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Ein Papier für alle Wünsche

Von Katharina Schmidt

Politik

Ob Schule oder RH-Berichte: Die Verfassung fängt vieles auf.


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Wien. "Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus." Denkbar einfach, unmissverständlich und zeitlos schön steht er da, der erste Artikel der österreichischen Bundesverfassung. Er gehört zu den sogenannten Baugesetzen der Republik, ebenso wie das bundesstaatliche Prinzip oder das Prinzip der Gewaltentrennung. Eine Umformulierung würde nicht nur der für eine Änderung der Verfassung generell notwendigen Zwei-Drittel-Mehrheit im Nationalrat bedürfen, sondern auch einer Volksabstimmung.

So weit, so klar. Doch neben den Baugesetzen finden sich alle möglichen anderen Bestimmungen in der Verfassung, die zwar salbungsvoll klingen, die Idee eines Grundlagendokuments für den Staat aber ad absurdum führen. Beispielsweise wurde im Jahr 2003 ein Wunschzettel, wie man sich die Schule der Zukunft vorstellt, in der Verfassung verankert: "Demokratie, Humanität, Solidarität, Friede und Gerechtigkeit sowie Offenheit und Toleranz gegenüber den Menschen sind Grundwerte der Schule, auf deren Grundlage sie der gesamten Bevölkerung, unabhängig von Herkunft, sozialer Lage und finanziellem Hintergrund, unter steter Sicherung und Weiterentwicklung bestmöglicher Qualität ein höchstmögliches Bildungsniveau sichert." Und so weiter und so fort.

Für den Wiener Verfassungsjuristen Bernd-Christian Funk widersprechen derartige Bestimmungen dem Sinn der Verfassung, nämlich "die Grundfragen eines Staates und des Zusammenlebens der Gesellschaft zu definieren". Dass die werdende Regierung nun das Verbot der Sterbehilfe auch noch in der Verfassung verankern will, ist für Funk ebenso nachvollziehbar wie unnötig: Einerseits sei die Haltung einer Gesellschaft zur Sterbehilfe eine ähnliche Grundsatzentscheidung wie etwa jene zur Todesstrafe und damit deren Verankerung in der Verfassung "nicht von vornherein auszuschließen". Auf der anderen Seite sei gerade dieser Punkt in Österreich durch einfache Gesetze und Gerichtsurteile bereits zuverlässig abgegrenzt. Das wirkliche Problem der Palliativmedizin - wo hört die Schmerzbehandlung Sterbender auf und wo fängt die Sterbehilfe an? - werde auch durch eine Verfassungsbestimmung nicht gelöst, meint Funk. "Ich halte nichts davon, das hineinzuschreiben."

Verfassungsbestimmungen als "Alibiaktionen"

Ähnlich sieht das Ex-Rechnungshof-Präsident Franz Fiedler. Er kann nicht verstehen, warum verfahrensrechtliche Bestimmungen in den Verfassungsrang gehoben wurden - etwa, wann und wie ein RH-Bericht an die geprüfte Institution geht. Fiedler hat von 2003 bis 2005 den Österreich-Konvent geleitet, an dessen Ende zahlreiche Vorschläge zu einer Verfassungsbereinigung standen. Unter anderem hätten die mehr als 1000 Bestimmungen, die zwar im Verfassungsrang, aber nicht in der Verfassung selbst stehen, reduziert und in die Verfassung integriert werden sollen. Darunter fallen etwa das Neutralitäts-, das Habsburgergesetz oder die Europäische Menschenrechtskonvention.

Mit dem Österreich-Konvent habe es die Chance gegeben, diesen "Geburtsfehler" der Verfassung zu beseitigen und sie zu bereinigen - aber das sei nur sehr marginal umgesetzt worden. Und "derzeit sehe ich bei keiner der politischen Parteien auch nur den Ansatz, das zu ändern". Im Gegenteil: Derzeit würden Verfassungsbestimmungen dazu benutzt, "zum Ausdruck zu bringen, welchen Wert ein Thema für die Parteien hat". Weniger diplomatisch drückt es Funk aus: "Manchmal sollen diese verfassungsrechtlichen Alibiaktionen über das Versagen der Politik hinwegtäuschen."

Und so wird die Verfassung wohl weiterhin entfernt von einer puritanischen Spielregelverfassung sein, die nur die grundsätzlichen Prinzipien des Rechtsstaats festlegt. Stattdessen wird sie weiterhin eher die Begehrlichkeiten der Parteien auffangen. Das Problem: Es wird immer schwieriger, Fehler wieder gutzumachen. Verfügten früher SPÖ und ÖVP über eine Verfassungsmehrheit, brauchen sie mittlerweile die Stimmen von mindestens einer Oppositionspartei.