Ibrahim Olgun ist neuer Präsident der IGGiÖ. Trotz interner Streitigkeiten weckt der Generationenwechsel Hoffnungen.
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Wien. Für Außenstehende machte die Islamische Glaubengemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) in den vergangenen Tagen und Wochen mitunter einen chaotischen Eindruck. Eigentlich hätte vergangenen Sonntag doch noch kein neuer Präsident gewählt werden sollen. Wie schon einige Male zuvor war auch der Termin am 19. Juni abgesagt worden. Der alte Präsident Fuat Sanac wollte sich mit seiner Entscheidung über eine erneute Kandidatur bis zum letzten Tag Zeit lassen. Vergangenen Samstag aber warf Sanac dann doch das Handtuch - dem Vernehmen nach wollte er sich auf keine Kampfabstimmung gegen seinen Herausforderer Ibrahim Olgun einlassen.
Und so kam es vergangenen Sonntag dann doch zur Wahl. Wobei die Entscheidung für Olgun mangels Gegenkandidaten eher eine Kür denn eine Wahl war. Wer ist der Neue an der Spitze der Vertretung der Muslime in Österreich?
Junge wollen Veränderung
Ibrahim Olgun, geboren 1987 in Mistelbach in Niederösterreich, studierte nach der Matura in Ankara Theologie. Seit 2013 ist der Sohn türkischer Gastarbeiter bei Atib engagiert, zuerst als Integrationsbeauftragter, dann als Fachinspektor für den Religionsunterricht in Wien. Atib, der Dachverband der türkisch-islamischen Religionsvereine in Europa, steht bekanntermaßen der türkischen Religionsbehörde Diyanet nahe.
Die türkische Religionsbehörde hält die Verbände in Europa an der kurzen Leine. Das geistige und kulturelle Leben in Europa wird größtenteils straff von der Türkei aus organisiert. Bis vor kurzem wurden Imame nicht nur in der Türkei ausgebildet, sondern auch aus dem Ausland finanziert - dieser Praxis soll nun mit dem neuen Islamgesetz ein Riegel vorgeschoben werden. Die Wahl von Olgun wird in der IGGiÖ nun als Signal der Erneuerung gedeutet. Vor allem junge Muslime können mit den verkrusteten Strukturen in der Glaubensgemeinschaft nichts anfangen und wenden sich ab. Dieser Entwicklung will nun Olgun entgegenwirken.
Er wisse aus eigener Erfahrung, wie es sei, in Österreich aufzuwachsen und nach der eigenen Identität zu suchen, sagt Olgun. Er sieht sich als Brückenbauer zwischen Muslimen und autochthonen Österreichern wie auch zwischen den Generationen, er wolle ein Präsident aller Muslime sein. Ob ihm das gelingen wird, hänge nicht nur von ihm persönlich, sondern auch von Atib und Diyanet ab, ist aus dem Umfeld der IGGiÖ zu hören.
Man traue Olgun durchaus zu, zu unterschieden, "wann man Parteisoldat sein kann und wann man Präsident aller Muslime sein muss", so ein IGGiÖ-Mitglied zur "Wiener Zeitung". Atib aber müsse die "Zügel locker lassen" und verstehen, dass es nun gelte, "die Spannungen in der Glaubengemeinschaft zu lösen" und die Etablierung eines Islams österreichischer Prägung anzugehen, wie auch die IGGiÖ-Sprecherin Carla Amina Baghajati einfordert.
Dieses Ziel, so Baghajati, sei aber mit dem neuen Islamgesetz in weite Ferne gerückt. Statt zu vereinen, spalte das Gesetz die Muslime nach nationaler und ethnischer Herkunft, so die Kritik.
Der Islamwissenschafter und Religionspädagoge Mouhanad Khorchide von der Universität Münster sieht das anders. Er gibt der Glaubensgemeinschaft wie auch den Muslimen selbst die Verantwortung für die ethnisch-nationale Spaltung: "Weder in Österreich noch in Deutschland haben wir es geschafft, uns von den ethnisch-politischen Hintergründen zu lösen." Die IGGiÖ, so wie sie sich heute präsentiere, sei selbst das Ergebnis des Organisationsprozesses der Muslime, bei dem die jeweilige Sprache und die politische Situation in den Herkunftsländern den Ausschlag für das Verhältnis untereinander geben würde. Khorchide: "Dass es nach wie vor keine genuin österreichisch-muslimische Institution gibt, macht mir Bauchschmerzen."
Araber fechten Wahl an
Das spannungsreiche Verhältnis zwischen Türken und Arabern ist die erste Herausforderung, die auf den neuen IGGiÖ-Präsidenten wartet.
Für Hassan Mousa, Chef der Arabischen Glaubensgemeinschaft, war die Wahl Olguns "undemokratisch und gesetzeswidrig". Er hat deshalb angekündigt, die Wahl beim dafür zuständigen Bundeskanzleramt anfechten zu wollen. Er vermutet hinter Olguns Bestellung die Handschrift der Türkei und deren Religionsbehörde. Außerdem sei Olgun mit 28 Jahren zu jung für das Amt, für das laut IGGiÖ-Verfassung ein Mindestalter von 35 Jahren vorgeschrieben sei. Der Schurarat, das Parlament der IGGiÖ, habe diesen Paragrafen jedoch vergangenen Dezember ohne Abstimmung geändert. Der Antrag auf Wahlanfechtung sei zwar beim Bundeskanzleramt einzubringen, dieses würde aber gleich an ein IGGiÖ-Schiedsgericht übergeben, heißt es dazu aus der IGGiÖ.