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Ein Oligarch für die Auslage

Von Gerhard Lechner

Europaarchiv

Kreml möchte Opposition vor neuen Protesten Wind aus den Segeln nehmen.


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Moskau. Die Nebel um die Frage, wie "Putin 2.0" seine dritte Amtszeit als russischer Präsident anlegen wird, beginnen sich langsam zu lichten. Während im Wahlkampf und auf der Siegesfeier am Sonntag noch Parolen vom nationalen Schulterschluss, von Kampf und Sieg dominierten, nahm der künftige Präsident seither den Fuß zumindest verbal deutlich vom Gas: Es sei "angebracht zu erinnern, dass der Präsident eine überparteiliche Figur ist", sagte Wladimir Putin am Donnerstag. Er werde "im Interesse aller Russen arbeiten". Die Wahlkommission hatte den Petersburger am Donnerstag offiziell zum Wahlsieger erklärt. 63,6 Prozent der Wähler sollen sich demnach für Putins Rückkehr in den Kreml entschieden haben - ein Wert, an dessen Stimmigkeit erhebliche Zweifel bestehen. Laut der russischen "Liga der Wähler", einem Oppositionsbündnis, soll Putin nur auf 53 Prozent gekommen sein. Demnach hätte der Drittplatzierte Michail Prochorow 16 statt 7,83 Prozent erreicht.

Prochorow, der Oligarch, war wohl auch jener Kandidat, der für jene Russen, die sich im Dezember der Protestbewegung angeschlossen hatten, auf dem Stimmzettel am ehesten als Alternative zu Putin in Frage kam - nachdem der liberale Oppositionelle Grigori Jawlinski zur Wahl nicht zugelassen worden war. Der groß gewachsene Unternehmer entsprach vor nicht allzu langer Zeit noch dem typischen Bild eines russischen Oligarchen: Nach bescheidenen Anfängen hatte er mit Rohstoffgeschäften ein Vermögen aufgebaut. 2007 verbrachte Prochorow im französischen Nobelskiort Courchevel, einem typischen Oligarchen-Treffpunkt, wegen angeblicher Zuhälterei drei Tage in Haft: Er hatte sich für eine dekadente Champagner-Party leichte Damen aus Moskau einfliegen lassen. Mittlerweile aber tritt der 46-Jährige leiser - und entwickelte Eigenschaften, die ihn für die aufstrebende russische Mittelklasse interessant machen: Prochorow investiert in Elektroautos und Energiesparlampen, tritt als Förderer von Kunst und modernen Management-Methoden auf. Dies und sein Reichtum, so hoffen manche junge Russen, mache ihn von den Strukturen des Kreml unabhängig.

Marionette des Kreml?

An dieser Unabhängigkeit bestanden aber immer schon erhebliche Zweifel - als Prochorow im Mai 2011 ankündigte, Chef der liberalen Partei "Rechte Sache" werden zu wollen, wurde gemunkelt, dies sei ein Trick des Kreml, um die städtische Mittelschicht ans Regime zu binden. Und obwohl aus dem Projekt nichts wurde - Prochorow wurde auf dem Wahlparteitag gestürzt und wütete danach verbal gegen den Kreml -, blieb auch seine erneute Kandidatur bei den Präsidentenwahlen vom Geruch der Komplizenschaft mit Putin umwittert.

Diese Sichtweise könnte am Donnerstag neue Nahrung bekommen haben: Putin bezeichnete Prochorow als "ernsthafte Persönlichkeit und guten Unternehmer", der "für die Regierung nützlich sein" könne, wenn er es wünsche. Wie Prochorow auf das Angebot reagieren wird, bleibt abzuwarten: Nach der Wahl hatte er eine Beteiligung in einer Regierung unter einem Präsidenten Putin noch ausgeschlossen.

Ob Putins Werben um Prochorow eine Potemkin’sche Inszenierung ist oder nicht: Der Schritt passt jedenfalls in die Deeskalationsstrategie des Kreml im Vorfeld der für Samstag geplanten Demonstrationen. So begrüßte Putin die von Präsident Dmitri Medwedew angeordnete Überprüfung der Urteile gegen den kremlkritischen Ex-Oligarchen Michail Chodorkowski. Medwedew war damit einer Forderung der Opposition nachgekommen.

Rasmussen gratuliert Putin

Unterdessen hat Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen Putin zum Wahlsieg gratuliert und ein Gespräch mit ihm "in nicht allzu ferner Zukunft" vereinbart. Rasmussen hofft auf Fortschritte zwischen Russland und der Nato beim Aufbau einer Raketenabwehr in Europa.