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Ein Provisorium

Von Konstanze Walther

Politik

Kataloniens Ex-Präsident nominiert nun einen vorläufigen Nachfolger, damit die Region eine Regierung erhält.


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Barcelona. "Schamgefühl ist ein Wort, das die Spanier seit Jahrhunderten aus ihrem Wörterbuch verbannt haben."

Sie brauchen es auch nicht denn: "Die Spanier wissen einzig und allein, wie man ausbeutet." Und: "Der Faschismus der Spanier, die in Katalonien leben, ist unendlich peinlich, widerlich und plump." In Katalonien "leben wir seit 1714 unter Okkupation der Spanier".

Diplomatisch klingen diese Sätze nicht. Und sie illustrieren deutlich, auf welcher Seite in der katalanischen Krise der Verfasser steht. Und er wird wohl bald der nächste Regionalpräsident Kataloniens werden.

Joaquim "Quim" Torra wurde am Freitag offiziell von dem abgesetzten Präsidenten Carles Puigdemont als dessen Nachfolger an der Spitze Kataloniens nominiert. Wenn auch nur "provisorisch" - Puigdemont hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, selbst eines Tages nach Katalonien zurückzukommen. Doch die Zeit drängt, damit das als "autonome Region" bezeichnete Gebiet wieder "autonom" werden kann. Solange Katalonien keine Regierung hat, so lange bleibt die Region jedenfalls unter Zwangsverwaltung durch Spaniens Zentralregierung.

Da bis jetzt keine Einigung erfolgt war, würden die katalanischen Gesetze automatisch Neuwahlen für den 22.Mai notwendig machen.

Zur Erinnerung: Katalonien wählte am 21.Dezember ein neues Regionalparlament, nachdem die alte Politikerriege von Madrid aus abgesetzt und die Region unter Zwangsverwaltung gestellt worden war. Seit damals war es nicht möglich, eine Präsidentin oder einen Präsidenten zu vereidigen. Denn die Parteien der Unabhängigkeitsbefürworter konnten insgesamt die meisten Sitze in der Volksvertretung für sich vereinigen. Und innerhalb dieser drei Parteien hatte jene des abgesetzten Regionalpräsidenten Carles Puigdemont, "Junts per Catalunya," mit 34 Sitzen die Mehrheit und stellte somit den Führungsanspruch: "Junts per Catalunya" (JxCat) solle den Präsidenten nominieren. Man schlug gleich wieder den eben abgesetzten Präsidenten vor. Der aber inzwischen im europäischen Ausland weilte, nachdem er, als seine Regierung abgesetzt worden war, fluchtartig das Land verlassen hatte. Gegen Puigdemont wurde in Spanien ein Haftbefehl erlassen.

Alle Anläufe, eine Ausnahmeregelung für den flüchtigen Politiker zu erwirken, scheiterten. Puigdemont versuchte, sicheres Geleit zu bekommen, damit er sich physisch im katalanischen Parlament vereidigen lassen könne. Er versuchte auch, die Ableistung des Amtseides per Video-Konferenzschaltung durchzubringen. Aber die spanische Justiz verneinte ihm Ersteres, und die Katalanen wollten nicht mit einer Skype-Vereidigung Madrid einen Grund geben, die Zwangsverwaltung weiter aufrecht zu lassen.

Nun war es an der Zeit, dass Puigdemont seine Niederlage eingesteht. Und, da es sich um Puigdemont handelt, war es ihm wichtig, dass es nur eine "vorläufige" Lösung ist. So soll sein Kandidat Torra auch nicht Puigdemonts präsidentielle Räumlichkeiten in dem katalanischen Regierungsgebäude benutzen. Die werden also wohl anklagend leer stehen bleiben. Welche Zimmer Torra verwenden werde, stehe allerdings noch nicht fest.

Puigdemont hat mit seiner Entscheidung, einen Statthalter zu entsenden, Neuwahlen verhindert, die möglicherweise nicht allzu gut für JxCat ausgegangen wären. Die katalanische Zeitung "La Vanguardia" zitiert etwa eine Umfrage, wonach JxCat zwei bis vier Sitze verlieren würde und vielleicht die Vormachtstellung im Unabhängigkeitsblock an den ewigen Zweiten, die "Esquerra Republicana", ERC, abgeben müsste. Die Unabhängigkeitsbefürworter würden aber laut der Umfrage weiterhin die stärkste Fraktion bilden, denn die radikale Linkspartei "Candidatura d’Unitat Popular" (CUP) würde von derzeit vier auf elf Sitze erstarken.

Der Segen der CUP kommt derEnthaltung bei der Wahl gleich

Die CUP ist bisher immer Zünglein an der Waage - und Königsmacher - gewesen. Auch bei der Wahl Torras dürfte die CUP wieder ausschlaggebend sein: Im ersten Wahldurchgang, Samstagmittag, werden nur wohl nur JxCat und ERC für Torra stimmen. Bei Nicht-Erreichung der absoluten Mehrheit wird eine Wahlwiederholung notwendig. Die CUP wird am Sonntag ihre Mitglieder befragen. Sollte sie dann bei der Wahlwiederholung - voraussichtlich am Montag - nicht gegen Torra stimmen und sich nur der Stimme enthalten, wird Torra der neue Präsident Kataloniens.

Der Zwiespalt der CUP: Die Partei ist dezidiert für die Unabhängigkeit, aber lehnt auch viele Politiker aus dem konservativen Unabhängigkeitslager ab. So musste etwa der ehemalige Regionalpräsident Artur Mas seinen Sitz räumen, seine Nachfolge in der Partei, die sich auch umbenannte, hat Puigdemont angetreten. Der konnte 2016 nur eine Regierung unter Duldung der CUP bilden, in dem er der CUP versprach, sich für das Projekt Unabhängigkeit vehementer einzusetzen als das bisher geschehen war. Und Puigdemont verfolge das Projekt auch hartnäckig - er setzte eine Volksabstimmung zur Unabhängigkeit an, die vom spanischen Verfassungsgericht als illegal eingestuft worden war. Schon unter Mas hatte es eine Abstimmung zur Unabhängigkeit gegeben, deren Ergebnis von Madrid nicht anerkannt worden war.

Die Gewalteskalation um Puigdemonts Referendum am 1. Oktober 2017 zwischen Polizisten und Zivilbevölkerung wurde schließlich von beiden Seiten instrumentalisiert. Puigdemont sah die spanische Gewaltherrschaft. Madrid sah den Tatbestand der Rebellion erfüllt - der Veränderung des Herrschaftsgebietes unter Anwendung von Gewalt.

Auf Basis dessen weitete Spanien den Haftbefehl gegen Puigdemont schließlich in einen Europäischen Haftbefehl aus. Er wurde in Deutschland festgenommen, unter Auflagen freigelassen, aber darf derzeit Berlin nicht verlassen.

Quim Torra hat die eingangs erwähnten Sätze 2012 getwittert. Nachdem sie am Freitag bekannt geworden sind und für Aufregung sorgten, entschuldigte sich Torra für die Äußerungen, "falls sich jemand dadurch verletzt fühlte".