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Ein Rausch mit 140 Zeichen

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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Das ist der Stoff, aus dem Herrscher-Träume bestehen - und die Albträume von berufsmäßigen Skeptikern: ein direkter, unmittelbarer Draht zum Volk, unverfälscht von Spin-Doktoren, ungefiltert von Bedenkenträgern, ungeprüft von Sachverständigen.

Die Möglichkeiten dazu bestehen, seit Twitter, Facebook und Co ihre Eroberung der öffentlichen Sphäre vor zehn Jahren angetreten haben. Doch erst seit Donald Trump sämtliche Wahlkampfweisheiten der Lächerlichkeit preisgeben hat, beginnen wir zu verstehen, was "neu regieren" tatsächlich bedeutet: In 140 Zeichen drohen, attackieren, loben, verhöhnen, beleidigen und was es sonst noch an Gefühlsäußerungen gibt.

Manche zimmern aus Twitter schnöde Tatsachenmitteilungen, andere Kleinode einer neuen Literatur, Trump hat den Ehrgeiz, auf diese Weise Weltpolitik zu betreiben. 140 Zeichen genügen ihm, die US-Politik vergangener Jahrzehnte aufzukündigen, Druck auf Weltkonzerne auszuüben, die US-Geheimdienste lächerlich zu machen, Medien die Glaubwürdigkeit abzusprechen und auch sonst mit Freund und Feind nach seinem Belieben zu verfahren. Was daran inszeniert und was tatsächlich authentisch ist, vermag zum jetzigen Zeitpunkt allenfalls das höchstpersönliche Umfeld des demnächst mächtigsten Mannes dieser Welt zu beurteilen.

Trump lebt allerdings in einer Zwischenzeit, er ist nicht mehr Kandidat und noch nicht Präsident. Alles, was er tut, ist neu, überraschend, egal ob nun abstoßend oder anziehend.

Doch alles Neue verliert unweigerlich seinen Reiz. Einmal im Amt, ändern sich die Spielregeln. Dann haben seine Tweets entweder reale Folgen durch konkrete Politik, oder aber sie werden rasch nicht mehr ernst genommen.

Aber noch ist Trump entschlossen, seinen kostbarsten Schatz, seinen direkten, unvermittelten Draht zur Welt da draußen nicht aus der Hand zu geben. Der Glaube, mit wenigen Tasten die Welt dirigieren zu können, muss tatsächlich ein überwältigendes Rauschgefühl vermitteln und wie eine Droge wirken. Nicht zuletzt dadurch wird Trump zum ersten wirklichen Härtetest der politischen Institutionen seines Landes unter den Bedingungen einer neuen Zeit. Bisher haben sich die Eckpfeiler einer 230 Jahre alten Verfassung stets als stärker erwiesen. Darin steckt keine Garantie, aber immerhin Anlass für begründete Zuversicht. Mehr ist derzeit nicht zu haben.