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Ein paar Sekunden mehr

Von Gerald Schmickl

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Nachdem sich die Fernsehgewohnheiten auf Grund der vielen parallelen Angebote durch Kabel und Satellit grundlegend verändert haben, sind die meisten Sender bestrebt, den zappenden Sekundenseher länger als eben nur den einen Augenblick zu binden. Dafür braucht es, so meinen sie, eindeutige optische Signale und schnell erkennbare Handlungsabläufe. Diesem Denken hat man die Gleichförmigkeit heutiger Programme zu verdanken, die man tatsächlich oft nach wenigen Sekunden erkennt. Die Charaktere sind dramaturgisch grell geschminkt: Gauner, Liebhaber, eifersüchtige Ehefrau - allesamt im Nu deklariert, und damit meist schon uninteressant.

Wie spannend es manchmal auch sein kann, sich auf komplexere Charaktere und Handlungen einzulassen, die nicht sofort absehbar sind, zeigte die Ausstrahlung von Barbara Alberts Film "Nordrand" am vergangenen Mittwoch (ORF 1). Dieser Streifen, mehrfach ausgezeichnet, hält sich nur bedingt an die gängige TV-Ästhetik, bricht sie oft mittels unorthodoxer Einstellungen (sei's der Kamera, sei's der Protagonisten) und überzeugt mit grandiosen Schauspielern, die ihre Rollen buchstäblich entwickeln (wie etwa die dafür prämierte Nina Proll), anstatt sie einfach fertig hinzustellen. Von dieser elementaren Kunst, mit einem Gesicht eine berührende Geschichte auszudrücken, einmal eingefangen - und das braucht ein paar Sekunden mehr als üblich -, kommt man gar nicht mehr auf die Idee, per Fernbedienung weiterzurasen. Die Tristesse der gezeigten Situation ist wettgemacht durch die Dichte ihrer Darstellung. Das können Filmkünstler (wie die Österreicherin Albert) einfach besser als TV-Dramaturgen.