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Ein Poker-Festival mit Nachspiel

Von Peter Muzik

Wirtschaft

Aus Milliardendeals wurden Zitterpartien. | Energieversorger sind ausgestiegen. | Drohende Risiken kaum einschätzbar. | Sie sind beide Juristen, sie sind kosmopolitisch angehaucht und beruflich durchaus nicht erfolglos: Steffen Heinrich (45) und Christian Mortinger (38) haben es sich mit einer kleinen Firma in einer riesigen Marktnische gemütlich gemacht. Sie treten seit drei Jahren als Troubleshooter auf - der eine in Wien, der andere in New York - und sind so zu Krisengewinnern geworden. Ihre im März 2007 gegründete Firma Heinrich & Mortinger Global Financial Services beschäftigt sechs Consultants und erfreut sich vor allem seit dem Vorjahr beträchtlicher Nachfrage.


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Die beiden Firmenchefs, die bereits in den USA, England, Deutschland und Australien tätig waren, können laut ihrer Homepage auf eine "große Anzahl erfolgreich abgeschlossener Transaktionen" zurückblicken und ihrer Klientel "ganzheitliche Beratung und kompetente Unterstützung (. . .) bei der Nachbetreuung strukturierter Finanztransaktionen" anbieten.

Weniger verklausuliert formuliert heißt das: Heinrich, früher für die Raiffeisen Zentralbank im Einsatz, und Mortinger, einst bei der internationalen Anwaltssozietät Shearman & Sterling engagiert, sind auf einen geradezu magischen Begriff spezialisiert, der hierzulande vor zehn, fünfzehn Jahren insbesondere staatsnahe Unternehmen fasziniert hat, doch inzwischen für etliche Chefs zum mittleren Horror geworden ist: Cross Border Leasing. Die beiden haben solche komplizierte Finanzdeals, als diese noch verlockend erschienen, mit einem Volumen von mehreren Milliarden Dollar arrangiert - und nun beraten sie all jene, die von den mittlerweile Angst und Schrecken auslösenden Transaktionen nichts mehr wissen wollen.

Auf der Kundenliste von Heinrich & Mortinger finden sich rot-weiß-rote Unternehmen wie Bewag, Begas, Energie AG, die Innsbrucker Kommunalbetriebe, Linz AG, ÖBB, OÖ Ferngas, Telekom Austria und Wiener Linien, aber auch die Gemeinde Wien. In Deutschland hat die in Wien ansässige Consulting-Firma, die mit Büros auch in Berlin und New York vertreten ist, ebenfalls prominente Referenzen vorzuweisen: etwa die Städte Bochum, Gelsenkirchen und Mannheim.

60 Transaktionen für22 Milliarden Dollar

Die Genannten verbindet ein einstiges Abenteuer: Sie haben vor Jahren in einer Art Goldgräberstimmung mehrere 1000 Seiten umfassende, seither strikt geheim gehaltene Verträge auf Englisch unterzeichnet, um das erhoffte Geschäft ihres Lebens zu machen. In der Regel wurden von Kommunen und staatsnahen Betrieben öffentliche Anlagegüter wie Straßenbahn- und U-Bahn-Garnituren, Kanalnetze, Kläranlagen, Wasserleitungen, Kraftwerke etc. an clevere US-Investoren langfristig verleast und gleich im Gegenzug wieder zurückgeleast.

Die hochkomplexen, letztlich auf einem simplen Steuertrick beruhenden Geschäfte - Grundprinzip war die doppelte steuerliche Nutzung eines Wirtschaftsguts, die vor allem dem US-Investor steuerliche Verluste zu Beginn der Laufzeit sicherte - bescherten den amerikanischen Partnern sogenannte Barwertvorteile, von denen auf die österreichischen Vertragspartner ein paar Prozent abfielen (siehe Kasten rechts unten).

Um die Jahrtausendwende setzte in einschlägigen Chefetagen ein regelrechter Hype ein: Mit Rückendeckung der zuständigen Politiker und Aufsichtsräte - nur in Vorarlberg, Kärnten, der Steiermark und Niederösterreich blockten die Landeshauptleute die riskanten Spielchen ab - wurden nach und nach etwa 60 Transaktionen im Gesamtwert von rund 22 Milliarden Dollar besiegelt. Damit gingen etwa 10 Prozent aller in Europa abgeschlossenen Cross-Border-Leasing-Verträge auf das Konto von Österreich - und dabei war die Kommunalkredit in die Abwicklung häufig involviert.

Auch wenn etwa Oberösterreichs LH Josef Pühringer mit derartigen Deals schon damals "keine Freude" hatte, trat die landeseigene Energie AG Oberösterreich zum einen die Nutzungsrechte ihres Hoch-, Mittel- und Niedrigspannungsnetzes für 99 Jahre an die Amerikaner ab; zum anderen verleaste sie auch 14 ihrer 15 Wasserkraftwerke - unter der Prämisse, dass sie frühestens nach 31 Jahren aussteigen könne.

