Zum Hauptinhalt springen

Ein Präsident für die Ewigkeit

Von WZ-Korrespondentin Simone Brunner

Politik

Starker Mann, Kriegsherr und Ordnungshüter: In Russland ist Präsident Wladimir Putin die unangefochtene Nummer eins. Und schon längst sind die Grenzen verschwommen, wo der Staat aufhört und wo Putin anfängt.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 6 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Moskau. Als die Wende kam, ging für Jewgenij Kotow ein Traum in Erfüllung. Im Jahr 1996 eröffnete er ein Restaurant. Eine angesagte Adresse in der Moskauer Innenstadt, mit lokaler und internationaler Küche, wo sich bald die Reichen und Schönen die Türschnalle in die Hand gaben. Doch eines Tages kamen keine Promis, sondern maskierte Männer mit Sturmgewehren in sein Lokal. Kotow stellt es noch heute nach, wie er an der Wand steht, die Hände über dem Kopf gestreckt, von seinen panischen Kellnern flankiert. "Rejderstwo", die feindliche Übernahme eines Konkurrenten.

Man merkt, wie sehr ihm die Erinnerungen noch heute in den Knochen stecken. "Das reinste Banditentum", sagt Kotow und schüttelt den Kopf. Doch die Zeiten seien vorbei. "Heute kannst du in Moskau nicht einfach so mit einem Gewehr in ein Geschäft marschieren", ist Kotow überzeugt. Das liege vor allem an jenem Mann, der in Russland im Jahr 2000 an die Macht gekommen ist und die Oligarchen medienwirksam in die Schranken gewiesen und wieder für Ordnung im Land gesorgt habe. "Wladimir Putin hat neue Spielregeln eingeführt, an die sich alle halten müssen", sagt Kotow. Deswegen wird er für den Präsidenten stimmen.

Ordnung statt Chaos

Der Mann, der das Chaos gebändigt und Russland nach den
1990er Jahren wieder stabil, sicher und stark gemacht hat: Es ist das Bild, das vor den Präsidentschaftswahlen am Sonntag immer wieder beschworen wird. Der Präsident, der das öffentliche Leben normalisiert, alles nach dem Zerfall der Sowjetunion zusammengehalten und Russland wieder einen Platz in der internationalen Arena verschafft hat. Ein Spin, der nicht nur bei den Russen, die diese Zeit selbst noch miterlebt haben, verfängt. "Ich unterstütze Putin, weil die Menschen ihn respektieren", sagt etwa auch Andrej, ein 19-jähriger Student aus der Stadt Kaluga bei Moskau. "Er hat Russland nach den 90er Jahren wieder groß gemacht."

Das staatliche Fernsehen spielt eine große Rolle, wenn es darum geht, dieses Bild zu transportieren - und zugleich auch Ängste zu schüren, dass die gefährlichen alten Zeiten wiederkommen könnten, wenn es Putin nicht mehr gibt. Der Staatsfunk erfüllt in Russland keinen öffentlich-rechtlichen Auftrag, sondern ist ein großer PR-Apparat für Putin. So auch vor den Wahlen am Sonntag, bei denen handverlesene Kandidaten in Fernsehshows antreten, an denen Putin wie selbstverständlich erst gar nicht teilnimmt. Während sich die Kandidaten in Schreiduellen beflegeln, besucht Putin Fabriken, spaziert über die Baustelle der Krim-Brücke oder eröffnet Festivals für Jungunternehmer. Das geht so weit, dass Putin von vielen Russen gar nicht mehr als Politiker wahrgenommen wird. Politiker, das sind die anderen. Putin ist der Präsident.

Vier Stunden Super-Putin

Jemand, der kräftig mitgeholfen hat, das Bild Putins in den Medien zu formen, ist Andrej Kondraschow. Der bekannte russische Fernsehjournalist hat Putin für mehrere Filme interviewt, wie zuletzt für "Krim. Der Weg in die Heimat", ein zweieinhalbstündiger Propaganda-Schinken über die russische Annexion der Krim, die laut aktuellen Umfragen immer noch 86 Prozent der Russen unterstützen. Wenige Tage vor den Wahlen hat er jetzt wieder eine Dokumentation veröffentlicht. Kondraschow in einer Audienz mit Putin, mit Wortspenden von Vertrauten und Weggefährten, wie dem Putin-Freund Gerhard Schröder. Eine vierstündige Hagiographie über Leben, Leiden und Lieben des Präsidenten. Den 1990er Jahren wird im Film besonders viel Sendezeit eingeräumt. Der tattrige Boris Jelzin, der Krieg in Tschetschenien, die Armut der Menschen, das Chaos, der Verfall. "Im Fernsehen wurde gar kein Russisch, sondern nur noch Englisch gesprochen", glaubt sich der Verteidigungsminister Sergej Schojgu zu erinnern. Mehr als drei Millionen Mal wurde der Zweiteiler bisher auf YouTube geklickt.

