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EU setzt auf frischen Wind durch Präsident Medwedew. | Freihandelszone in Planung. | Moskau. Internationale Bekanntheit genießt Chanty-Mansijsk bisher nur bei Erdölspezialisten oder Biathlon-Fans. In der sibirischen Stadt mit ihren 59.000 Einwohnern finden regelmäßig Weltcuprennen statt und 2011 wird sie bereits zum zweiten Mal Austragungsort für die Weltmeisterschaften der Skijäger sein. Nun wollen Moskau und Brüssel in der boomenden Erdölsiedlung am EU-Russland-Gipfel von Donnerstag bis Freitag den Startschuss für die Verhandlung eines neuen Partnerschafts- und Kooperationsabkommen (PAK) geben. Das soll die institutionelle Basis für künftige EU-Russland-Beziehungen bilden. Das alte PAK lief 2007 aus und wurde danach provisorisch verlängert.
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EU ist nun zuVerhandlungen bereit
Die Chancen auf eine schnelle Einigung stehen allerdings schlecht. In den Beziehungen zwischen der EU und Russland herrschten zuletzt sibirische Temperaturen. Nun gibt es aber immerhin zwei Hoffnungsmomente: Nach einem 18-monatigen Streit einigten sich die EU-Staaten unter dem slowenischen Ratsvorsitz im Mai auf ein Verhandlungsmandat mit Russland. Vor allem Warschau hatte sich lange Zeit quer gestellt, aus Protest gegen ein russisches Import-Verbot für polnisches Fleisch.
Auch Litauen erhob Einspruch, weil Russland den Betrieb einer Erdölpipeline in das baltische Land eingestellt hatte. Vilnius verlangte von Brüssel zudem eine aktivere Position gegenüber Moskau im Zusammenhang mit den "gefrorenen" Territorialkonflikten im Südkaukasus. Besonders in der abtrünnigen georgischen Provinz Abchasien tritt Russland und seine "Friedenssoldaten" immer mehr als Schutzmacht auf - sehr zum Ärger der georgischen Regierung.
Das zweite Hoffnungsmoment ist der neue russische Präsident Dmitrij Medwedew sowie das Ende des "Wahlkampfes" in Russland, in dem der Kreml mit antiwestlichen Parolen für Stimmungsmache gesorgt hatte. Wladimir Putins Nachfolger sprach sich wiederholt für mehr Rechtsstaatlichkeit, Freiheit und eine Modernisierung aus. "Wir waren beeindruckt von Medwedews Aussagen", erklärte die EU-Aussenkommissarin Benita Ferrero-Waldner kürzlich bei einem Besuch in Moskau. Der frisch gebackene Kremlherr wird sich nun an diesen seinen Worten messen lassen müssen. Denn, die EU wolle im neuen Partnerschaftsabkommen auch ein starkes Gewicht auf Demokratie und Menschenrechte legen, sagte Ferrero-Waldner.
Findet der Gipfelohne Putin statt?
Da Putin, der nun als Premier weiter regiert, am bevorstehenden Gipfel voraussichtlich fehlen wird, könnte Medwedew in Chanty-Mansijsk sein außenpolitisches Profil schärfen. Dass der 42-jährige Jurist trotz feinen Umgangstons nicht der einfache Partner ist, den sich die EU wünscht hat, hat er jedoch kürzlich bereits bei seinem Deutschlandbesuch angedeutet. In seinen Augen muss sich Russland gar nicht erst in Richtung Europa bewegen, weil es - so Medwedew - mit der EU und Nordamerika zusammen ohnehin einer der "drei Zweige der europäischen Zivilisation" bilde. Der Präsident machte sich zudem für eine wertfreie Außenpolitik stark, in der nur "nackte nationale Interessen" maßgebend sein sollen.
Laut EU-Aussenkommissarin Ferrero-Waldner soll das neue PAK ein umfassendes Abkommen sein, das später im Falle eines russischen WTO-Beitritts auch in die Bildung einer Freihandelszone münden könnte. Vorher gilt es allerdings die bisher ungelösten Probleme in der Energiefrage zu lösen. Die EU-Länder beziehen rund ein Viertel der Erdöl- und Gaslieferungen aus Russland. Umgekehrt bestreitet der russische Staat mit den Geldern aus dem europäischen Energiegeschäft rund 40 Prozent seines Haushaltes. Bisher bemühte sich die EU jedoch vergeblich, Russland im Energiehandel auf allgemeingültige Regeln und Prinzipien zu verpflichten. In einem für ihn so vitalen Bereich tut sich der russische Staat äußerst schwer, auf Marktmechanismen zu vertrauen: Öl und Gas sind Russlands Lebenselixier und Moskaus gewichtigste Verhandlungsargumente in der internationalen Politik.
Mangelnder Fortschritt bei EU-Energiepolitik
Angesichts der inneren Differenzen dürfte es der EU daher kaum gelingen, Russland in diesem Punkt zum Umdenken zu bewegen. Das Projekt einer europäischen Energiepolitik macht kaum Fortschritte. Diese findet zurzeit vor allem bilateral zwischen Italien, Deutschland und Frankreich auf der einen sowie Russland auf der anderen Seite statt. Selbst die unablässigen Drohungen aus Moskau, die Energiepreise weiter anheben zu wollen, lässt die EU-Staaten bisher nicht enger zusammenrücken.
Vielleicht hatte Putin doch nicht ganz Unrecht, als er vor einem Jahr auf dem Gipfeltreffen in Samara sagte: "Wir sind bereit für Verhandlungen, aber die EU soll zuerst ihre inneren Probleme lösen." In diesem Sinne ist das neue Russland für die EU zwar ein unbequemer Partner, aber eventuell gerade auch jene Herausforderung, an der sie wachsen kann.