Der Versuch von Ex-Präsident Lula da Silva wieder ins Zentrum der Macht zu rücken, lässt in Brasilien die Wogen hochgehen. Demonstranten fordern seinen Rückzug und den seiner Nachfolgerin Rousseff.
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Rio de Janeiro. In Brasilien kündigt sich eine veritable Staatskrise an: Ein abgehörtes Telefongespräch zwischen Staatspräsidentin Dilma Rousseff und ihrem Vorgänger Lula da Silva bringt ihre Landsleute derart in Rage, dass Medien bereits über Neuwahlen spekulieren. Am Wochenende hatten Millionen Brasilianer auf den Straßen den Rücktritt Rousseffs gefordert. Kommenden Sonntag wird mit neuen Massendemonstrationen gerechnet.
In dem Gespräch, in dem Lula einen äußerst rüden Umgangston an den Tag legt, sicherte ihm Rousseff nicht nur devot einen Regierungsposten zu, sondern versprach ihm gleichzeitig, sein künftiges Amt mit diversen Sondervollmachten auszustatten. Auf diese Vollmachten habe er jederzeit Zugriff, "falls dies notwendig ist", beschwichtigte ihn Rousseff. Gestern, Donnerstag, trat Lula, der sich mit den Worten "Tschüss Liebste" verabschiedete, sein neues Amt im Range eines "Kabinettschefs" an. Allerdings lehnte der Bundesrichter Itagiba Catta Preta Neto kurz darauf die Amtsübernahme durch Lula mit Hinweis auf die laufenden Korruptionsermittlungen ab.
Überall Petrobras
Kritiker werfen der Präsidentin vor, mit Lulas Aufnahme in den Ministerrang dafür zu sorgen, dass der mit einer möglichen Anklage wegen Bestechung konfrontierte Ex-Präsident vor strafrechtlicher Verfolgung geschützt wird. Dem widersprach Rousseff. Sie verspreche sich von der Kabinettsumbildung eine Stärkung der Regierungsarbeit, meinte sie. Die Justiz könne ihre Ermittlungen ja fortsetzen. Doch Glauben schenkt ihr niemand mehr. Dass sie die Entscheidung der Anti-Korruptionsermittler, ob gegen Lula Anklage erhoben wird, nicht abwarten will, liegt für die Brasilianer auf der Hand. Erst vor wenigen Tagen war Lula zum Verhör zitiert worden.
Mit dem Postenschacher erreicht der Korruptionsskandal einen neuen Höhepunkt: Die Ermittlungsbehörden hatten in den letzten Monaten schier unglaubliche Geldflüsse zwischen dem staatlichen Ölkonzern Petrobras und der regierenden Arbeiterpartei (PT) aufgedeckt. Das Netzwerk von korrupten Politikern, Unternehmen und Parteifunktionären ist allerdings nicht nur auf die Regierungspartei beschränkt, auch prominente Oppositionelle sind ins Visier der Justiz geraten.
Die Veröffentlichung des Telefongesprächs seitens des Bundesrichters Sergio Moro hat bei den Anhängern der Arbeiterpartei (PT) scharfe Kritik ausgelöst, in der Parteigründer Lula immer noch große Popularität genießt. Die Interpretation des Gesprächs sei einseitig, beklagen sie. Die Partei mobilisierte am Donnerstag ihre Anhänger, um zumindest medial ein Gegengewicht zu den bislang vorherrschenden TV-Bildern der wütenden Opposition zu schaffen. Rousseff steht noch unter dem Eindruck der Massenproteste des vergangenen Wochenendes, als mehr als drei Millionen Menschen auf die Straßen gingen, um gegen die Korruption und die Vetternwirtschaft in der PT zu demonstrieren: "Dilma raus und Lula ins Gefängnis" riefen dabei die Menschen. Mit Lulas Rückkehr provoziert Rousseff nun die Opposition, deren Anhänger wütende Kommentare in den sozialen Netzwerken posten und erbitterten Widerstand auf der Straße ankündigen. Rousseff riskiert mit dem Schachzug wochenlange Proteste, deren Eigendynamik nur schwer vorherzusagen ist. In den sozialen Netzwerken macht vor allem ein Zitat von Lula die Runde, das aus dem Jahr 1998 stammen soll: "Ist ein Dieb arm, kommt er ins Gefängnis. Ist er reich, wird er Minister."
Zeitgleich machen zahlreiche Grafiken die Runde: "Brasilien in Trauer" steht dort geschrieben. Andere ersetzen die Worte "Ordnung und Fortschritt" in der Nationalflagge durch die Begriffe "Korruption und Unverfrorenheit". Zum viralen Internethit ist ein Video geworden, dass die Übergabe der präsidialen Schärpe von Lula an Rousseff im Jahr 2011 zeigt. Diesmal allerdings im Rückwärtsgang - als habe Lula da Silva plötzlich wieder die Macht inne. Vertreter der Arbeitspartei geben auch unumwunden zu, dass Lula im Falle des Falles seine Nachfolgerin retten soll, der wegen illegaler Wahlkampffinanzierung und geschönten Budgetdaten die Amtsenthebung droht.
Buhrufe für Rousseff
Doch der Eklat ist offenbar auch gewollt: Demonstrativ feierte sich die Spitze der PT am Donnerstagmorgen selbst. Während die Übertragung der Zeremonie über die Bildschirme flimmerten, versuchten Demonstranten das Regierungsgebäude zu stürmen. In in den sozialen Netzwerken kommentierten die Menschen TV-Bilder zynisch. Als Rousseff ans Mikrofon tritt, störten Zwischenrufe die Rede. Die Regierungsgegner wurden von Funktionären der Arbeiterpartei mit erhobenen Fäusten niedergebrüllt. Die Atmosphäre dieses Donnerstagmorgens lässt nichts Gutes für die nächsten Wochen vermuten.