44.501 Personen dürfen wählen – zum ersten Mal per Post.
| Wahlkampf ist kaum spürbar, Urnengang stößt auf wenig Interesse.
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St. Pölten. Das Jahr 2011 ist nicht gerade reich an Urnengängen. So sorgt ein Wahlereignis in einer nicht ganz unwesentlichen Landeshauptstadt wohl ob seiner Exotenposition für Furore. Würde man meinen. Denn die St. Pöltener Gemeinderatswahl, die am 3. Juli über die Bühne gehen wird, hat bisher kaum Beachtung gefunden.
Immerhin bei der Einfahrt kommt man am Wahlkampf nicht vorbei: Vor Einkaufszentren und Industriegebäuden fordern SPÖ, ÖVP und FPÖ auf Plakaten "mehr" von allem: Mehr Sicherheit plakatieren die einen, mehr Jobs die anderen. Viel mehr als "mehr" kann die SPÖ auch nicht anbieten. Immerhin ist St. Pölten eine rote Festung innerhalb des tiefschwarzen Niederösterreich. Unter Bürgermeister Matthias Stadler halten die Sozialdemokraten seit 2006 die absolute Mandatsmehrheit – mit beinahe 60 Prozent der Stimmen.
Und die Zufriedenheit mit dieser Situation scheint hoch zu sein. In der Fußgängerzone – dort sind Wahlplakate verboten – reiht sich ein Kaffeehaus an das andere. Vor den pittoresken Häuschen sitzen die Menschen in Schanigärten beim Kaffee.
Hohe Zufriedenheit in der Bevölkerung
Angesprochen auf die Wahl zeigt sich eine Gruppe Pensionisten unbeeindruckt. "Gott sei Dank gibt es nicht so viel Werbung", meint einer. Sein Bekannter hat schon gewählt: Mit Hilfe der Briefwahl, die es seit Mitte Juni auch in St. Pölten gibt. "Ich finde den Bürgermeister sehr sympathisch, egal von welcher Partei er ist." Der andere ist nicht begeistert: "Ich habe nichts gegen Stadler, sehr wohl aber gegen die Roten", daher werde er wohl seinen "Freund Nonner" wählen.
Hermann Nonner, ehemaliger Polizeibeamter und selbsternannter "Bürgeranwalt", hat 2001 nach Differenzen mit Ewald Stadler (mittlerweile BZÖ) eine eigene Liste von der FPÖ abgespalten, 2006 holte er sich ein Mandat im Gemeinderat. Nun ist er in den Schoß der Blauen zurückgekehrt. Als parteifreier Kandidat ist er bemüht, die FPÖ von ihrem "bescheidenen Niveau" in neue Höhen zu führen, sagt Nonner. Um sein Ziel – vier Mandate im Gemeinderat und damit einen Sitz im Stadtsenat – zu erreichen, haben sich er und seine Mitstreiter die Themen Sicherheit, Sauberkeit, Leistbarkeit und Bildung auf die Fahnen geheftet. Und die verbreiten sie mit vollem Einsatz, ist doch der einzige Wahlkampfstand in der Innenstadt an diesem Tag ein blauer.
Dort lassen sich gerade zwei junge Maurer mit blauen Giveaways eindecken. Sie sind begeistert von der Partei und ihrem Obmann. Heinz-Christian Strache sei für die Jugend, "und geht mit ihr in die Disco". Auch die freiheitliche Europapolitik findet Zustimmung. "Strache will aus der EU und das ist gut." Was ist schlecht an der EU? "Die will uns das Wasser wegnehmen – wir haben nämlich die größten Süßwasserreserven." Woher er denn das wisse? "Der HC Strache weiß das."
Scharfe Kritik an frühem Wahltermin
ÖVP-Vizebürgermeister Matthias Adl beklagt indes den frühen Wahltermin. Adl ist nämlich, wie auch der grüne Spitzenkandidat Cagri Dogan, erst vor kurzem zum Spitzenkandidaten erkoren worden. Die beiden tun sich nun etwas schwer mit dem Stimmenfang. "Wenn man sich bis jetzt nicht vorbereitet hat, dann hat man ohnehin was verschlafen", sagt Stadler dazu.
Die ÖVP tritt, wie es scheint, an, um die Gesprächsbasis mit den Sozialdemokraten zu verbessern: "Je größer das Minus der SPÖ, umso größer das Plus für die Zusammenarbeit nach der Wahl." Die Wahlkampfthemen der Schwarzen sind dabei klar abgesteckt: Die innerstädtische Hess-Kaserne soll in die leer stehende Kopal-Kaserne an der Autobahn übersiedeln, in der Innenstadt dafür Platz für junges Wohnen entstehen. Weiters will man einen Indoor-Spielplatz; der Domplatz soll multifunktionell, aber keinesfalls autofrei werden.
Der Domplatz – das ist scheinbar das einzige Thema, zu dem alle Parteien etwas zu sagen haben: Auf dem Gelände, das einst als Parkplatz genutzt wurde, gibt es derzeit umfangreiche archäologische Ausgrabungen. Geht es nach den beiden Großparteien, so sollen die Parkplätze teils durch Schanigärten ersetzt werden. Die SPÖ kann sich in ferner Zukunft auch ein Verschwinden der Parkplätze vorstellen. Das wollen auch die Grünen, weder FPÖ noch ÖVP können sich damit aber anfreunden.
Domplatz als einziges gemeinsames Thema
Auch für einen jungen Mann in einem Bistro ist das keine Option. Die Parkplätze seien gerade für Einpendler wichtig, von denen es in St. Pölten aufgrund der zahlreichen Betriebe mehr als Auspendler gibt. Geht es nach den Grünen, so muss in St. Pölten nicht nur Mobilität ohne Auto ermöglicht werden. Die Ökopartei wirbt vielmehr auch für ein "atomstromfreies St. Pölten", Energieautarkie und mehr Bürgernähe.
Apropos Bürgernähe: Neben den etablierten Parteien und den Christen treten zur Wahl auch zwei Bürgerlisten an: "Wir für St. Pölten" wendet sich unter anderem gegen das Frequency-Festival, das alljährlich an der Traisen abgehalten wird und in der Vergangenheit für Ärger bei den Anrainern gesorgt hat. Die andere, "Bürgerliste – Für St. Pölten", ist eine "Twinni"-Bürgerliste: Die Spitzenkandidaten kommen aus Grünen und BZÖ. Sie beklagen etwa, dass in der Landeshauptstadt die Stadträte keine Ressorts haben.
Viele Themen also – aber irgendwie scheint keines den Wahlkampffunken zu entzünden. So spricht denn auch der Mann im Bistro von einer "Insel der Seligen". Und ein paar junge Männer, die gerade beim Griechen ihr Mittagsmenü genießen, wissen überhaupt nicht, dass bald Wahltag ist in St. Pölten. Damit sind sie wohl nicht alleine.