen im Reagenzglas, da eben die Möglichkeit besteht, dass sich aus einer befruchteten Eizelle tatsächlich ein neuer Mensch entwickelt, der geboren werden kann. Ich bin auch der Meinung, dass die Befruchtung von Eizellen in der Petrischale wirklich nur zu Fortpflanzungszwecken erfolgen sollte. Nun werden aber bei der Reproduktionsmedizin mehr Embryonen erzeugt, als dann wirklich für die Fortpflanzung genutzt werden können. Wir haben es dann mit überzähligen Embryonen zu tun.
Dann stellt sich die Frage: Was soll mit diesen Embryonen geschehen? Soll man sie einfach zugrunde gehen lassen? Ich gehöre zu denen, die die Gewinnung von embryonalen Stammzellen von solchen Embryonen, die nicht zu Forschungszwecken gezeugt wurden, sondern zu Fortpflanzungszwecken, und dann überzählig geblieben sind, bejahen und die Forschung damit im Hinblick auf neue Therapien für leidende Menschen für zulässig halten.
Was erwarten sie vom bevorstehenden Urteil des Europäischen Gerichtshofes zur Frage der Patentierbarkeit embryonaler Stammzellen?
Da traue ich mich nicht, eine Prognose abzugeben. Nach der europäischen Biopatentrichtlinie dürfen der menschliche Körper und Teile des Körpers nicht patentiert werden, auch Embryonen dürfen das zu kommerziellen Zwecken nicht. Ob das auch für einzelne Folgeprodukte wie Stammzellen gilt, ist in Europa verschieden geregelt, in Großbritannien ist die Patentierung zum Beispiel möglich. Für mich ist das nur noch sekundär eine bioethische, in erster Linie aber eine juristische Frage. Ich kann mit jedem möglichen Urteil leben.
Nun gibt es Wissenschafter, die sagen, es sei mit adulten oder induzierten pluripotenten Stammzellen viel aussichtsreicher, Therapien zu entwickeln. Wenn diese Forscher recht haben, wäre es dann nicht ethisch bedenklich, sich trotzdem auf die Forschung mit embryonalen Stammzellen zu konzentrieren?
Wenn diese Forscher recht haben sollten und dies eindeutig nachgewiesen wäre, dann könnte man argumentieren, ist es ethisch allemal besser, auf human-embryonale Stammzellen zu verzichten. Der springende Punkt scheint mir nur zu sein, dass in der derzeitigen Forschung die Frage, welche Stammzellen für die Therapie einmal die richtigen sein werden, noch gar nicht entschieden ist.
Wir haben derzeit grundsätzlich drei Typen von Stammzellen. Adulte Stammzellen wären das Beste, aber diese lassen sich außerhalb des eigenen Körpers immer nur in geringer Menge produzieren. Und ob jetzt die induzierten pluripotenten Stammzellen, wo man quasi embryonale Stammzellen aus meinem Körpergewebe herstellt, die gleiche Kapazität wie embryonale Stammzellen haben, ist noch nicht ausgemacht. Es ist nach wie vor ein offenes Rennen. Ich gehe davon aus, dass die drei Ansätze noch eine ganze Weile nebeneinander existieren. Ich kann mir auch vorstellen, dass es am Ende verschiedene Therapien mit Stammzellen geben wird, die auf unterschiedlichen Ansätzen basieren.
Wie beurteilen Sie die gesetzliche Lage in Österreich auf diesem Gebiet? Gehört sie geändert?
Österreich sollte die Forschung an human-embryonalen Stammzellen gesetzlich regeln. Der Import embryonaler Stammzellen ist nicht verboten, und damit ist es auch die Forschung nicht, aber sie ist nicht gesetzlich geregelt. Dieser ungeregelte Zustand ist nicht forschungsfördernd, sondern forschungshemmend, weil potenzielle Forscher auf diesem Gebiet kein rechtliches Risiko eingehen wollen. Deshalb findet diese Forschung weitgehend im Ausland statt. Ich persönlich würde diese Forschung fördern und zugleich regulieren wollen und deshalb plädiere ich für ein Stammzellengesetz in Österreich.
Die Österreichische Bioethik-Kommission feierte unlängst ihr zehnjähriges Bestehen. Was hat diese Kommission bisher geleistet? Hatte sie Grund zum Feiern?
Ich glaube, dass die Kommission eine ganze Menge geleistet hat. Als Mitglied dieser Kommission bedaure ich natürlich, dass viele Empfehlungen der Kommission bis heute nicht umgesetzt worden sind. Ein konkretes Beispiel: Schon in der ersten Periode hat die Kommission einstimmig empfohlen, dass Österreich die europäische Menschenrechtskonvention zur Biomedizin unterzeichnen sollte. Faktisch orientiert sich die Gesetzgebung in Europa, vor allem in der EU, sehr stark an dieser Konvention. Österreich hat sie bis heute nicht ratifiziert. Das hat Folgen. Die Konvention ist nur ein Rahmenwerk, und zu bestimmten Themen gibt es dann Zusatzprotokolle, zum Beispiel zum Therapeutischen Klonen oder zur Organentnahme. Wenn wir weiter zu den Ländern gehören, die die Konvention nicht unterzeichnen, haben wir auch keine Möglichkeit an der Weiterentwicklung des europäischen Biomedizin-Rechts mitzuwirken. Deshalb halte ich es für überfällig, dass hier eine Ratifizierung stattfindet.
Gibt es ein Land, das aus Ihrer Sicht für Österreich als Vorbild in der Gesetzgebung dienen könnte?
Was die Vorgangsweise betrifft, ich würde nicht eins zu eins jedes Gesetz übernehmen wollen - bin ich sehr von der Schweiz angetan. Die haben jetzt ein umfangreiches Humanforschungsgesetz auf den Weg gebracht, das alle Bereiche der medizinischen Forschung am Menschen regeln soll. So etwas wünsche ich mir auch für Österreich.
Wissen
Das heutige Urteil des Europäischen Gerichtshofes, ob embryonale Stammzellen (ES-Zellen) und damit verbundene Verfahren patentiert werden können, wird mit Spannung erwartet, da es für einige Forschungen aus ethischen Gründen Grenzen ziehen könnte. Hintergrund ist ein Patentstreit zwischen der Umweltorganisation Greenpeace und dem Bonner Neurobiologen Oliver Brüstle, der 1997 ein Patent für - aus menschlichen ES-Zellen hergestellte - nervliche Vorläuferzellen angemeldet hat.
Der erste klinische Test mit ES-Zellen in Europa wurde im September in Großbritannien bewilligt. In London erhalten zwölf Patienten, die an der unheilbaren Augenkrankheit Morbus Stargardt leiden, ES-Zellen in den Augapfel verpflanzt.
Der Begriff Stammzellen umfasst Körperzellen, die sich in verschiedene Zelltypen oder Gewebe ausdifferenzieren können, manche in jede Art von Gewebe (pluripotente Stammzellen), manche nur in bestimmte Gewebetypen. Je nachdem, ob sie von einem Embryo oder von einem geborenen Menschen stammen unterscheidet man ES-Zellen und adulte Stammzellen. Seit wenigen Jahren kann man aus adulten Stammzellen auch künstlich Stammzellen mit den Eigenschaften von ES-Zellen reprogrammieren, die "induzierten pluripotenten Stammzellen", die ersten Tests gingen aber mit erhöhter Tumorgefahr einher.