Österreich hilft Flüchtlingen mit acht Millionen, doch mehr Hilfe tut Not.
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Amman. Wenn man nichts mehr hat, dann bleibt Menschen nur mehr das Lachen. Bitterer, galliger Humor, der im Halse stecken bleibt. Als der 13-jährige Bashar die Geschichte seines neuen Namens erzählt, schmunzeln seine zwei Geschwister und seine Mutter Imane zuerst und dann prustet es aus ihnen heraus. Dabei ist Bashars Erzählung gar nicht lustig, sondern illustriert die Tragödie des syrischen Volkes. Stattdessen Gelächter: Wer will schon Bashar heißen?
Bashar, so lautet auch der Vorname des 48-jährigen Präsidenten der Arabischen Republik Syrien, Bashar al-Assad, der bei einem Teil der Bevölkerung so verhasst ist wie Satan persönlich. Seit 2011 tobt ein blutiger Bürgerkrieg in Syrien, der mittlerweile weit mehr als 100.000 Menschenleben gefordert hat, Millionen mussten ihre Häuser und Wohnungen verlassen. Der kleine Bashar möchte nun nicht mehr heißen wie sein präsidentieller Namensvetter. "Mein neuer Name ist Saqr", sagt der 13-Jährige stolz. Saqr heißt Falke, ein im Koran erwähnter edler Greifvogel, der für Freiheit und Wachsamkeit steht.
Saqr sitzt neben seinen zwei Geschwistern, dem 17-jährigen Fawad, dem 11-jährigen Hamad und seiner Mutter Imane in einer empfindlich kalten Wohnung in der zweitgrößten jordanischen Stadt Zarka. Imane ist vor elf Monaten mit ihren Söhnen aus Syrien geflüchtet und lebt nun in der kleinen Wohnung, in der statt Fensterglas Wellpappe in den Fensterflügeln steckt. Die Familie hat alles verloren, das Haus der Familie in Deir Balbaa in der Nähe von Homs steht wohl nicht mehr und der Vater lebt hinter der Grenze in Syrien. Warum ist er nicht hier? "Er lebt dort mit seiner zweiten Frau, sie ist jung und schön, da lässt es sich sogar in Syrien aushalten", sagt Imane und lacht, obwohl Humor auch bei dieser Geschichte deplatziert scheint.
Wenn man Imane nach ihren Schwierigkeiten und Problemen fragt, dann sagt sie zuerst, "alle leben, alle sind gesund, wir haben ein Dach über dem Kopf, al-Hamdu li-Llah – Gottseidank." Freilich, es sei nicht immer einfach, die Miete zu bezahlen, Strom und die notwendigen Dinge für die Kinder zu kaufen. Die Mietpreise sind seit dem Flüchtlingsstrom explodiert, Imane zahlt fast 200 Euro für die Wohnung – ein Vermögen, wenn man bedenkt, dass man in strukturschwachen Gebieten Österreichs für 150 Euro mehr eine ähnlich große Bleibe von viel, viel besserer Wohnqualität finden kann. Imane sagt oft "Gottseidank" und sie sagt oft "Danke". Danke an die Caritas, die ihr geholfen hat, eine Küche einzurichten, Danke für Kleidergutscheine, damit sie und ihre Kinder warme Garderobe für den Winter haben, und Danke für Lebensmittelhilfe, die sie in den vergangenen Monaten erhalten hat.
"Ganz am Anfang haben wir zwei Decken von der Caritas bekommen, Gutscheine für Essensrationen im Wert von 70 Jordanischen Dinar (umgerechnet rund 72 Euro) und Polster. Jetzt warte ich auf die nächste Hilfe", sagt Imane. Sie ist zufrieden, nur dass die Kinder nicht zur Schule gehen können, schmerzt Imane. Es gebe einfach nicht genug Schulplätze hat man ihr erklärt.
Seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs sind laut offiziellen Zahlen 569.003 Syrer nach Jordanien geflüchtet (849.340 in den Libanon). Diese Menschen brauchen Obdach, Wasser, das ohnehin in der Region äußerst knapp ist, Strom, Nahrung, Zugang zu Gesundheitsdiensten, Schulen und Jobs. Für Jordanien mit seinen 6,34 Millionen Einwohnern ist dieser Flüchtlingsstrom kaum zu bewältigen und auch wenn in den Schulen mittlerweile im Schichtbetrieb unterrichtet wird, kommen nicht alle syrischen Flüchtlingskinder in Schulklassen unter.
