Kein Fahrgast hilft dem Somalier, der auf das Derbste beleidigt wird. Wo bleibt die Zivilcourage der Wiener?
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Sie fahren mit der Straßenbahn nach einem anstrengenden Tag nach Hause. Plötzlich gerät ein älterer Herr neben ihnen in Rage und beschimpft einen dunkelhäutigen Fahrgast aufs Derbste. Was machen Sie? Filmen Sie, reden Sie auf den rassistischen Mann ein oder versuchen Sie, den Bimfahrer auf die Situation aufmerksam zu machen? Ein junger Mann war dabei und hat die rassistische Schimpftirade des Österreichers aufgenommen. Er selbst ist nicht dazwischen gegangen, habe aber sehr wohl seinem Zorn freien Lauf gelassen und "genug geschimpft" - nachdem er das Smartphone ausgeschalten hatte, schreibt er auf seiner Facebook-Seite.
Seit 17. April ist das Video "A Racist in Austria" auf YouTube zu "bewundern". Bemerkenswert ist, neben dem unbeschreiblichen Hass des Österreichers gegenüber Ausländern, der sich in dieser Situation ungehemmt entlädt, auch die Tatenlosigkeit der Fahrgäste. Kein einziger hielt es für notwendig, den menschenverachtenden "Baumkraxler"-und "Schleich di ham"-Beschimpfungen des wütenden Herrn ein Ende zu bereiten. Ganz im Gegenteil: Beim Aussteigen legt ein ebenfalls älterer Mann murmelnd noch ein, zwei Schimpfworte nach. Der den Erniedrigungen ausgesetzte Somalier versucht sich zu verteidigen und man kann sich nur annähernd vorstellen, wie er sich nach dem Aussteigen aus der Straßenbahn gefühlt haben muss.
"Habe gedacht, eine Videoaufnahme ist die beste Lösung"
"Der Mann hat von der Jägerstraße bis zum Friedrich-Engels-Platz geschimpft und niemand hat ihm etwas gesagt", sagte der junge Mann, dessen Video für Wirbel sorgte zur "Wiener Zeitung". Plötzlich, und ohne Grund. Vor dem Wutanfall sei nichts vorgefallen. Eine Reaktion gab es von den anderen Fahrgästen: Eine Frau soll sich gestört gefühlt haben und dem Somalier "Aussteigen!" zugerufen haben.
"Ich habe gedacht, eine Videoaufnahme ist die beste Lösung," um möglichst viele Menschen zu informieren. Er komme selbst aus dem Mittleren Osten und habe so noch etwas nicht erlebt. In Europa hätte er eine solche Situation nicht erwartet. Und er ergänzt: "Ich habe sehr nette Menschen in Österreich kennen gelernt, das ist überall auf der Welt selten."