Gewichtige Worte zu Gegenwartsfragen, aber kein Eingehen auf Kircheninterna. | Wien. Zum großen Massen-event wurde der Papstbesuch, teils auch wegen des Wetters, nicht. Mit 32.000 wetterfesten Pilgern war der samstägige Gottesdienst zur 850-Jahr-Feier von Mariazell die bestbesuchte Station, während im italienischen Modena 50.000 Startenor Luciano Pavarotti die letzte Ehre gaben. Aber von jenen, die dem Papst direkt oder via Medien begegnet sind, dürfte es keiner bedauern. Benedikt XVI. wurde seinem Ruf, prägnant und mit Tiefgang zu formulieren, gerecht. Er hielt während seines dreitägigen Aufenthalts in Wien, Mariazell und Heiligenkreuz gewichtige Ansprachen mit globaler Perspektive, deren Inhalte - unabhängig vom weltanschaulichen Standort - bedenkenswert bleiben.
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Seine heuer einzige Auslandsreise in ein europäisches Land nutzte der Pontifex für klare Botschaften an Europa, das er in seiner Mariazeller Predigt wegen der "Resignation gegenüber der Wahrheit" in der Krise sieht. Diese Resignation äußere sich in Kinderarmut und Zukunftsangst.
Tags zuvor hatte Benedikt in der Wiener Hofburg eindringlich zum Schutz des menschlichen Lebens in allen Phasen aufgerufen und Abtreibung und Sterbehilfe verurteilt. Der Horizont dieser vielbeachteten Rede reichte aber deutlich weiter als nur zu seiner für Unruhe sorgenden Kritik an der österreichischen Rechtsordnung und deren Kompromisslösung: Abtreibung gelte nach wie vor als Unrecht, werde aber - sie wird ja innerhalb einer bestimmten Frist nicht be-straft - faktisch kaum mehr als Unrecht empfunden.
Zur Botschaft des Papstes an Europa zählte auch der Aufruf, sich auf die christlichen Wurzeln zu besinnen. In diesen Kontext passte seine, auf österreichischen Wunsch zum Predigtthema am Sonntag gemachte, Betonung der Sonntagskultur im Wiener Stephansdom und anschließend auf dem Stephansplatz. "Tragt den Sonntag mit seiner unermesslich großen Gabe in die Welt hinein!", rief er den rund 20.000 Gläubigen beim Angelus-Gebet zu.
"Wo Gott ist, da ist Zukunft", betonte der Papst in Mariazell und verkündigte einen Gott, der die Welt "nicht durch das Schwert, sondern durch das Kreuz erlöst" habe. Religion dürfe nicht auf Macht und Gewalt setzen, der christliche Gott komme "in der Ohnmacht seiner Liebe, die seine Macht ist". Der Glaube an ihn sei "keine Verachtung anderer Religionen", sagte Benedikt XVI., der auch unmissverständlich klarstellte: "Das Christentum ist mehr und etwas anderes als ein Moralsystem."
Der intellektuelle Benedikt XVI. betont weniger als sein charismatischer Vorgänger die moralischen Fragen, sondern mehr die grundsätzlichen Fragen nach der Existenz und dem Wesen Gottes. Seine Überzeugung wird erkennbar: Wer Gott als die Liebe erkennt und auch selbst als Liebender zu handeln versucht, findet auch zur richtigen Moral.
Beachtlich ist, wie Benedikt in Kurzform wichtige, aber vielen nicht mehr geläufige katholische Lehren prägnant darstellte. In die Mariazeller Festmesse baute er in die Predigt knappe positive Begründungen aller Gebote des Dekalogs ein, bei der Vesper waren Priester und Ordensleute ergriffen, wie er ihnen die sogenannten evangelischen Räte erläuterte: Armut, Keuschheit und Gehorsam.
Neben den großen Botschaften hatte der Papstbesuch sicher den Effekt, die katholischen Kernschichten, die "Treugebliebenen", von denen der Papst im Anflug gesprochen hatte, zu stärken. Doch die innerkirchlichen "heißen Eisen" wurden nicht, schon gar nicht im Dialog mit Betroffenen, angesprochen. Das war dem Pilger aus Rom auf dieser Reise nicht so wichtig. Doch die Probleme bleiben auf dem Tisch, wenn in Österreich wieder der kirchliche Alltag einkehrt.