Markus Beyrer, Generalsekretär der Industrie-Lobby, folgt auf Michaelis. | Politstreit über künftige ÖIAG-Rolle. | Wien. Ob die ÖIAG Zukunft hat - und wenn ja, welche - bleibt ungewiss. Seit Dienstag hat die staatliche Industrieholding zumindest einen neuen designierten Chef: Der Aufsichtsrat kürte einstimmig Markus Beyrer (45), bisher Generalsekretär der Industriellenvereinigung (IV), zum Nachfolger von Peter Michaelis. Er tritt die Position des Alleinvorstandes mit 1. Juli 2011 an, sein Vertrag läuft bis 30. Juni 2014.
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An der öffentlichen Ausschreibung hatten laut ÖIAG "rund 30 großteils hochkarätige Bewerber" teilgenommen. Beyrer setzte sich letztlich gegen Ex-Telekom-Austria-Chef Boris Nemsic und Noch-OMV-Chef Wolfgang Ruttenstorfer durch. Er galt als Favorit von Finanzminister Josef Pröll, dessen Ressort für die ÖIAG verantwortlich ist.
Beyrer hält sich vorerst alle Optionen offen
Der Politstreit um die künftige Rolle der Industrieholding ist damit prolongiert. SPÖ-Finanzstaatssekretär Andreas Schieder kritisierte die Bestellung als "überraschend ideenlos". Als "Filiale der Industriellenvereinigung" habe die Staatsholding keine Bestandsberechtigung.
Der ÖIAG-Aufsichtsratspräsident und Industrielle Peter Mitterbauer bezeichnete Beyrer hingegen als "intellektuell hochstehenden Strategen und Verhandler". Er sei mit der Industrie und deren Managern "an der Schnittstelle zur Politik bestens vertraut".
Die Entlohnung des neuen ÖIAG-Generals sei "noch nicht definitiv festgelegt, er wird auf jeden Fall weniger verdienen als Dr. Michaelis." Dessen Jahresgage von gut 700.000 Euro war einer einer der Hauptangriffspunkte gegen den scheidenden ÖIAG-Boss gewesen.
Der Industrielle Hannes Androsch streut dem neuen ÖIAG-Chef im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" vorab Rosen: "Beyrer ist ein tüchtiger Mann."
Zur Frage, welche Ausrichtung der Staatsholding er bevorzugen würde, wollte Androsch, der im Aufsichtsrat der ÖIAG-Tochter Fimbag sitzt, nicht Stellung nahmen. Nur soviel: Diese sogenannte Banken-ÖIAG könnte auch direkt im Finanzministerium verwaltet werden - womöglich besser, als mit einem weiteren zwischengeschalteten Aufsichtsrat.
Beyrer selbst äußert sich in einer ersten Stellungnahme überaus vage über den künftigen Weg der Industrieholding: Er wolle "gemeinsam konstruktiv über eine positive Weiterentwicklung nachdenken." Er sehe die "Notwendigkeit, die ÖIAG unter voller Beibehaltung des Privatisierungs-Know-hows stärker in Richtung einer strategischen Beteiligungsholding und eines stabilen Kernaktionärs in zentralen österreichischen Leitunternehmen weiterzuentwickeln."
Als ÖIAG-Chef wird Beyrer nicht darum herumkommen, sich der hochpolitischen Frage zu stellen, welche Richtung die staatliche Beteiligungsholding einschlagen soll.
Zwischen Abschaffung und Vergrößerung
Zur Debatte stehen vier Modelle: Die ÖIAG könnte in der heutigen Form weiterbestehen - also mit nur noch drei Beteiligungen an börsenotierten Unternehmen (Post, OMV, Telekom) sowie den Töchtern GKB-Bergbau GmbH und Finanzmarktbeteiligungs AG ("Banken-ÖIAG").
Die zweite Lösung, die von Teilen der SPÖ bevorzugt wird, wäre eine völlige Auflösung der Holding. Die verbliebenen Beteiligungen würden dabei jeweils zuständigen Ministerien angegliedert - dabei ergibt sich der neue Streitpunkt, ob Wirtschafts- oder Infrastrukturministerium zuständig wären.
Eine dritte Variante, die Teile der ÖVP befürworten, wäre eine Ausweitung der ÖIAG-Agenden etwa um ÖBB und Asfinag - allerdings mit dem Auftrag zu weiteren Privatisierungen.
Eine vierte Variante würde Johann Moser, ehemals SPÖ-Abgeordneter und nunmehr Chef der staatlichen Förderbank aws, befürworten. Er spricht sich gegenüber der "Wiener Zeitung" für eine Aufwertung und "Dynamisierung" der ÖIAG aus. Das könne über eine Infrastrukturholding sogar hinausgehen - etwa wenn Verbund und OMV in einem Energiesegment, Asfinag und ÖBB in einem Verkehrs- und Telekom Austria sowie ORF in einem Nachrichten- und Kommunikationsbereich gebündelt würden. "Ich glaube, dass Industriepolitik Zukunft hat." sagt Moser, der als Berater von Minister Rudolf Streicher früher selbst eng mit der ÖIAG befasst war. Allerdings müsste dafür die strategische Rolle der Holding klar definiert werden. Das Management müsste mehr Spielraum erhalten - etwa, um bei Kapitalerhöhungen mitziehen zu können.