Stärke, Stärke, Stärke

Heute ist der 44-jährige Kondraschow der Pressesprecher von Putins Wahlkampagne. Er sitzt im Wahlkampfstab im Gostinij Dwor, einem neoklassizistischen Säulenbau am Rande des Roten Platzes. Die Gänge sind ungewöhnlich leer für einen Donnerstag vor den Wahlen, an der Wand hängen Bilder mit Putin. Putin mit der Armee, Putin im Weizenfeld, Putin in der Menschenmenge, wie zuletzt im neuen Moskauer Fußballstadion Luschniki, wo er unter dem Motto: "Für ein starkes Russland!" vor die Fernsehkameras trat. "Ein starker Präsident - ein starkes Land!" steht auf den Plakaten. Überall: Stärke, Stärke, Stärke. "Im Russischen hat Stärke eine besonders positive Bedeutung", erklärt Kondraschow. Er begründet das mit der Märchentradition der Bogatyri, den sagenumwobenen Reitern aus den russischen Heldenliedern. Eine mittelalterliche Tafelrunde mit übernatürlichen Kräften, die sich in der Kiewer Rus als Beschützer der altrussischen Städte hervortat. Im heutigen Sprachgebrauch ist Bogatyr eine liebevolle Bezeichnung für einen starken Recken. "Die russischen Heldenfiguren sind immer stark, aber auch gut und gnädig", sagt Kondraschow. "Und Gottseidank passt unser Präsident auch in dieses Bild", setzt er hinzu. "Auch physisch." Da ist es nicht mehr weit zum Macho-Image Putins, der oben ohne auf dem Pferd reitet und dem sibirischen Tiger den Nacken krault.

Bilder wie diese mögen im Westen für Irritationen sorgen, aber bei den konservativen Russen verfangen sie. Das geben selbst Putin-Kritiker zu. "Das sind Signale, die vom Kreml geschickt abgezapft und wieder zurückgesendet werden", sagt Witalij Schkljarow, der seit Jahren für die Opposition in Russland arbeitet und diesmal die liberale Kandidatin Ksenia Sobtschak berät. "Die Kreml-Leute sind ja auch nicht blöd und haben mit Putin das perfekte politische Monster erschaffen." Putin ist mittlerweile schon so lange an der Macht, dass es manchmal nicht klar ist, wo der russische Staat aufhört und Putin anfängt. Fast so, als wäre Putin selbst keine Variable oder Konstante mehr in diesem System, sondern die Klammer, die alles zusammenhält. Ungeachtet dessen, dass die Wirtschaft schlecht läuft, Reformen versäumt wurden und Moskau inzwischen zwei Kriege führt.

Kein Staat ohne Putin

"Putin hat aufgehört, eine Persönlichkeit zu sein, und ist inzwischen zu einer Art sakralen Körper des russischen Staats geworden", sagt der Politologe Alexander Baunow vom Carnegie Center in Moskau. Was zugleich Ängste davor schürt, was aus diesem Land wird, wenn Putin plötzlich nicht mehr an der Macht wäre. Zu oft in der russischen Geschichte hätten sich Umbrüche als Katastrophen entpuppt, die vieles nur noch schlimmer machten. Für viele Russen gelte daher: Lieber einen Putin im Kreml als Chaos auf der Straße, glaubt Baunow. Eine Botschaft, die den Russen vor allem nach dem Umsturz auf dem Maidan in der Ukraine, wo Moskau freilich selbst kräftig mitmischt, immer wieder über alle Kanälen eingehämmert wurde.

Beaufsichtigte Wähler

Aber selbst, wenn viele Russen wirklich hinter Putin stehen, heißt das noch lange nicht, dass sie ihn alle aus völlig freien Stücken wählen. Genauso wie jeder eine Schauergeschichte über die 1990er parat hat, kann auch fast jeder Russe eine Geschichte darüber erzählen, wie er unter Druck gesetzt wurden, zu den Wahlen zu gehen und für Putin zu stimmen. Wie in der südrussischen Stadt Tschapajewsk, wo Studenten am Sonntag zur Kontrolle an ihren Rektor ein Selfie aus dem Wahllokal schicken sollen, wie die NGO "Golos - Für ehrliche Wahlen" berichtet. Oder an der Uni Sankt Petersburg, wo über die Studenten, die zur Wahlurne gehen, Buch geführt werden soll.

"Administrative Ressource" heißt der Euphemismus, wenn Wähler in staatlichen Strukturen zur Stimmabgabe gezwungen werden. Ein Faktor, der auch am Sonntag eine Rolle spielen wird - selbst, wenn Putin in Umfragen bei 70 Prozent liegt. "Putin hat starke Unterstützung", so der Soziologe Leonid Gudkow zuletzt zur "Washington Post". "Aber es ist eine passive Unterstützung, nicht aktiv." Erstmals ist diesmal auch eine Generation wahlberechtigt, die ihr ganzes Leben in der Ära Putin gelebt hat. Wie Anastasia Strekatschowa, eine 18-jährige Musik-Studentin aus Moskau. Dass sie Putin wählt, ist für sie hingegen selbstverständlich. "Ich glaube, dass es keinen besseren Anwärter auf das Amt geben kann", sagt sie. "Ich finde, dass es Putin ganz gut geschafft hat, das Land zu regieren. Warum sollte er also nicht weitermachen?"