Ohne Illusionen
Imane macht sich keine Illusionen, was eine mögliche Rückkehr nach Syrien betrifft, ihre Kinder werden wohl in Jordanien groß werden. "Wir würden sehr gerne zurückkehren", sagt sie, aber selbst wenn die Kampfhandlungen morgen eingestellt würden, würde es Jahre dauern, bis ein menschenwürdiges Leben in Syrien wieder möglich sei.
Die Erfahrungen im Irak geben Imane recht: Denn selbst wenn der Bürgerkrieg abebbt, blickt das Land in eine sehr düstere Zukunft.
Zwischen einzelnen Mitgliedern der Konfliktparteien – Assad-Loyalisten und die überwiegende Mehrheit der alawitischen, schiitischen und christlichen Minderheit einerseits und Mitgliedern der überwiegend sunnitischen politischen und bewaffneten Opposition andererseits – sind zu viele Rechnungen offen. Rachemorde und Vergeltungsaktionen würden auch nach einem Ende der offenen Kampfhandlungen weitergehen, zudem ist Syrien zu einem Aufmarschgebiet international agierender extremistischer Jihadisten-Gruppierungen geworden. Vor allem die radikale Gruppe Islamic State of Iraq (ISIS), aber auch die al-Kaida-nahe Gruppierung al-Sham konnten in den vergangenen Monaten ihren Einflussbereich erheblich ausdehnen.
Imane verfällt in Melancholie, wenn sie an jene Vergangenheit zurückdenkt, in der sie mit ihrem Mann – er arbeitete als Kraftfahrer – ein "normales Leben" gelebt hat. "Sogar das syrische Pfund war damals gar nicht so schlecht, man konnte für wenig Geld eine ganze Woche leben, heute ist das Ersparte kaum mehr etwas wert."
Die Stadt der Flüchtlinge
30 Kilometer nördlich der Stadt Zarka befindet sich der Ort Mafrak, der wiederum bloß 15 Kilometer von der syrisch-jordanischen Grenze entfernt liegt. Mafrak ist eine der wichtigsten Anlaufstellen für Flüchtlinge, die von Norden aus den umkämpften Gebieten nach Jordanien geflüchtet sind. In einem Pfarrzentrum registriert die Caritas die ankommenden Flüchtlinge, die Bedürfnisse werden erhoben und die Helfer versuchen, die Familien so gut wie möglich zu unterstützen.
Daniela Krejdl von der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit (Austrian Development Agency – ADA) ist mit den Caritas-Helfern unterwegs, notiert die Anliegen und dokumentiert Beispiele der geleisteten Hilfe. Immerhin wurden aus Mitteln der ADA seit dem Ausbruch der Krise rund acht Millionen Euro an Hilfsgeldern ausgeschüttet, von denen neben der Caritas auch das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR oder die Hilfsorganisationen Care Mittel erhalten haben.
Omar Abawi, Programmdirektor der jordanischen Caritas, erklärt, wie die Hilfsorganisation arbeitet: Familien mit einer Frau als Haushaltsvorstand würden ebenso Priorität genießen wie Familien mit Säuglingen oder Familien, in denen einzelne Familienmitglieder Krankheiten oder Behinderungen haben. "Nachdem wir die Menschen registriert haben, versuchen wir ihnen so gut wie möglich zu helfen und halten auch weiter Kontakt zu ihnen und verfolgen ihren Fall weiter", sagt Abawi, der seit 12 Jahren für die Caritas tätig ist. Obwohl der Flüchtlingsstrom zuletzt etwas dünner geworden ist, lassen sich rund 100 Menschen jeden Tag registrieren. Was den Caritas-Helfern laut Abawi wichtig ist: Nicht nur den Flüchtlingen selbst zu helfen, sondern auch die jordanische Gesellschaft zu stärken, damit es zu keinen Spannungen zwischen Jordaniern und den syrischen Flüchtlingen kommt. "Bislang hält die Solidarität der Jordanier mit den Flüchtlingen aus Syrien, Jordanien hat es zudem geschafft, in dieser schwierigen Zeit ein überraschendes Ausmaß an Stabilität zu bewahren", sagt Abawai.
