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Ein Panzerkleid aus Marzipan

Von Reinhold Aumaier

Reflexionen

Einige Aphorismen zum Nachdenken über das Zusammenleben der Menschen, das Gute und das Böse, das Vergehen der Zeit - und über das Nachdenken.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 11 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Philosophen, die ihrer Gedanken nicht in zehn reinen einfachen Sätzen Herr werden können, wissen weniger als sie denken.

Das Gute ist, dass es nichts Böses gibt . . . wenn man genau hinschaut und sich stets Ursache & Wirkung vor Augen hält.

Wenn sich der Geist zwischen zwei miteinander in Liebe Gefallenen nicht auch (mit)entzündet, dann verbrennt alles andere ziemlich rasch.

Der vielleicht aufregendste Schauplatz - dort, wo sich die Geister scheiden.

Man muss durch unablässige Freiheitsbestrebungen sein Schicksal anfeuchten, es ölen, um in es hinein zu rutschen.

Der innere Bezirk, das Schlafzimmer der Eltern: Es riecht nach Erwachsensein, nach Seelendrama. Aufreizender (Tat)ort fürs Kind. Nirgendwo sonst zieht es das Opfer magischer hin . . . in der Zeit seiner (Geschlechts)reife.

Parteien, die ein Volk zu lange vertreten haben, sollten sich
nicht wundern, wenn selbiges zur selbstreinigenden Erholung (gegen sie) aufsteht.

Man kann nicht alles haben; man kann nicht immer sein.

So wie ein Jurist allzu leicht zum Rechts-, so kann ein Philosoph jederzeit zum Seinsverdreher abrutschen.

Er war seiner Geburt schon dermaßen reserviert gegenüber gestanden, dass er für den Rest seines Lebens keine Reserven mehr hatte, aus denen man ihn hätte locken können.

Gelingende Partnerschaft: Sie bringt Verständnis dafür auf, dass er an sich was nicht versteht.

Man muss sich nur ab und zu das traurige Mienen-Spiel aller potenziellen Besucher seines Begräbnisses vorstellen: Schon sieht man sie zu Lebzeiten ganz anders. Und wegen der Handvoll, der man tatsächlich abgehen wird, nicht sterben (wollen)?

Die Standesämter - die ewigen Ja-Gründe.

Der Mensch macht Filme über Tiere und Menschen - ihre Verhaltensweisen, kombiniert und getrennt. Wünschenswert: eine Sendung der Tierwelt über die Menschen. Täglich 20 Uhr, Menschenschau, Hai Sat.

Mit dem täglichen Aufwachen entgeht man dem Tod (erneut) um ein Haar. S(ch)o(en) langsam wächst das Seins-Toupet.

Die Nikotinsüchtigen und ihre Rauchzeichen: Du vermagst auch weiter hin nichts anderes als Unverständnis aus ihnen herauszulesen und hinein zu interpretieren.

Der weise Narr und seine Tor-Chancen.

Erst nachdem er sie gedreht und gewendet hatte, wie er wollte und noch einmal scharfblickend um sie herumgegangen war, konnte er - getäuscht, aber endgültig - feststellen: An dir liegt mir nichts.

Manchmal trüge man gerne
ein Panzerkleid . . . aus Marzipan; und machte, so über den Naschmarkt ziehend, damit allzu gern Furore.

Die Grenzziehung zwischen Einzelpersonen verläuft so wie jene zwischen Nachbarstaaten, abschnittweise "vernünftig" den natürlichen Gegebenheiten folgend, stückchenweise mutwillig gezogen, kompromisslos-künstlich in den Boden gestampft.

Alles liegt klar auf der Hand. Manches entdeckt man so spät - oft zu spät -, sodass man sich fortwährend rückwirkend ohrfeigen möchte.

Der Uhr schlägt jede Stunde.

Wenn man bedenkt, was die Menschheit alles noch ausbügeln muss und worin sie sich noch verbessern kann, bleibt der Welt gar nichts anderes übrig, als noch lange zu stehen.

Wenn ein Land so ausgeformt den Erdball ziert wie Italien, dann muss dieses Volk in puncto Design eine führende Rolle innehaben.

Man erschrickt über das plötzliche Fehlen von Wünschen. Es wirkt leise lähmend auf das schon Erreichte.

Beim Versuch, sich in Unmenschen und ihre (Miss)handlungen hinein zu fühlen, schaut im besten Fall nichts heraus . . . außer (teilweise) man selbst.

Erst wenn man sein Wesen rücksichtslos (für)wahr nimmt, kann man - allgemein betrachtet - nicht mehr (sich selber be)lügen.

Sein entsteht am besten bei stetem, kaum wahrnehmbarem Werde-Gang.

Er kann sich ein Leben ohne (seine große) Liebe nicht mehr vorstellen. Bei ihm ist’s jene zum Detail.

Heimisch werden, indem man fremdgeht.

Nach liebloser Kindheit und einigen fehlgeschlagenen Beziehungen zettelte er ein Verbrechen an, bei dem er ums Leben kam, um solcherart wieder eingezogen zu werden. Bei ihm war von Anfang an ‘s Herz nicht dabei.

Im Bestreben, sich alles überlebensnotwendig handlich zurechtbiegen zu müssen - die Zeit, die Sprache, das Leben, den Sinn -, bleibt der Mensch am Ende gebeugt zurück.

Reinhold Aumaier, geboren 1953, lebt nach langen Jahren in Wien nun als freier Schriftsteller, und Musiker in Obermühl (OÖ).