Eigentlich wäre bereits am 23. März Karsamstag - doch die Kirche rechnet anders. Über die Hintergründe einer Frühlingsdiskrepanz.
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Heute sollten an sich schon Osterfeuer brennen. Man wird sie dennoch erst in vier Wochen entzünden. Grund für die Diskrepanz ist eine Osterparadoxie.
Astronomen wissen: Der Frühling bricht alle 365,242 Tage aufs Neue an. Doch unser Kalender kennt keine Stellen hinter dem Komma. Er muss mit den Ganzzahlen 365 bzw. 366 auskommen. Die Schaltregel bestimmt, welche Jahre den Extratag bekommen. Damit hält der Kalender langfristig Schritt mit der Himmelsmechanik. Kurzfristig nicht unbedingt: In der Schule haben viele noch gelernt, der Frühling würde am 21. März beginnen. Tatsächlich zeigt unser Kalender zu Frühlingsbeginn jetzt immer den 20., mitunter sogar den 19. März. Die alte Schulweisheit stimmt erst im Jahr 2102 wieder.
Der irdische Äquator teilt die Erdkugel in eine nördliche und eine südliche Hemisphäre. Der Himmelsäquator macht Gleiches mit der Himmelskugel. Eine Hälfte der Sonnenbahn liegt über, die andere unter ihm. Die Sonne passiert diese Grenze zweimal im Jahr, zu Frühlings- und zu Herbstbeginn. Dann dauern Tag und Nacht gleich lang. Zumindest theoretisch: In der Praxis liegen die Verhältnisse, der optischen Wirkung der Erdatmosphäre wegen, etwas komplizierter.
Zartes Neulicht
Passiert die Sonne den Himmelsäquator im aufsteigenden Teil ihrer Bahn, endet der Winter. Die Dauer des lichten Tags beginnt die Dauer der dunklen Nacht zu übertreffen - was in alten Kulturen als Zeichen der Hoffnung galt. Oft nutzten diese den Mond als Zeitgeber. Der neue Mondmonat begann abends mit dem ersten Sichtbarwerden der noch ganz schmalen Mondsichel im Westen, ein oder zwei Kalendertage nach Neumond.
Dieses zarte Neulicht kehrt im Abstand von 29 oder, etwas häufiger, 30 Tagen wieder. Nach zwölf solcher Mondmonate sind allerdings erst 354 Tage verstrichen. Somit schiebt sich jeder einzelne Mondmonat in knapp dreieinhalb Jahrzehnten durch sämtliche Jahreszeiten. Wollte man das verhindern, müssten ganze Schaltmondmonate eingefügt werden - zum Beispiel, wenn es den Feldfrüchten im entsprechenden Mondmonat noch an Reife mangelte. Später ersann man fixe Schaltregeln, um Mondkalender und Sonnenjahr in Einklang zu bringen.
Im 6. Jh. v. Chr. waren Juden in Babylon gefangen und kamen mit dem dortigen Kalender in Kontakt. Die Ähnlichkeit der Mondmonatsnamen legt davon Zeugnis ab: Aus Nisannu wurde etwa Nisan, aus Ululu Elul, aus Addaru Adar. Auf einem Hügel nahe Jerusalem hielt man zunächst im Abstand von 29 Tagen Ausschau nach dem Neulicht. Gelang die Sichtung, wurde dies mit Feuern und Trompeten oder durch Boten kundgetan. Misslang sie, begann der neue Mondmonat am Abend danach. Der Kalendertag brach stets mit Sonnenuntergang an.
Die Wiener Minoritenkirche beherbergt eine Mosaikkopie des (letzten) "Abendmahls": Das Original stammt von Leonardo da Vinci. Der Meister hatte es zu Ende des 15. Jh. für den Speisesaal des Mailänder Klosters Santa Maria delle Grazie gemalt. Wie die Evangelisten Markus, Matthäus und Lukas berichten, feierte Jesus zuletzt das Pascha-Mahl, mit dem das mehrtägige Pessach- oder Pascha-Fest beginnt. Es erinnert Juden an die Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei und findet zum ersten Vollmond nach Frühlingsbeginn statt. Diesem letzten Abendmahl folgten Gefangennahme, Prozess und Kreuzigung Jesu.
