Herkunftslandprinzip bleibt umstritten. | Abstimmung für Jänner erwartet. | Brüssel. Mit Emotionen aufgeladen war die Debatte um die so genannte Dienstleistungsrichtlinie von Anfang an. Und Hauptstreitpunkt bleibt das Herkunftslandprinzip. Demnach sollen Dienstleistungen europaweit nach den Gesetzen jenes Staates angeboten werden dürfen, aus dem die anbietenden Unternehmen kommen. Arbeitnehmer- und Umweltschutzgruppen protestierten: Sie befürchten Lohn- und Sozialdumping sowie die Verwässerung von Umweltstandards.
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Mit der Abstimmung im zuständigen Binnenmarktausschuss sollte die Debatte um das heikle Dossier gestern, Dienstag neu angestoßen werden. Zahlreiche Ausnahmen sollen die von Arbeitnehmerschutzgruppen befürchteten Konsequenzen verhindern.
Schon im Vorfeld urgierte der Österreichische Gewerkschaftsbund erneut die Streichung des Herkunftslandprinzips. Der ÖVP-Europaabgeordnete Othmar Karas hingegen rät zur Vorsicht. Das geplante EU-Gesetz auf das umstrittene Prinzip zu reduzieren, sei eine "bewusste Missinterpretation". Auch werde weiterhin so argumentiert, als gehe es immer noch um den Kommissionsvorschlag von 2004. Dass die Sorgen und Ängste der Bürger ernst genommen würden, belegten die mehr als 1.500 Änderungsanträge.
So wollen die Abgeordneten zwar den Binnenmarkt stärken. Gleichzeitig haben sie sich fraktionsübergreifend den Erhalt hoher nationaler Qualitätsniveaus auf die Fahnen geschrieben. Nicht gelten soll das Herkunftslandprinzip daher für die meisten Dienstleistungen des allgemeinen Interesses. Lediglich jene Gebiete in denen bereits heute Wettbewerb innerhalb der Mitgliedsländer herrscht, wie etwa die Müllabfuhr, könnten einbezogen werden. Im Gesundheitsbereich sind einander die sozialdemokratischen Berichterstatterin Evelyne Gebhardt und ihr EVP-Gegenspieler Malcolm Harbour noch uneins. Ausgeschlossen werden sollen jedoch Eingriffe in nationales Arbeits- und Steuerrecht, Sozialsystem, Berufsqualifikationen, Glücksspiel sowie hoheitsrechtliche Tätigkeiten. Zu letzteren zählt etwa die Polizei.
Industrie besorgt
Gebhardt will darüber hinaus das Herkunftslandprinzip nur für den Marktzugang gelten lassen. Für die Ausübung der Dienstleistungen soll dagegen das Gesetz des Ziellandes gelten. Das wäre ein "Rückschritt hinter den Status Quo", winkt Karas ab.
Noch kritischer ist die Industriellenvereinigung. Angesichts der drohenden weit reichenden Ausnahmen bestehe die Gefahr, das von der Richtlinie "nur mehr ein Torso übrig bleibt, der den Ansprüchen nicht mehr gerecht wird", warnt der Brüsseler Bürochef Berthold Berger-Henoch. Der "bürokratische Hürdenlauf" für grenzüberschreitende Dienstleistungen könne nicht ausreichend eingebremst werden.
Das Parlament will im Jänner 2006 im Plenum abstimmen. Im Frühling könnten die Mitgliedsstaaten unter österreichischem Vorsitz einen Anlauf für eine gemeinsame Position nehmen. Wie schwierig das aber ist, zeigten schon die Auseinandersetzungen im letzten Frühling.