Der Iran wird - auch nach einem möglichen gewaltsamen - Ende der Proteste ein anderes Land sein als zuvor. Die Mullahs bekommen den Geist nicht mehr in die Flasche zurück.
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Iran: Auf der einen Seite alle Mittel der Unterdrückung und Sammeln der Kräfte für ein hartes Durchgreifen, und auf der anderen Seite unbewaffnete Demonstranten, symbolisiert im Bild von Neda Agha Soltan, im Bild einer hilflos auf der Straße gestorbenen und zur Märtyrerin gemachten Frau. Wer wird gewinnen?
Kurzfristig könnten durchaus die Gewalttäter siegen, die beanspruchen, im Namen Gottes zu herrschen, die Handlanger der Islamischen Revolution, die zu einem autoritären System verkommen ist. Sie haben bereits gezeigt, dass sie entschlossen sind, ausreichend viele ihrer Landsleute zu töten, um gleich die erste Welle des Aufbruchs einzudämmen.
Aber für die nächsten Monate und Jahre würde ich eher auf die Anhänger der zur Märtyrerin gemachten Neda wetten. Sie haben die Schwäche des Regimes bloßgestellt, wie es Gegnern Irans im Ausland - USA, Israel, Saudi Arabien - niemals gelungen wäre. Sie haben damit einen ersten Riss bewirkt. Die Machthaber werden nun versuchen, diese Wunde gewaltsam zu verbinden und als Trostpflaster ein paar Zugeständnisse zu machen. Aber das alles wird diese Verletzung nicht heilen können.
Was wir hier sehen, ist die erste Phase eines langen Prozesses im Iran. US-Präsident Obama reagiert darauf mit einer Verschärfung seiner Rhetorik. Die Mullahs könnten den Krieg der Unterdrückung gegen ihre Bevölkerung nicht gewinnen, sagte Obama: Keine Regierung mit eiserner Faust habe im Jahr 2009 noch die Macht, die Welt davon abzuhalten, Kenntnis von friedlichen Protesten zu erhalten.
Hinter diesen Aussagen Obamas kommt eine Einschätzung zum Vorschein, die ein Regierungsbeamter so ausdrückt: "Die Mullahs bekommen den Geist nicht mehr in die Flasche zurück. Der Iran wird nie wieder so wie früher sein. Man muss nicht wissen, wie die Sache ausgeht, um das mit Sicherheit sagen zu können."
Der geschwächte Iran könnte versuchen, durch Verhandlungen mit den USA Legitimität zu gewinnen, was Obama diplomatisch in eine Klemme bringen würde. Wie ich mehrfach aus US-Regierungskreisen erfahren habe, hat Teheran vor den Wahlen Washington Bereitschaft für Gespräche signalisiert. Obama hat immer versucht, die Tür dafür offen zu halten und versucht es jetzt noch. Aber solange im Iran Demonstranten niedergeknüppelt und erschossen werden, kann aus den Verhandlungen nichts werden. Und während die Macht der Mullahs abbröckelt, könnten auch einige Verbündete abhanden kommen. Die USA machen zum Beispiel Fortschritte, die Beziehungen zu Syrien zu normalisieren.
Im Weißen Haus wird die Lage im Iran als Machtkampf eingeschätzt. Was Religionsführer Khamenei und Präsident Ahmadinejad inszenieren, läuft auf einen Pro-Regime-Putsch hinaus. Und es wird vermutet, dass Ahmadinejad den als besonders heftig bekannten Hardliner Ruhollah Hosseinian zu seinem neuen Informationsminister machen möchte. Diese Hardliner erinnern mich an Saddam Husseins Handlanger im Irak.
Wie wird es also im Iran weitergehen? Jack Goldstone, Professor an der George Mason Universität und auf Revolutionen spezialisiert, beschreibt einen dreistufigen Prozess, der zu einem Regimewechsel führt: Zuerst spalten sich Mitglieder einer Elite ab und bilden eine Opposition, darauf spaltet sich auch die Bevölkerung immer stärker und Vereinigungen bilden sich, und dann kommt es zur Mobilisierung der Massen. Diese drei Stufen des revolutionären Prozesses sind im Iran bereits erfolgt. Das Regime versucht nun, die vierte Stufe, den Rücktritt, abzuwenden. Im Land wird es aber nicht aufhören zu gären.
Übersetzung: Redaktion