Stabile Verhältnisse nicht nur in Österreich, sondern auch bei dessen Handelspartnern im Süden und Südosten Europas liegen im Interesse der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB), betonte | der Gouverneur der OeNB, Klaus Liebscher, gestern anlässlich der Präsentation einer Studie mit dem Titel "Ein Marshallplan für den Balkan", die von der Arbeitsgemeinschaft für wissenschaftliche | Wirtschaftspolitik (WIWIPOL) gemeinsam mit der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik herausgegeben wurde.
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Bevor die Länder des Balkan jedoch der Europäischen Union beitreten könnten, müssten erst deren Volkswirtschaften umgestaltet und angepasst werden, was jedoch erhebliche substantielle
Anstrengungen erfordere, sagte Liebscher.
In dieselbe Kerbe schlug auch Ewald Nowotny, Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirates der WIWIPOL und ab 1. September Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank (EIB). Ein langfristiger
Wiederaufbau besonders in den Ländern des ehemaligen Jugoslawien mittels eines neuen "Marshallplanes" sei möglich, ohne eine "Kopie des bereits Dagewesenen zu sein", betonte er. Grundlegende
Positionen seien jedoch noch nicht ausdiskutiert, viele Voraussetzungen würden fehlen. So gebe es z.B. keine Ansprechpartner, um die Er- und Verteilung finanzieller Hilfe zu diskutieren. Auch die
Rechtssicherheit sei nicht gegeben. Als Beispiel nannte Nowotny das Dayton-Abkommen mit der Klausel über die Rückerstattung von Eigentum. Da aber niemand wisse, was wem gehöre, könnten keine
Kredite vergeben werden. Obwohl Geld in dieser Situation zwar wichtig sei, sei es aber dennoch nicht das primäre Problem. Solange die soziale Infrastruktur fehle und keine Bemühungen zur Marktöffnung
erkennbar seien, gebe es für Investoren keine Anreize, in diesen Regionen tätig zu werden. Über die Notwendigkeit humanitärter Hilfe herrsche aber Einigkeit in der EU und ihren Institutionen, betonte
Nowotny.
Wie weit die finanzielle Hilfe gehe, hänge auch von der Region und deren Zielen ab, ebenso wie von Serbien und seiner weiteren Entwicklung. Insgesamt hätten EU und EIB bereits rund 1 Mrd. Euro für
den Wiederaufbau am Balkan bereitgestellt, davon rund 700 Mill. Euro nur für den Kosovo.
Für Altbundeskanzler Franz Vranitzky steht die politische Aufgabe im Vordergrund. Es müsse das politische Grundverständnis geändert werden, erklärte er. Die Länder des Balkan könnten auch in einigen
Jahren die von der EU geforderten Beitrittskriterien nicht erfüllen. Eine gewisse Großzügigkeit sei daher notwendig. Die Frage "Wer bekommt wieviel Geld wofür?" sei die falsche Frage, es gehe
um die Schaffung rechtsstaatlicher Voraussetzungen, um die Gelder dorthin zu bringen und zielentsprechend einsetzen zu können, betonte der Altbundeskanzler. Andernfalls hätten Korruption und der
Schwarzmarkt "freie Bahn". Über einen zeitlichen Rahmen für den "Marshall-Plan" wollte sich weder Nowotny noch Vranitzky äussern. Für die EIB gehe es darum, vernünftige Projekte zu
finanzieren. Dafür gebe es keinen Zeitrahmen. Was politische Fragen angehe, müssten diese von den Ländern selbst gelöst werden. Vranitzky schlug eine grosse Handelskonferenz vor, die als erster
Schritt für eine Verbesserung des Handels- und Zahlungsprozesses dienen sollte.