Gebietsansprüche in der Ägäis und der Konflikt um Zypern sorgen für Querelen zwischen Athen und Ankara. | Ausgebreitet wären es sechs Fußballfelder. Nicht viel mehr als vier Hektar beträgt die Fläche der zwei Inselchen im Mittelmeer, die auf Griechisch Imia heißen und auf Türkisch Kardak. Es sind unbewohnte felsige Orte; von dort ist nichts zu holen. Doch sie haben zwei Staaten an den Rand eines Krieges getrieben.
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Als Ende 1995 ein türkisches Schiff auflief und geborgen werden musste, begann der Kapitän mit den griechischen Behörden darüber zu streiten, wer für die Bergung zuständig ist. Es stellte sich heraus, dass manche Karten die Inseln griechischem, andere türkischem Hoheitsgebiet zuschrieben. Zunächst erhielt der Zwischenfall kaum öffentliche Beachtung, doch wenige Wochen später wurde eine politische Affäre daraus, durch Medien geschürt. Flaggen wurden auf den Felsen gehisst - abwechselnd die griechische und die türkische. Die Regierungschefs beider Länder schickten scharfe Depeschen. Kriegsschiffe und Spezialeinheiten wurden entsandt. Griechenland und die Türkei, die zwei Nato-Partner, standen einander einmal mehr als Feinde gegenüber.
Washington intervenierte. Weitere Zusammenstöße wurden abgewandt. Erledigt war die Angelegenheit aber nicht.
Erst vor wenigen Tagen bezichtigte die türkische Armee Griechenland wieder der Verletzung von fremdem Hoheitsgebiet. Zwei griechische Marine-Schnellboote seien in türkische Gewässer gelangt.
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Der Streit um die Grenzen in der Ägäis ist nur einer der Konflikte zwischen den Nachbarstaaten. Das Tauziehen um Ölförderrechte im Mittelmeer und die Dauerkrise um das geteilte Zypern kommen hinzu. Historische Wunden, geschlagen durch Kriege und massenhafte Vertreibungen zu Anfang des 20. Jahrhunderts, wurden zudem noch kaum geschlossen.
All die Probleme wird der griechische Premier Kostas Karamanlis wohl nicht ansprechen können, wenn er am heutigen Mittwoch in Ankara eintrifft. Seiner Reise wird dennoch große Bedeutung beigemessen. Immerhin ist der letzte offizielle Besuch eines griechischen Ministerpräsidenten in der Türkei fast fünfzig Jahre her - damals von Karamanlis Onkel, Konstantinos Karamanlis.
Das bedeutet aber nicht, dass es sonst keine Kontakte zwischen Karamanlis und seinem ebenfalls konservativen türkischen Amtskollegen Recep Tayyip Erdogan gegeben hätte. Nach dem Staatsbesuch Erdogans in Athen vor vier Jahren gab es Treffen auf informeller Ebene, und im Vorjahr weihten die beiden Regierungschefs eine um rund 300 Millionen Euro gebaute türkisch-griechische Gaspipeline ein.
Überhaupt bessern sich die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen den Nachbarn schnell. Der bilaterale Handel wächst. Griechische Banken - die lange Zeit in Balkanstaaten investiert haben - haben nun den türkischen Markt entdeckt. So kaufte die National Bank of Greece die türkische Finansbank.
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In der Wirtschaft sehen Beobachter denn auch mehr Anknüpfungspunkte als in der Politik. Denn Karamanlis wird sich - wie Erdogan - hüten, die Querelen über Gebietsansprüche im Mittelmeer einmal mehr anzufachen. Ein Durchbruch in der Zypern-Frage ist ebenso wenig in Sicht. Allzu starr sind die Fronten im Konflikt um das seit 1974 geteilte EU-Mitglied. Den Norden der Insel - wo an die 20.000 türkische Soldaten stationiert sind - erkennt die Türkei als Staat an, den Süden hingegen nicht. Der Rest der Welt sieht es eher umgekehrt.
Allerdings wird der Ruf lauter, die Vereinten Nationen mögen einen neuen Plan für eine Zypern-Lösung erarbeiten. Das türkische Staatsoberhaupt Abdullah Gül hat dies gefordert, ebenso wie der zypriotische Präsident Tassos Papadopoulos. Die EU will es sowieso.
Von den Premiers Karamanlis und Erdogan wird ebenfalls erwartet, dass sie auf eine Lösung drängen. Mehr als Worte werden dabei aber auch diesmal nicht rauskommen.