Mafrak liegt nicht nur nahe der jordanischen Grenze, nur 15 Kilometer südöstlich der 60.000-Einwohnerstadt ist das Flüchtlingscamp Zaatari entstanden. 118.231 Menschen leben nach der jüngsten offiziellen Statistik derzeit im Camp. Zaatari ist damit das viertgrößte Flüchtlingslager der Welt, eine Stadt mitten in der Wüste mit Schulen, Zelten, Wohncontainern, Spielplätzen, Wasserstellen und einer Hauptstraße mit kleinen Straßenlädchen, die von Gemüse über Kleidung bis zu DVDs, Radios und Mobiltelefonen alles Mögliche verkaufen. Scherzbolde haben diese Straße Champs-Élysées getauft und haben sogar ein Straßenschild, das diesen Straßennamen trägt, errichtet. Zaatari war noch vor einigen Monaten gefürchtet und berüchtigt, Mafia-Banden trieben ihr Unwesen und terrorisierten die Flüchtlinge, es gab Horror-Geschichten über um sich greifende Kriminalität, Prostitution und Gewalt. Einige der Geschichten waren wohl übertrieben, aber es ist auch der Initiative des unkonventionellen Managers des Lagers, Kilian Kleinschmidt vom UNHCR geschuldet, dass das Camp heute sicher und befriedet ist.
In einem Gespräch mit der "Wiener Zeitung" betont Kleinschmidt, wie wichtig es derzeit sei, die Zelte, in denen viele der Flüchtlinge leben, gegen winterfeste Wohncontainer auszutauschen. Hinter Kleinschmidt hebt ein Kran gerade einen Wohncontainer vom Sattelschlepper, Familien umringen einen UNHCR-Beamten, der Schlüssel an jene Familien mit dem dringendsten Wohnbedarf verteilt. Kaum steht der Container am Wüstenboden und ist aufgesperrt, stürmen schon die Kinder durch die Tür und hopsen voller Freude in ihrem neuen Heim herum.
Einen zweiten Container wuchtet eine Gruppe von Männern mit bloßem Körpereinsatz auf einen selbst zusammengeschweißten Anhänger und schiebt ihn zu einer Gruppe von bereits neu angeordneten Containern. Verwandte wollen eben auch im Flüchtlingscamp Heim an Heim wohnen. "Syrische Flüchtlinge warten nicht darauf, dass ihnen geholfen wird, sie sind initiativ und packen selbst an", sagt Kleinschmidt. Dass seine schöne Containerordnung dadurch durcheinandergerät, nimmt er achselzuckend zur Kenntnis.
Die hunderten Helfer
Die aus Vorarlberg stammende Delegierte des Internationalen Roten Kreuzes, Martina Burtscher, ist die einzige Österreicherin, die im Lager Zaatari arbeitet. Burtscher war zuletzt in Libyen tätig, wo sie bei einem Angriff auf ein Rot-Kreuz-Büro unter heftigen Beschuss geriet und gemeinsam mit ihren Rot-Kreuz-Kollegen evakuiert werden musste.
Das Rote Kreuz bemüht sich im Camp Zaatari, den Flüchtlingen dabei zu helfen, Kontakte zu ihren Verwandten in Syrien oder zu Vermissten oder inhaftierten Familienmitgliedern herzustellen.
"Seit Anfang des Jahres 2013 konnte das Rote Kreuz 31.000 Menschen helfen, Kontakt zur Familie wiederherzustellen und beizubehalten", sagt Burtscher. Sie hat in der Zwischenzeit einige der Flüchtlingsfamilien ganz gut kennengelernt. Frauen warten mit ihren Kindern geduldig darauf, bis sie zum Telefonieren an der Reihe sind und eine Leitung nach Syrien hergestellt werden konnte. Kinder versuchen sich mit ihren Englischkenntnissen an internationalen Besuchern, lächeln, scherzen, lachen. Wenn man nichts mehr hat, dann bleibt Menschen eben nur mehr das Lachen und die Freude, am Leben zu sein.
Spendenkonto:
Kennwort: Nothilfe Syrien. Erste Bank, Kontoinhaber: Caritas, IBAN: AT23 2011 1000 0123 4560, BIC: GIBAATWWXXX