Für Christen ist Jesus am dritten Tag nach seinem Tod, einem Sonntag, auferstanden - ein Ereignis, dessen sie beim Osterfest gedenken. In romanischen Sprachen leitet sich dessen Name klar vom jüdischen Pascha-Fest ab: Spanier nennen Ostern "Pascua", Franzosen "Pâques" und Italiener "Pasqua". Um den geschichtlichen Bezug zu wahren, wollten Christen ihr Osterfest in zeitlicher Nähe zum Pascha-Fest und damit zum Frühlingsvollmond feiern. Nur über den genauen Termin herrschte Uneinigkeit.
Im Jahr 325 n. Chr. hielt das Konzil von Nicäa (heute Iznik in der Türkei) sinngemäß fest: Ostern soll überall gleichzeitig begangen werden, und zwar am Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond. Um diesen Termin im Voraus zu wissen, wurden Ostertafeln erstellt. In Rom setzte man den astronomischen Frühlingsbeginn dabei konstant mit 25. März an, in Alexandria, das auf eine herausragende himmelskundliche Tradition verweisen konnte, mit 21. März.
525 n. Chr wurde der aus Skythien stammende Mönch Dionysius Exiguus mit der Fortführung der alexandrinischen Ostertafeln betraut. Er stieß sich an der Praxis, die Jahre ab der Thronbesteigung des römischen Kaisers Diokletian zu zählen, der ein brutaler Christenverfolger war. So begründete er die uns vertraute christliche Jahreszählung Anno Domini, im Deutschen durch die Abkürzung "n. Chr." charakterisiert. Wie Johannes Kepler 1606 erläuterte, war Dionysius allerdings von einem allzu späten Geburtsjahr Jesu ausgegangen: Der im Geburtsbericht noch lebende König Herodes ist nämlich schon Jahre vor Dionysius’ Ausgangsjahr verstorben.
Reform von Gregor XIII.
Bis 1582 blieb der Julianische Kalender in Kraft: Julius Cäsar hatte für das Sonnenjahr eine Dauer von exakt 365,25 Tagen angenommen - und deshalb alle vier Jahre einen Schalttag vorgesehen. Sein mittleres Kalenderjahr geriet so aber um gut elf Minuten zu lang. Nach jeweils 128 Jahren summierte sich der Fehler um einen weiteren Tag auf: Der für die Osterrechnung so wichtige 21. März rückte immer weiter vom astronomischen Frühlingsbeginn weg.
Um genau das zu korrigieren, ließ Papst Gregor XIII. im Oktober 1582 die mittlerweile zehn angesparten, überschüssigen Kalendertage ausfallen. Die alte Schaltregel wurde modifiziert, um die Anzahl der Schalttage ein wenig zu verringern. Wir verwenden Papst Gregors Kalender noch heute.
Bei Vollmond stehen Mond und Sonne einander gegenüber. Zwischen den Vollmonden verstreichen 29 Tage, 12 Stunden und 44 Minuten - aber nur im Mittel. Tatsächlich können es bis zu sechs Stunden weniger oder bis zu sieben Stunden mehr sein. Wie Kepler erkannte, folgt der Mond nämlich einer Ellipsenbahn und ändert deshalb periodisch sein Tempo.
Nach 19 Sonnenjahren (oder 235 Mondmonaten) fallen die Mondphasen wieder auf den gleichen Kalendertag. Diese nach dem griechischen Astronomen Meton benannte Periode hatte man auch in Alexandria zur Vollmondberechnung genutzt. Allerdings gibt es eine kleine Differenz im Stundenbereich, die sich über die Jahrhunderte hinweg aufaddiert. 1582 war der am Himmel sichtbare Mond schon vier Tage früher voll als der kalkulierte - ein weithin sichtbarer Rechenfehler!
Papst Gregor ließ daher auch die kirchliche Mondrechnung modifizieren. Um den zyklischen "Kirchenvollmond" langfristig seinem realen Vorbild am Himmel anzugleichen, greift seither auch hier eine - ganz spezielle - Schaltregel ein. Kurzfristig sind aber Abweichungen um einen Tag möglich.