"Ein Fortwursteln wie bisher wäre Luxus", sagt Moser. "Dafür würde eine schlanke Struktur mit vier bis fünf Personen reichen."
IHS-Chef Felderer lobt ÖIAG-Unabhängigkeit
Geht es nach IHS-Chef Bernhard Felderer, dann soll bei der ÖIAG die Linie beibehalten werden. Er lobt insbesondere die umstrittene Konstruktion des Aufsichtsrats: Dass die Kontrollorgane nicht vom Eigentümer - also letztlich der Politik - bestimmt werden, sondern sich aus sich selbst durch Kooptierung von neuen Mitgliedern erneuern, sieht Felderer als Schutz vor Eingriffen. Diese Regelung wurde im Jahr 2000 von der schwarz-blauen Regierung eingeführt.
"Das Gremium dient gegenüber der Politik als Filter", so Felderer, der vor einer Abschaffung warnt: "Das wäre ein Rückfall in die 70er Jahre." Der Einfluss der Politik auf Stellenbesetzungen in staatsnahen Betrieben und auf Unternehmensentscheidungen würde im Fall des Falles wieder steigen.
Auch der Fokus auf Privatisierungen soll erhalten bleiben - jedoch mit Maß und Ziel: "Man sollte in diese Richtung arbeiten, sich aber Zeit nehmen." Es habe sich in der Vergangenheit gezeigt, dass das Konzept, Firmen "zuerst einmal aufzupäppeln", sinnvoll sei.
Beim vor allem von den Regierungsparteien leidenschaftlich geführten Streit um die Größe des ÖIAG plädiert Felderer für eine Erweiterung. Es sollten zusätzliche Staatsunternehmen, deren Anteile derzeit noch von Ministerien verwaltet werden, wie etwa die Autobahngesellschaft Asfinag, hineingenommen werden. Auch das Einbeziehen von Landesenergieversorgern habe Charme.
Die Schienen- und Straßeninfrastruktur könnte zwar - im Sinne einer Infrastrukturholding - ebenfalls in der ÖIAG angesiedelt werden. Allerdings plädiert der IHS-Chef hier für eine differenzierte Betrachtung. Die Schiene sollte im Gegensatz zu anderen Bereichen nicht privatisiert werden. "Die Erfahrungen in den USA und in Großbritannien haben gezeigt, dass Schienennetze bei einem öffentlichen Eigentümer besser aufgehoben sind", so Felderer. Netze - das gelte für Hochspannungsleitungen genauso - könnten nur über extrem lange Zeiträume finanziert werden. Autobahnen und Schnellstraßen hingegen hält Felderer für prinzipiell privatisierbar. Wobei sich der Experte bewusst ist, dass der politische Widerstand gegen Preissteigerungen beim Autofahren "gewaltige" Ausmaße aufweist.
Zur Person
(rb) Der Lebenslauf des neuen ÖIAG-Chefs Markus Beyrer (45) ist eng mit der Wirtschaftskammer und der ÖVP verbunden: Seine berufliche Karriere begann der gebürtige Niederösterreicher er wuchs in Krems auf 1992 als Mitglied des EU-Expertenteams der Abteilung für Integrations- und Handelspolitik in der Wirtschaftskammer. Von 1994 bis 1996 arbeitete Beyrer als Attaché für Industrie- und Handelsangelegenheiten in der Ständigen Vertretung Österreichs bei der Europäischen Union, danach war er als Experte für europäische und internationale Angelegenheiten in der Abteilung für Umweltpolitik in der Wirtschaftskammer tätig.
Von 1999 bis 2002 war der spätere Industrie-Lobbyist wirtschaftspolitischer Berater im Kabinett von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel. Von Mitte 2002 bis Mitte 2004 leitete Beyrer die Stabsabteilung Wirtschaftspolitik in der Wirtschaftskammer, bevor er an die Spitze der Industriellenvereinigung (IV) zog: Seit 16. August 2004 ist er IV-Generalsekretär. Am 1. Juli tritt Beyrer seinen neuen Posten als Chef der ÖIAG an er gilt als Wunschkandidat von Finanzminister Josef Pröll. Als Interessensvertreter sitzt Beyrer schon bisher in diversen Aufsichtsräten und Beiräten, unter anderem ist er Generalrat der Oesterreichischen Nationalbank.
Bevor Beyrer in die Berufswelt einstieg studierte er Rechts- und Handelswissenschaft in Wien. Privates ist von Beyrer wenig bekannt. Auf der Homepage der IV findet sich lediglich, dass er am 19. August 1965 in St. Pölten geboren wurde, verheiratet ist und zwei Kinder hat.