Zum Hauptinhalt springen

Ein neuer Eiserner Vorhang

Von Rainer Stepan

Gastkommentare
Rainer Stepan war langjähriger Mitarbeiter von Alois Mock, dann Studiendirektor in der Diplomatischen Akademie und schließlich zwei Jahrzehnte lang in der Metropolen-Außenpolitik der Stadt Wien, zuständig für Ausbildungen und Projekte in Städten und Regionen der Länder Zentralasiens, des Südkaukasus und der Ukraine.
© privat

Ein europäisches Eingeständnis des innen- und vor allem außenpolitischen Versagens.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 1 Jahr in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Ab 1948 teilt der Eiserne Vorhang für 40 Jahre Europa - im Jahr 2023 baut Europa einen neuen Eisernen Vorhang, um zur Festung zu werden. Wie lange wird diese halten?

Welch eine Freude für vernunftbegabte Europäer, als 1989 bis 1991 die Mauern von den Europäern östlich dieser Todesgrenze niedergerissen wurden. Nach mehr als 40 Jahren grausamer Diktatur in einem gefängnisartigen Teil Europas, weil von tödlichen Mauern umgeben. Nach Diktion der europäischen Diktatoren von Moskaus Gnaden zur Verhinderung der Eindringung faschistischen Gedankengutes aus Westeuropa; tatsächlich, um den "neuen", den sozialistischen Menschen zu erschaffen.

Tatsache war, dass außer den Gulags, den politischen Gefängnissen und Arbeitslagern - so wie jetzt wieder unter Wladimir Putin - sowie absoluter Unfreiheit, Demütigungen und Schikanen sowie materiellen Entbehrungen die Menschen in diesem großen Gefängnis nichts hatten außer der Sehnsucht nach draußen, nach Freiheit und Selbstbestimmung. Die sozialistischen "Gefängniswärter" und deren Epigonen bedienten sich am Volksvermögen in unverschämtem Ausmaß. Auch damals gab es viele "Westler" wie Jörg Haider, die davor warnten, Westeuropa würde jetzt von diesen armen, sich selbst befreit habenden Nachbarn zu Hundertausenden überrannt. Es kam anders.

Jetzt bauen wir Mauern und stacheldrahtbekrönte Zäune um uns herum, um "unsere Werte" unsere kulturellen Eigenarten, vor allem aber unseren Wohlstand zu schützen. Ohne Zuzug werden wir zwar immer älter, die Nachkommen weniger - die müssen aber unsere wohlerworbenen Pensionsrechte schützen. Dabei wollen wir aber immer weniger arbeiten bei gleichbleibendem Einkommen und auch früher in Pension gehen bei fortschreitendem Altersdurchschnitt, der aber zu einer Vermehrung von Krankheiten und Pflegebedürfnissen führt - wobei es für beides immer weniger Personal gibt und die Kosten steigen.

Europäer urlauben, wo Menschen leiden

Die Mauern um Europa gelten nur den Menschen, die nach Europa kommen wollen, um vor Verfolgung, vor Dauerhitze, Dürre, Hunger, Ausbeutung und anderem durch Europa nicht mehr genügend Lebensgrundlagen haben - sogenannten Wirtschaftsflüchtlinge also. Europa will diese armen Menschen jedoch nur "vor dem Ertrinken im Mittelmeer, vor den bösen, bösen Schleppern bewahren". Daher die Mauern, die ja auch diese armen Menschenleben schützen sollen, während wir Europäer lustig auch in Länder auf Urlaub fahren, die Diktaturen sind, die ihre eigenen Landsleute verfolgen und grausam foltern, siehe die Malediven, den Iran, die Türkei, Uganda, Ägypten; auch Tunesien entwickelt sich wieder in Richtung Diktatur, und in Indien ist die Medienfreiheit nicht mehr existent, der riesige Staat entwickelt sich zu einer nationalistischen, hindu-illiberalen "Demokratie". Aber woher soll der Innenminister das wissen, wenn der Außenminister ihm das nicht sagt?

Und wenn Europäer in diesen Ländern urlauben, dann kann es doch von diesen keine Flüchtlinge geben; sollten sie es doch versuchen, ob alleine oder mit Frauen, Kindern und Großfamilien, so werden diese kurz vor den Festungsmauern Europas, nur um unsere Werte wie Freiheit, Menschenwürde und Demokratie zu schützen, in Gefängnisse gesperrt - warum sollen sie es da besser haben als zu Hause? Sonst könnten sie ja auf dumme Gedanken kommen und versuchen, diese Mauern zu überwinden, um in "gerechten" Schnellverfahren wieder nach Hause geschickt zu werden. Tja, Pech gehabt.