Wertmäßig weit übertroffen wurde diese Transaktion von der Verbundgesellschaft, die gleich acht Donau-Kraftwerke für 7,5 Milliarden Dollar weiterreichte. Auch die Tiroler Tiwag, die mit 14 Kraftwerken spekulierte, und die ÖBB, die jede Menge Loks und Waggons, aber auch Verschubbahnhöfe und Signalanlagen für 4,7 Milliarden Dollar ver leaste, trumpften groß auf (siehe Tabelle links).

Fast alle wollen ausden Verträgen raus

Doch die allgemeine Euphorie wegen der zu erwartenden Nettobarwertvorteile - der Verbund versprach sich ein "Körberlgeld" von 300 Millionen Dollar, die Tiwag freute sich auf fast 200 Millionen, und die ÖBB rechneten mit 272 Millionen - währte nicht lange: 2004 kam es zu einer Änderung im US-Steuerrecht, womit die bis dahin geltenden steuerlichen Vorteile entfielen und die dubiosen Spielchen für Investoren den Anreiz gänzlich verloren. Manche von ihnen haben - wegen möglicher Steuernachzahlungen - prompt höhere Rückstellungen gebildet und obendrein Interesse signalisiert, wieder aus der Sache auszusteigen.

Mit dem Ausbruch der Finanzkrise im Herbst 2008 tickte für so gut wie alle österreichischen Vertragspartner plötzlich eine Zeitbombe. Denn es stellte sich heraus, dass gerade jene US-Finanz- und -Assekuranzinstitute am massivsten getroffen wurden, die bei etlichen Coups in Österreich involviert waren. Beste Beispiele: die AIG American International Group, die letztlich vom Staat gerettet werden musste, Freddie Mac oder die State Street Bank. Wegen der schlechteren Ratings der US-Partner mussten die Österreicher fast durchwegs Sicherheiten austauschen, zum Beispiel US-Staatsanleihen erwerben, was höhere Kosten bedeutete und die erhofften Einnahmen schmelzen ließ.

Das Zittern ist nochlange nicht vorbei

Nach der heftigen Kritik, die etwa vom Kontrollamt der Stadt Wien an derartigen Leasing-Verträgen geäußert wurde, kam es reihenweise zu hektischen, teilweise noch dazu kostspieligen Vertragsauflösungen. Die Gemeinde Wien und ihre Wiener Linien etwa stiegen aus einigen Kontrakten aus, der Verbund löste rund 80 Prozent seiner Vereinbarungen auf, und auch die Stromfirmen Bewag und Energie AG OÖ sowie die Innsbrucker Kommunalbetriebe zogen ein Ende mit Schrecken einem Schrecken ohne Ende vor.

Seit Monaten ist jedenfalls guter Rat teuer, was primär die Consulter von Heinrich & Mortinger freut. Welche Risiken bei den aufrechten Verträgen (etwa der Post, der ÖBB oder der Gemeinde Wien) noch schlagend werden könnten, steht aufgrund der langen Vertragslaufzeiten in den Sternen. Genaueres wird man erst in 20, 30 Jahren wissen. Das Wiener Kontrollamt schließt jedenfalls "massive Rechts- und Folgekosten" nicht aus und sieht für den Fall, dass eine Depotbank in Konkurs gehen sollte, die Gefahr, dass der dann drohende Verlust den erwarteten Reibach der Geschäfte "bei Weitem übersteigt".

Wie die Geschäfte liefen

Die US-Investoren, die Cross Border Leasing auch in Österreich propagiert haben, waren Banken, Versicherer oder sonstige Großfirmen. Als Initiatoren der ebenso komplizierten wie mysteriösen Geschäfte haben sie von Steuervorteilen profitiert, die in den USA bis 2004 möglich waren. Sie gründeten einen oder mehrere - europäischen Stiftungen ähnliche - Trusts, um die Leasingobjekte an- und wieder zurückzuvermieten.

Die Amerikaner zahlten die Hauptmiete für die gesamte Laufzeit vorweg. Die Partner aus Österreich, die die Anlagegüter eingebracht hatten, aber deren Eigentümer blieben, durften insofern mitschneiden, als sie den Nettobarwertvorteil lukrierten - eine Einmalprämie, die mit Abschluss der Deals fällig war. Zugleich übernahmen sie aber eine Reihe teils erheblicher Risiken während der gesamten Transaktionsdauer. Meist betrug die Laufzeit 99 Jahre bei Hauptmietverträgen und 20 bis 35 Jahre bei Sub-Lease-Kontrakten. Die nötigen Fremdmittel, in der Regel 85 Prozent, wurden den US-Investoren mittels Darlehen von amerikanischen und/oder europäischen Banken bereitgestellt. Der österreichische Vertragspartner wiederum legte die erhaltene Vorauszahlung auf verzinste Depots bei Finanzinstituten - den "Payment Undertakers", die sich verpflichteten, daraus die Untermiete zu zahlen.

Das ziemlich riskante Jonglieren mit öffentlichem Eigentum ist dann beendet, wenn die Rückkaufoption nach der vereinbarten Vertragslaufzeit zum fixierten Restwert ausgeübt und damit das Hauptmietrecht abgelöst wird. Wegen der Finanzkrise sind aber etliche Verträge bereits vorzeitig aufgelöst worden.