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Ein Parlament, weit weg von seinen Wählern

Von Christian Ortner

Gastkommentare
Christian Ortner.

Die EU möchte das Asylwesen völlig neu regeln - mit leider ziemlich untauglichen und weltfremden Ideen.


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Wenn es nach dem EU-Parlament geht, werden künftig nicht nur wie bisher einzelne Migranten in der EU um Asyl ansuchen können, sondern auch gleich ganze Gruppen von maximal 30 Personen, egal ob sie miteinander verwandt sind oder bloß bekannt. Dass dies besonders hilfreich sein wird, die Zahl der nach Europa strömenden Migranten zu verringern, darf wohl eher bezweifelt werden. Dies ist freilich nur eine von vielen neuen Regeln, mit denen die EU-Parlamentarier das Asylrecht völlig neugestalten wollen. (Offen ist freilich noch, ob und wie weit die in dieser Frage letztlich zuständigen Mitgliedstaaten das umsetzen wollen oder nicht.)

In einem sind sich ja alle weitgehend einig: Gescheitert und am Ende ist das bestehende "Dublin"-System, wonach nur jener Staat, in dem ein Asylwerber das erste Mal EU-Territorium betritt, für diesen Migranten zuständig ist. In der Praxis müssen aus rein geografischen Gründen vor allem Italien und Griechenland die ganze Migrationslast der EU tragen. Denn dort kommen nun einmal die meisten Zuwanderer an. Dass dies in der Praxis nicht funktionieren kann, ist spätestens seit 2015 klar sichtbar geworden.

Von der hiesigen Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet, deutet sich nun langsam das künftige EU-Asylsystem an. Und das hat es in sich. Geht es nämlich nach dem EU-Parlament (und teilweise der EU-Kommission), soll das Erstankunftsland künftig nur noch für die korrekte Registrierung der Migranten verantwortlich sein, die dann auf die ganze EU aufgeteilt werden sollen. Welcher Staat wie viele aufzunehmen hat, soll ein Verteilschlüssel vorgeben, unter Berücksichtigung von Wirtschaftsleistung, Einwohnerzahl und bisheriger Aufnahme von Asylwerbern durch die einzelnen Staaten. Darüber hinaus sollen Migranten auch bis zu einem gewissen Grad Länderpräferenzen äußern dürfen. Gestattet soll ihnen eine Wahl unter den vier Ländern werden, die nach dem EU-Verteilschlüssel die wenigsten Asylsuchenden erhalten.

Leider zeigt dieser Vorschlag vor allem eines: den Mangel des EU-Parlamentes an Einsicht in die Lebenswirklichkeit der Menschen in Europa. Denn solange die Sozialleistungen für Zuwanderer in Deutschland, Österreich oder Schweden so hoch sind, wie sie eben sind, werden diese Staaten die Mehrheit der Migranten unwiderstehlich anziehen. Wie aber ein Migrant, der unter dem neuen Asylregime in Litauen bleiben soll, daran gehindert werden soll, nach Mutti Merkels Germany zu ziehen, hat uns das EU-Parlament bisher leider verschwiegen. Genauso wenig ist bisher ja auch dazu zu erfahren, wie eine Bevölkerung, die eine solche zwangsweise Zuteilung von Migranten just nicht haben will, dazu gezwungen werden soll. Vor allem, wenn gleich Gruppen zu je
30 Personen das Zielland wider Willen bereichern können.

Wenn überhaupt, dann kann ein derartiges System vermutlich nur dann leidlich klappen, wenn die Sozialleistungen für Zuwanderer EU-weit vereinheitlicht werden, und zwar auf einem deutlich niedrigeren Niveau als etwa derzeit in Deutschland oder in der Stadt Wien. Vor allem wäre da eine Umstellung der Geldzahlungen an Migranten auf Sachleistungen zu nennen. Das würde nämlich aller Wahrscheinlichkeit nach den Zustrom neuer Zuwanderer tatsächlich bremsen.