Zum Hauptinhalt springen

Ein neues Selbstbild für Österreich

Von Stefan Beig

Politik

Laut Erdal Kalayci betrifft Integrationspolitik die gesamte Gesellschaft. | Als Buchautor und Politiker fordert er eine neue Sichtweise. | Wien. Eine neue Vision von Integrationspolitik fordert der Politikwissenschafter Erdal Kalayci in seinem Buch mit dem ironischen Titel: "Integriert’s euch!?": "Immer wenn von Integration die Rede ist, wird die Diskussion verkürzt auf ein Bündel von Maßnahmen, deren Einleitung lediglich Migranten zugute kommt", erklärt er dort. "Dadurch wird in der Aufnahmegesellschaft Neid geschürt." In Wahrheit sei Integration "ein Zukunftsthema, das die gesamte Gesellschaft und nicht nur die Migranten betrifft."


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Kalayci, dessen Eltern Mitte der 70er Jahre aus der Türkei einwanderten, meint, dass Migranten viele Probleme mit sozial ärmeren Schichten prinzipiell teilen. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" betont er: "Viele meiner Migrantenfreunde haben den Sprung auf die Uni nicht geschafft. Schon im Oberstufenrealgymnasium war ich das einzige Migrantenkind. Das Bildungssystem ist selektiv, untere Schichten bleiben hängen."

Wie wichtig freilich auch das Bildungsbewusstsein des Elternhauses ist, zeigt die Biographie des 29-jährigen, der in einer klassischen Arbeitersiedlung in Leobersdorf aufgewachsen ist. "Schon im Kindergartenalter wurde mir und meinen drei Schwestern von unseren Eltern eingehämmert: Ihr müsst auf die Uni gehen. Ihr sollt es besser haben. Ihr sollt nicht Arbeiter werden." Im Gegensatz zu anderen Gastarbeitern war Kalaycis Eltern schon früh klar, dass sie in Österreich bleiben werden, und sie sahen darin eine Chance: "Sie sagten uns: Ihr habt das Glück, hier aufzuwachsen, denn in Europa habt Ihr bessere Möglichkeiten."

Die meisten Zuwanderer und Politiker hatten damals falsche Erwartungen: "Bis in die 90er Jahre haben beide geglaubt, die Migranten werden nicht hier bleiben", so Kalayci, der seit 2008 Integrationsreferent im Grünen Klub im Wiener Rathaus ist. Manches habe sich aber geändert: "Die erste Generation hat ihre Situation mit dem Herkunftsland verglichen und war daher zufrieden, weil es ihnen in ihrer Heimat schlechter gegangen wäre. Meine Generation tut das nicht mehr. Sie investiert in Österreich."

Politik blockiert Integration

Auch andere Fehler hat es gegeben: "Manche Vereine von Zuwanderern spielen eine wichtige Rolle, weil sie ein Wohlfühlklima schaffen. Andererseits können sie aber auch blockieren, wenn hier keine Integrationsmaßnahmen stattfinden." Und diese Blockade werde von der Politik unterstützt. "Regierungsparteien wollen Wählerstimmen kaufen. Sie unterstützen daher Dachverbände, die nichts für Integration machen. Das hat den gegenteiligen Effekt: Diese Strukturen aus Vereinsmitgliedern werden gefestigt." Und: "Integration bedeutet nicht, dass Community-Feste stattfinden."

Wesentlich für Integration sei Partizipation, die aber von der Gesellschaft zugelassen werden müsse. "Im Hinblick auf die Lage der Drittstaatenangehörigen ist Österreich im Vergleichsindex der Europäischen Union auf dem vorletzten Platz. Das betrifft den Zugang zum Arbeitsmarkt und die Einbürgerung. Beim Aktionsplan des Innenministeriums endet Integration mit der Einbürgerung. Das ist aber nur ein Teil des Integrationsprozesses, denn die Ausübung gewisser Rechte hängt von der Staatsbürgerschaft ab."

Österreich bräuchte "ein neues Selbstbild als ein vielgestaltiges Einwanderungsland". Hierin lägen auch Chancen: "Als Migrant hat man eine interkulturelle Kompetenz und kann manche Problem gut erkennen. Ich sehe es heute als Vorteil an, einen Migrationshintergrund zu haben, weil ich mehr als eine sprachliche Community gut verstehen kann. Österreich übersieht dieses Potenzial. Mehrsprachige Fähigkeiten verkümmern hier. Wir brauchen nicht neue kluge Köpfe aus dem Ausland zu holen."

"Integriert’s Euch!? Grundlagen, Hürden und Vision im Integrationsprozess von Migranten" von Erdal Kalayci ist im planetverlag in Wien erschienen.