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Ein nicht alltägliches Kabinett

Von Michael Schmölzer

Europaarchiv

Sozialisten schließen neuen Außenminister Kouchner aus. | Ex-68er als "Verräter" beschimpft. | Mit Alliot-Marie wird eine Frau Innenministerin. | Paris/Wien. "Speedy Sarko", wie Frankreichs neuer Präsident auch genannt wird, hat seinem Spitznamen alle Ehre gemacht. Ganze elf Tage hat es gedauert, bis nach dem klaren Wahlsieg des Konservativen eine neue Regierung fixiert war. 15 Ministerposten sind vergeben, vier Staatssekretäre bestellt.


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Sarkozy hat gemeinsam mit dem am Vortag zum Premierminister ernannten Francois Fillon sein Wahlversprechen wahr gemacht und für Geschlechter-Parität im Kabinett gesorgt. Die Schlüsselressorts bleiben freilich großteils in Männerhänden. Nur die maßgeblichen Bereiche Inneres (Michele Alliot-Marie) und Justiz (Rachida Dati) wurden mit Frauen besetzt. Bemerkenswert ist jedenfalls Datis Herkunft: Ihre Eltern sind aus Nordafrika. Ein Signal an Frankreichs Immigranten, die Sarkozy mehrheitlich feindlich gegenüber stehen.

Mit seinem Kabinett hat Sarkozy aber vor allem eine Öffnung nach links vollzogen. Der Sozialist Bernard Kouchner erhält das Außenministerium, von der Linken kommen auch Europa-Staatssekretär Jean-Pierre Jouyet und der neue Hochkommissar für Armutsbekämpfung, Martin Hirsch. Der Liberale Hervé Morin, Mitglied der Zentrumspartei UDF, wird Verteidigungsminister.

Mit der Erfüllung der Frauenquote demonstriert Sarkozy, dass er die von seiner Ex-Rivalin Ségolène Royal stets propagierten Maxime genau so gut wenn nicht sogar besser umsetzen kann. Mit der Öffnung nach links begegnet er jenen Stimmen, die behaupten, die konservative Präsidentenpartei UMP strebe die absolute Herrschaft über den französischen Staatsapparat an.

Turbulenzen

Innerhalb der geschlagenen Sozialdemokratie hat Sarkozy jedenfalls für heftige Turbulenzen gesorgt. Schon vor der Bestellung Kouchners zum Außenminister wurde der Vertreter der 68er-Generation, der vor vier Jahrzehnten als Anführer des kommunistischen Studentenvernbandes agiert hatte, als "Verräter" bezeichnet. Die Strafe erfolgte prompt nach der offiziellen Ernennung Kouchners am Freitag. Parteichef Francois Hollande erklärte, Kouchner werde aus der Sozialistischen Partei ausgeschlossen. Hollande kritisierte dabei eine "Pseudo-Öffnung" der Regierung Fillons. In einem "individuellen Abenteuer" werde Kouchner nun "ein Minister mehr in einer rechten Regierung", wetterte der SP-Chef und Lebensgefährte von Ex-Präsidentschaftskandidatin Royal.

"Die Linke ist nicht in der Regierung vertreten, die Linke ist in der Opposition zur Regierung von Nicolas Sarkozy", wehrte sich auch der sozialistische Europa-Abgeordnete Benoit Hamon gegen alle Vereinnahmungsversuche.

Es wird davon ausgegangen, dass Sarkozy die Öffnung nach links auch deshalb vollzogen hat, um sozialdemokratische Wähler für sich zu gewinnen. Immerhin wählen die Franzosen am 10. und 17. Juni ein neues Parlament. Zwar liegt Sarkozys Partei UMP in allen Umfragen klar voran, der Präsident will eine "Kohabitation", das Regieren gegen eine linke Parlamentsmehrheit, aber unter allen Umständen verhindern. Unklar ist noch, wie weit Kouchner tatsächlich die Pariser Diplomatie leiten wird - Sarkozy und dessen Außenpolitik-Berater Jean-Daniel Levitte werden hier einigen Raum beanspruchen.

Auch auf der in Frankreich ungemein wichtigen Ebene der Symbolik hat Sarkozy bereits knapp nach seiner Amtsübernahme wichtige Signale an die Linke gesandt.

Moquet-Brief

Unmittelbar nach der Kranzniederlegung am Denkmal von Clemencau, dem Helden des Ersten Weltkrieges, ließ der erste französische Präsident, der nach 1945 geboren wurde, den Abschiedsbrief des 17-jährigen kommunistischen NS-Widerstandskämpfers Guy Moquet durch eine Mittelschülerin nordafrikanischer Herkunft verlesen. Sarkozy kündige an, dass der Brief von nun an zu Beginn jedes Schuljahres allen französischen Schülern vorgelesen werden soll.