In welchem Jahr Jesus verurteilt wurde, ist unklar. Prozessakten existieren nicht. Pontius Pilatus war bis 36 n. Chr. römischer Statthalter in Judäa. Wie von den Evangelisten Markus und Lukas überliefert, ließ er Jesus kurz nach dem letzten Abendmahl hinrichten - an einem Rüsttag, dem Tag vor dem Sabbat.
Schon Isaac Newton versuchte, das Todesjahr Jesu mit Hilfe der Astronomie zu bestimmen. Theoretisch müsste man dazu bloß ein Jahr finden, in dem der zum Pascha-Mahl gehörende Frühlingsvollmond auf einen späten Donnerstag oder einen Freitag fällt. Da rücken vor allem die Jahre 30 und 33 in den Fokus.
Die Evangelisten Matthäus, Markus und Lukas berichten von einer Finsternis am Kreuzigungstag. Sie soll von der sechsten bis zur neunten Stunde gedauert haben. Der Vorhang im Tempel riss entzwei. Bei Matthäus bebt außerdem die Erde. In Anlehnung daran setzte Egon Schiele 1907 eine totale Sonnenfinsternis in seine Kreuzigungsszene. Dabei wird die Sonne vom Neumond bedeckt. Weil sich der Neumond aber erst zwei Wochen nach dem Vollmond einstellen kann, scheidet eine astronomische Sonnenfinsternis am Kreuzigungstag aus.
Der Ostermond
Allerdings: Am 24. November des Jahres 29 n. Chr. tauchte eine dreistündige Sonnenfinsternis den Himmel über Jerusalem tatsächlich in düster-fahles Licht; knapp vor Mittag blieb von der Sonne bloß noch eine sehr feine Lichtsichel übrig. In Bithynien soll es damals ein Erdbeben gegeben haben, das Nicäa größtenteils zerstörte. Falls Jesus am 7. April 30 starb: Wurde diese, Monate zuvor erfolgte Sonnenfinsternis in der Rückschau mit seinem Tod verwoben?
Exakt am zweiten recht plausiblen Kreuzigungstermin, dem 3. April 33, ereignete sich eine Mondfinsternis. Als der Frühlingsvollmond Freitagabend über Jerusalem aufging, fehlte ihm links oben ein Drittel seines Runds. Fand vielleicht dieses Ereignis Eingang in die Evangelien?
Für die Kirche beginnt der Frühling nach wie vor stets am 21. März. Den Vollmond und den nächsten Sonntag abwartend, kann Ostern zwischen dem 22. März und dem 25. April liegen. Ostersonntage im März sind seltener und werden stets von Jahren mit Aprilterminen umrahmt. Der April gerät somit zum Ostermonat schlechthin; er wurde früher auch "Ostermond" genannt.
Sowohl der kirchlich fixierte Frühlingsbeginn als auch der zyklische Kirchenvollmond weichen von der Himmelsmechanik ab. In acht von rund hundert Jahren würden Astronomen letztlich an anderen Sonntagen feiern. Man spricht dann natürlich nicht von "falschen Ostern" - die Kirche irrt ja nicht -, sondern von einer Osterparadoxie.
So auch heuer: Der astronomische Frühling begann am 20., der reale Frühlingsvollmond folgte am 21. März 2019. Hingegen stellte sich der zyklische Kirchenvollmond schon am 20. ein - also einen Tag vor dem mit 21. März festgelegten, kirchlichen Frühlingsbeginn: Er qualifizierte sich daher nicht als Frühlingsvollmond. Wir müssen somit auf den nächsten vollen Mond warten und feiern Ostern erst am 21. April. Wie auch immer - irgendwann in den Osterferien lacht immer der Vollmond auf uns herab, und zwar aus dem ausgedehnten Sternbild Jungfrau.
Christian Pinter, geboren 1959 in Wien, schreibt seit 1991 im "extra" über Astronomie und Raumfahrt. www.himmelszelt.at