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Ein Racheakt

Von WZ-Korrespondentin Birgit Svensson

Politik

Die Terrormiliz Islamischer Staat bekennt sich zum Anschlag in Bagdad. Die Zahl der Todesopfer ist auf mehr als 200 gestiegen.


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Bagdad. Als es Abend wird, versammeln sich die Menschen nach dem Fastenbrechen wieder in Karrada Dakhel, bringen Kerzen mit und gedenken der Opfer des Anschlags. Auch die Mutter von Karim ist gekommen. Noch immer werden Leichen geborgen, noch immer herrscht Ungewissheit über den Verbleib vieler Angehöriger, noch immer steigen die Opferzahlen. Inzwischen hat sich die Terrormiliz IS zu dem Anschlag in dem Bagdader Viertel bekannt. "Wenn die ihren Staat verlieren, rächen sie sich an uns", sagt ein Mann Mitte dreißig. Vor zwei Wochen hat die irakische Regierung die Rückeroberung der IS-Hochburg Falludscha nur 50 Kilometer westlich der Hauptstadt erklärt.

In der Nacht auf Sonntag spielten sich in Karrada erschütternde Szenen ab, als beim schwersten Anschlag dieses Jahres mehr als 200 Menschen ums Leben kamen. Wie ein Inferno sei es gewesen, erzählen die umstehenden Bewohner. Links und rechts brannten Häuser. Insgesamt zehn Gebäude, die meisten fünfstöckig, eines sogar mit sieben Stockwerken, wurden von der enormen Druckwelle der Explosion erfasst, fingen Feuer oder stürzten ein. Obwohl der Kühltransporter mit der tödlichen Ladung vor einem Restaurant auf der linken Seite der Straße geparkt gewesen sei, als er explodierte, wurden auch die gegenüberliegenden Häuser in Mitleidenschaft gezogen.

Ein Viertel mit vielen Narben

Ein Selbstmordattentäter hätte sich vor dem Transporter in die Luft gesprengt und somit die Explosion ausgelöst, berichten die Menschen in Karrada. Der heiße Sommerwind habe dann dazu beigetragen, dass sich die Flammen schnell ausbreiten konnten. Stundenlang habe die Feuerwehr gebraucht, ehe sie den Brand in den Griff bekam. "So muss die Hölle sein", kommentiert ein alter Mann das Geschehen. Denn nicht nur die Gebäude wurden von den Flammen erfasst, auch die Menschen. Wie brennende Fackeln versuchten einige zu fliehen, bis sie vor Schmerzen zusammenbrachen. Manche schafften es gar nicht erst aus den Gebäuden herauszugelangen und wurden in den herunterstürzenden Trümmern begraben. Die Todesschreie werde er nie vergessen, sagt der Alte, der seit seiner Geburt in Karrada wohnt und das Viertel auch in den schlimmsten Zeiten nicht verlassen wollte.

Schon in den drei Bürgerkriegsjahren 2006/07 und 2008, als Sunniten und Schiiten sich gegenseitig umbrachten, erlebte Karrada und seine bekannte Einkaufsstraße "Dakhel" einen Bombenanschlag nach dem anderen. "Aber diese Sprengkraft gab es bisher noch nie", sagen zwei Männer, die mit Schaufeln und Hacken die Betonteile auf der Straße zerkleinern, um sie wegtransportieren zu können. Den ganzen Sonntag über bleibt Karrada Dakhel gesperrt und auch am Montag ist die Straße noch nicht wieder für den Verkehr freigegeben.

Wut auf den Premier

Als Iraks Premierminister Haidar al-Abadi am Anschlagsort auftaucht, um sich ein Bild von der Situation zu machen, fliegen Steine auf den Politiker. "Verbrecher!", rufen die Leute ihrem Regierungschef zu, "alles Verbrecher!" Anstatt sie zu schützen, würde sich die Regierung in Machtkämpfen zerfleischen und ihre Taschen voll Geld stopfen, ist die einhellige Meinung der aufgebrachten Menge in Karrada.

Tatsächlich ist die angekündigte Umbildung des Kabinetts zur Korruptionsbekämpfung noch immer nicht erfolgt und heftig im Parlament umstritten. Die Regierungskrise schwelt weiter. Während des Ramadan haben sich jedoch die meisten Politiker in den Urlaub verabschiedet. Die Ankündigung Abadis, er werde das Sicherheitskonzept für die Hauptstadt ändern, besänftigt daher niemanden. Seit langer Zeit sei bekannt, dass die Sprengstoffdetektoren an den Kontrollpunkten wirkungslos sind. "Für die Korruption um diese Dinger wurde bisher kein Iraker zur Rechenschaft gezogen", sagt ein Gemüsehändler, der täglich aus dem Schiitenviertel Sadr City nach Karrada kommt und diverse Checkpoints passieren muss.

Der Detektor gleicht einer Pistole, deren Lauf allerdings eine dicke, metallene Nadel ist. Als Golfball-Detektor aus den USA für weniger als 20 US-Dollar pro Stück erworben, verkaufte sie der britische Geschäftsmann James McCormick für bis zu 40.000 Dollar Stückpreis als Bombendetektoren in Krisenländer weiter. Mehr als 7000 lieferte er an das irakische Innenministerium. Zwar wurde der Brite 2013 wegen Betrugs zu zehn Jahren Haft verurteilt, doch eine Untersuchung der Schmiergeldzahlungen an das irakische Innenministerium blieb lediglich ein Lippenbekenntnis. "Die verschaukeln uns", sagt der Gemüsehändler zornig. Auch am Montag sind die falschen Detektoren noch immer im Einsatz.