Wir schicken gleich unseren weiter hohen CO2-Ausstoß mit sowie unsere mehrfach subventionierten Lebensmittel, die ja jetzt - ohne Zuzug und bei geringeren eigenen Geburtenraten - noch mehr werden, heizen damit das Klima um den Äquator weiter auf, lassen die dortigen Bauern verarmen, die mit Europas subventionierten Lebensmittelpreisen nicht mithalten können, schicken weiter unseren Elektromüll nach Afrika und fischen die dortigen Meere mit riesigen Fischfabrikschiffen leer. Afrikas Fischer können da nicht mithalten? Tja, Pech gehabt. Sie werden dann oft aus Verzweiflung Piraten.

Wirtschaftsflüchtlinge made by Europe

Die WTO schreibt allen Mitgliedern Chancengleichheit vor - wenn diese aber nichts Vergleichbares haben, nicht können, etwa durch die EPA-Abkommen, dann ist es eben so. Europa produziert damit abertausende Wirtschaftsflüchtlinge, für die jedoch bei uns schon gar kein Platz ist - so sie kommen, werden sie nach einem "fairen" Schnellverfahren wieder zurückgeschickt, weil wir ja nicht alle aufnehmen können. Die anderen, vielleicht doch zu Hause verfolgten Flüchtlinge, werden auf diverse europäische Länder aufgeteilt, so diese es zulassen, um einem "fairen" Asylprozess zugeführt zu werden. Dann aber stöhnen Länder wie Österreich und erklären, unmöglich weitere Flüchtlinge aufnehmen zu können.

Haben wir jemals daran gedacht, dass diese Flüchtlinge - egal, ob wegen politischer, ethnischer, sexueller Orientierung oder wegen Hunger, Dürre, Wassermangel, Armut und Elend - zu einem guten Teil auch von uns mitverursacht, Menschen sind wie du und ich, die Gefühle haben wie du und ich, die eine Existenzberechtigung haben wie du und ich, die wir ihnen in ihren Ländern oft nehmen? Es sind Menschen, die Strapazen, Kosten und Todesgefahren riskieren, um im wahrsten Sinn des Wortes überleben zu können, nicht aus Jux und Tollerei oder weil es zum Beispiel in Österreich Sozialhilfe gibt, sondern zum überwiegenden Teil fliehen sie vor unzumutbaren Zuständen.

Was aber, wenn die Asylprozesse etwa in Österreich weder beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) noch beim Bundesverwaltungsgericht (BVwG) fair und gerecht sind, weil allein die dafür abgestellten Referenten beim BFA fern von Ausbildung, Bildung und vor allem Wissen über die Länder und Religionen sind, aus denen diese Flüchtlinge kommen? Nicht besser ist es bei den meisten jungen BVwG-Richtern, die gerade einmal ihre juristische Ausbildung abgeschlossen haben. Außerdem wollen sie Karriere machen und wissen, dass dies bei zu vielen Asylanerkennungen nicht leicht sein wird. Natürlich gibt es da wie dort positive Ausnahmen.

Das ist zumindest in Österreich, einem vermeintlichen Rechtsstaat, leider die Realität, wie tausende von der Regierung verschwiegene Flüchtlingshelfer übereinstimmend berichten können. Menschenrechte sind in diesem Zusammenhang eine vernachlässigbare Rechtsquelle. Die "große" Regierungspartei will ja wieder mit der FPÖ koalieren. Da braucht es schon Vorleistungen; und der neue SPÖ-Chef weiß noch nicht, wie ihm geschieht und was das auch bezüglich seiner bisherigen politischen Überzeugungen bedeutet. Wir haben, da wir demnächst in einer Festung leben werden, für die Beantwortung unserer Probleme jetzt genügend Zeit.

Die extremen Rechtspopulisten jedoch haben vorerst ihr Ziel Nummer eins erreicht. Jetzt geht es dann darum, die noch Andersdenkenden und die sie vertretenden, kritischen Qualitätsmedien auszuschalten. Die türkise Ministerin Susanne Raab hat mit der Vernichtung der ältesten Tageszeitung der Welt, eben dem Qualitätsmedium "Wiener Zeitung", brav Vorarbeit geleistet. Ein erster Schritt? Putin wird jedenfalls erstmals wieder Grund zur Freude haben, seine unterschiedlichsten "Investitionen" in seine fünfte Kolonne haben sich gelohnt. Und Viktor Orban wird in Österreich die höchste Auszeichnung bekommen, wie dies Herbert Kickl angekündigt hat. Der politische Neonationalismus wird noch stärker blühen.

Ein ehrlich gemeinter Tipp zum Schluss: Lernen Sie Zeitgeschichte und Landkarten lesen (das bedeutet Geopolitik), liebe Damen und Herren Politiker Europas, bevor wir später wieder sagen müssen: "Nie mehr wieder!" Und: "Wehret den Anfängen!"