Was ist eigentlich die Wiener ÖVP? Opposition, befinden seit 2001 die Wähler. Gefühlte Co-Regierungspartei, glauben etliche Funktionäre. Witzig oder traurig, je nachdem.
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Wer in der Regierung sitzt und wer in der Opposition, darüber sollte es in aufgeklärten Demokratien eigentlich keine Zweifel geben. Ein Blick auf die Zusammensetzung der Regierungsbank sollte ausreichend Klarheit schaffen. Die heimische Praxis zeichnet ein anderes Bild - und die vielfältigen internen Verwirrungen der Wiener ÖVP sind der beste Beleg.
Tatsache ist, dass die ÖVP Wien, obwohl von den Wählern und der Rathaus-SPÖ seit 2001 auf die Oppositionsbänke verbannt, zu eben dieser demokratiepolitisch durchaus wert- und ehrenvollen Aufgabe unfähig ist. Und dies strukturell wie mental.
Die Präsidentin der Wiener Wirtschaftskammer, Brigitte Jank, ist in Personalunion auch Obfrau des Wiener Wirtschaftsbundes. Als Präsidentin ist sie selbstverständlich an einem gedeihlichen Auskommen mit der die Stadt in allen ihren Facetten dominierenden SPÖ im Sinne ihrer Pflichtmitglieder mehr als nur interessiert. Die regelmäßig vor Wahlen stattfindenden - und von der Stadt großzügig geförderten - Einkaufsstraßen-Initiativen sind diesbezüglich ebenso legendär wie Legion. Als Chefin des Wirtschaftsflügels der Wiener ÖVP müsste Jank aber eigentlich die Wirtschaftspolitik der Stadtregierung aufs Korn nehmen.
Das kann nicht funktionieren - und hat es auch zuvor schon nicht getan. Die Achse zwischen Bürgermeister Michael Häupl und Janks Vorgänger in beiden Funktionen, Walter Nettig, ist in Politkreisen heute noch legendär.
Aber der Wirtschaftsbund ist nicht der Einzige, der innerhalb der Wiener ÖVP im Falle einer kantigen Oppositionspolitik viel zu verlieren hätte. Das stetig schrumpfende Grüppchen schwarzer Bezirksvorsteher - seit 2010 nur noch 5 von 23, überwiegend vom Arbeitnehmerflügel ÖAAB gestellt - ist ebenfalls auf einen guten Draht zur Rathausspitze angewiesen, um die lokalen Projekte finanzieren zu können.
Um das heillos zerstrittene Bild abzurunden, belauern einander die beiden Flügel der künftigen Nischenpartei auch noch permanent mit äußerstem Misstrauen. Nirgendwo trifft die Steigerungsformel Freund-Feind-Parteifreund treffender zu als in der Wiener ÖVP; und je stärker die Wählerbasis schrumpfte, umso erbitterter wurde und wird um die wenigen verbliebenen Posten und Ressourcen gekämpft. Für die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner bleibt da natürlich keine Energie.
Vor diesem Hintergrund sind die jüngsten improvisierten Postenbesetzungen zu verstehen, die Gabriele Tamandl (ÖAAB) als interimistische Parteiobfrau und Fritz Aichinger (Wirtschaftsbund) als Klubobmann inthronisiert haben.
Falls die Wiener ÖVP einen Blick über den eigenen Tellerrand riskieren würde, könnte sie feststellen, dass die Ära grauer Parteikader im urbanen Raum sich längst dem Ende zuneigt. Sei es in Berlin, Hamburg, Paris, London oder New York: Überall haben die erfolgreichen Parteien unorthodoxe, kantige, auf jeden Fall attraktive Politikerköpfe an die Spitze gehievt.
Dabei hatten sie ausnahmslos die Wähler im Auge, nicht die Parteifunktionäre. Nur mit den Schrebergärten für die Kader in der ersten und zweiten Reihe wird es dann, wenn die Sache ernst gemeint ist, vorbei sein. Entweder ist eine Partei Teil der Regierung oder eben Teil der Opposition. Beides sollte nach guter demokratischer Übung nicht gleichzeitig der Fall sein, auch wenn der Proporz in den meisten Bundesländern anderes nahelegt.
Wenn die Wiener ÖVP das nicht sehr, sehr bald begreift, könnte es schon bei der nächsten Wahl zu spät sein. Falls nicht, dann eben bei der übernächsten.