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Der Ex-DDR-Bürgerrechtler ist trotz Ecken und Kanten weithin angesehen.
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Berlin. Wer ist er eigentlich, dieser Joachim Gauck, auf dessen Kandidatur als deutscher Bundespräsident sich eine erstaunliche Parteienkoalition aus Konservativen, Liberalen, Sozialdemokraten und Grünen festgelegt hat? So ganz scheint es der "Präsident der Herzen" selbst nicht zu wissen: ein "linker, liberaler Konservativer", wie er es einmal behauptet hat? Oder doch ein "konservativer Sozialdemokrat", als den er sich noch am Sonntag in Wien auf einer Matinee bezeichnete?
Einem nicht nur in Deutschland weit verbreiteten Bedürfnis scheint der Ex-Pastor aus Mecklenburg-Vorpommern jedenfalls entgegenzukommen: jenem nach Authentizität. "Ich bin nocht nicht mal gewaschen", leitete der von einer Reise gekommene Gauck ein Statement über Verantwortung ein. Die Fähigkeit, frei von Politsprech präsidial zu klingen, wurde da schon offenbar. Entsprechende Kommentare fanden sich dann auch auf der Internetplattform Youtube unter dem Video von Gaucks Kür: "Kein Sozischnorrer, kein ewiggestriger CSU- und CDU-ler, kein linker oder rechter Fascho, kein gesichtsloser FDP-ler, kein farbloser Grüner - einfach ein Mensch", brachte ein User die Sehnsucht vieler Deutscher nach einer Persönlichkeit abseits des immer glatteren Politikbetriebs zum Ausdruck. Auf Facebook hatte sofort nach dem Rücktritt von Christian Wulff eine Unterstützergruppe für Gauck mobilisiert, bereits seine Nominierung vor eineinhalb Jahren als Kandidat von Grünen und SPD löste fast durchwegs positive Reaktionen aus.
Kein Konsenspolitiker
Dabei handelt es sich bei Gauck keineswegs um einen ausschließlich auf Konsens und Ausgleich bedachten Moderator über gesellschaftliche Bruchlinien hinweg. Gauck hat Ecken und Kanten, und der doch eher dem konservativ-bürgerlichen Lager nahestehende Ex-DDR-Bürgerrechtler hat sich vor zwei Jahren selbst gewundert, ausgerechnet von SPD und Grünen nominiert worden zu sein. Klassisch links sind seine Ansichten jedenfalls nicht: Er protestierte einst gegen die Vereinigung seines "Bündnis 90" mit den Grünen, unterstützte den Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr, kämpfte für Religion als Wahlpflichtfach an den Schulen und bescheinigte Thilo Sarrazin, über gesellschaftliche Probleme "offener gesprochen" zu haben als die politische Klasse, die aus dem Erfolg seines Buches lernen könne, dass "ihre Sprache der politischen Korrektheit bei den Menschen das Gefühl weckt, dass die wirklichen Probleme verschleiert werden sollen". Das und wohl auch sein Antikommunismus machen ihn für die Linkspartei zu einem Kandidaten "der kalten Herzen", wie Parteichefin Gesine Lötzsch sich am Montag äußerte. Ihre Partei denkt darüber nach, bei der Wahl in der Bundesversammlung am 18. März einen eigenen Kandidaten aufzustellen.
Tatsächlich ist das Lebensthema des am 24. Jänner 1940 geborenen Rostockers nicht soziale Gerechtigkeit, auch der Ruf nach staatlicher Rundum-Fürsorge ist Gauck eher suspekt. Den Ruf der Occupy-Bewegung nach einer Verstaatlichung der Banken findet er "unsäglich albern", es erinnert ihn an die DDR ("das hatten wir schon"). Stattdessen betont der Sohn eines Kapitäns den Wert der Freiheit. Sein Vater war einst aus nichtigem Anlass von den Sowjets zur Zwangsarbeit nach Sibirien verschickt worden, dem Sohn wurde von der Mutter eingeimpft: Da, bei diesem System, machen wir nicht mit. Der Aufstand des Jahres 1953 gegen die SED-Diktatur blieb dem 13-Jährigen dann auch nachhaltig in Erinnerung.
Stasi und wilde Ehe
Mit dieser Vorgeschichte konnte Gauck seinen Traum, Journalist zu werden, nicht verwirklichen - es blieb die Wahl zwischen einer Lehre und einem Studium der evangelischen Theologie. Gauck entschied sich für Letzteres. Er suchte nach einem Referenzpunkt, der sich der Allmacht des herrschenden Marxismus entzog und wurde - nach einigem Zögern - Pastor in der mecklenburgischen Provinz. Wegen einer kritischen Predigt empfahl die Stasi "Zersetzungsmaßnahmen" gegen ihn. Nach 1989 war es dann Gauck, der sich um die Aufdeckung des DDR-Überwachungsapparates kümmerte. Trotz seiner Vergangenheit mit nicht immer unumstrittenen Methoden: Der Bürgerrechtler übernahm auch Ex-Stasi-Mitarbeiter in die neue "Gauck-Behörde", wenn sie sich gewandelt hatten und als Archivfachleute und Techniker benötigt wurden.
Liiert ist Gauck seit zwölf Jahren mit der Journalistin Daniela Schadt. Es ist eine Beziehung ohne Trauschein und - vorerst - ohne gemeinsamen Wohnort: Die 52-Jährige leitet bei der "Nürnberger Zeitung" das Ressort Innenpolitik. Gut möglich, dass Schadt nun für einen Umzug ins Berliner Schloss Bellevue ihren fränkischen Wohnsitz aufgibt. Gauck hatte jedenfalls 2010 noch gemunkelt, im Falle seiner Wahl würde "aus der Fernbeziehung eine Nahbeziehung" werden.