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Ein neues Bretton Woods?

Von David Ignatius

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Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".

Der Unmut gegen die USA, weil sie der Welt die Finanzmarktkrise und ihre Folgen beschert haben, ist ein großes, weitgehend unausgesprochenes Thema beim G-20-Gipfel.


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Zuerst war die US-Regierung von dem G-20-Gipfel nicht sehr begeistert, bei dem kommendes Wochenende die weltweite Finanzkrise besprochen werden soll.

Aber das Treffen findet trotzdem statt. Nachdem die USA das globale Wirtschaftsnest beschmutzt haben, müssen sie nun wenigstens mit anderen Staaten zusammenarbeiten, um es wieder in Ordnung zu bringen.

Beruhigende Signale soll das Treffen aussenden: Koordinierte Hilfe und Rettung sind auf dem Weg. Und möge es gelingen - alles Gute dafür! Die Gefahr ist nur, dass dieser so hastig organisierte Gipfel, mit einem US-Präsidenten als Gastgeber, der kaum mehr Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeiten hat, auch noch eine andere Botschaft aussendet, nämlich die der Uneinigkeit über die Zukunft der Weltwirtschaft.

Dieses G-20-Treffen wird einige sehr wichtige, aber möglicherweise nicht gerade reibungslose Umstellungen bringen: zum Beispiel das Auftreten Chinas als Co-Manager der globalen Konjunkturlage, dazu das neue, sehr selbstbewusste Eintreten der Europäer für ihre eigenen staatenübergreifenden Regulierungsmaßnahmen und den wachsenden Ärger von Staaten wie Brasilien, die sich in eine Krise hineingerissen fühlen, die sie nicht verschuldet haben.

Dazu kommt noch, dass das G-20-Treffen unübersehbar daran erinnert: Der kleinere Klub der reichen Nationen, bekannt als G-8, hat bei der Finanzkrise versagt. "Diese Krise hat uns alle gleicher gemacht, sie hat uns mehr auf Augenhöhe miteinander gebracht", bemerkte dazu Antonio Patriota, Brasiliens Botschafter in den USA.

Das ist aber noch nicht alles: Auch der Unmut gegen die USA, weil sie der Welt die Finanzmarktkrise und ihre Folgen beschert haben, ist ein großes, wenn auch weitgehend unausgesprochenes Thema. Während einer Konferenzschaltung aller G-20-Vertreter zur Vorbereitung des Gipfels wurden aber doch, wie ein Teilnehmer berichtete, erste Klagen laut über "die wilden Spekulationsgeschäfte und das Fehlen staatlicher Kontrollen in den USA, aus denen dieser Markt-Tsunami entstanden ist".

Besonders frustrierend ist, dass beim G-20-Treffen zwar die großen, unklar abgegrenzten Fragen der Finanzstruktur diskutiert werden, die Weltwirtschaft aber aufgrund drängender Probleme weiterhin wie gelähmt ist. "Kann schon sein, dass wir noch rechtzeitig die Kurve gekratzt haben - allerdings eine in einem Achteck", sagte mir ein besorgter Hedgefonds-Manager.

Der Pate dieses G-20-Gipfels ist der französische Präsident Nicolas Sarkozy, dessen Zeit als EU-Vorsitzender bald zu Ende geht. Er stattete Präsident Bush sogar noch extra einen Kurzbesuch ab, um ihn vom Gipfelvorhaben zu überzeugen und spornte die anderen europäischen Staaten unermüdlich an, das weitreichende Regulierungspaket zu unterstützen.

Mitarbeiter der Regierung Bush ärgerten sich zwar über Sarkozys Vorstoß, aber wegen der allgemeinen Krisenstimmung beschlossen sie, nichts dagegen zu unternehmen. In 100 Tagen will Sarkozy noch einen Gipfel abhalten, um die beschlossenen Maßnahmen zu ratifizieren und sie vom neuen US-Präsidenten Barack Obama absegnen zu lassen.

Das kommende G-20-Treffen wurde schon im Voraus als neues Bretton Woods bezeichnet, aber wie ein Kommentator ebenfalls schon angemerkt hat, bereitete man sich drei Jahre lang auf die bahnbrechende Sitzung 1944 vor. Ungefähr drei Wochen Vorbereitungszeit standen hingegen für das jetzige Treffen zur Verfügung.

Auch wenn alle gerade auf die USA sehr wütend sind: Es wäre besser, dem zukünftigen Finanzsystem etwas mehr Sorgfalt angedeihen zu lassen.

Übersetzung: Redaktion