Zum Hauptinhalt springen

"Ein Rechtsproblem ist wie eine Krankheit"

Von Konstanze Walther

Wirtschaft

WZ-Interview mit Präsident der Wiener Rechtsanwälte. | Harald Bisanz über EU-Erweiterung und Schummeln. | Wien."Wiener Zeitung":Warum wollten Sie Präsident der Rechtsanwaltskammer Wien werden?


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 18 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Harald Bisanz: Ich war damals seit 30 Jahren Rechtsanwalt und habe für die Rechtsanwaltskammer gewisse Zukunftsszenarien gesehen, von denen ich mir gedacht habe, ich muss sie realisieren. Vor allem im Zusammenhang mit der EU und der Internationalisierung des Berufsstandes.

In welchem Zustand haben Sie die Kammer damals vorgefunden?

Sehr konservativ, sehr hierarchisch. Ich wollte wissentlich eine freiere und bessere Kommunikation zwischen ihren Mitgliedern anstreben. Die Öffentlichkeitsarbeit wurde erweitert. Und mit der Einführung des Intranets sind wir zu einer Service-Einrichtung geworden. Im Intranet findet man sofort die neuen Entwicklungen der Rechtsprechung im Standesrecht.

Welche Anforderungen stellt die Internationalisierung an die Kammer?

Durch den EU-Beitritt von Österreich konnten im Rahmen der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit vollkommen ortsfremde Vertreter hier auftreten. Grundsätzlich eine positive Entwicklung, aber für Rechtsanwälte ist das schwieriger als beispielsweise für Friseure. Jedes Land hat sein eigenes Recht. Daher müssen fremde Rechtsanwälte im Rahmen der sektoralen Dienstleistungsrichtlinie eine Anpassungsprüfung machen, um hier praktizieren zu dürfen. Außer sie praktizieren in Österreich als europäischer Anwalt. Dann sind sie nach drei Jahren automatisch als österreichischer Rechtsanwalt zugelassen.

Parallel dazu laufen die WTO Verhandlungen, die eine enorme Herausforderung in den Raum stellen. Da geht es darum, wann und unter welchen Voraussetzungen ein Anwalt aus Singapur, Florida und Liberia in Österreich vertreten und beraten darf. Und letzteres steht im Rahmen des GATS-Abkommen im Raum.

Gerade im EU-Raum ist der Ausbildungsgrad der Rechtsanwälte sehr verschieden. Wird die Qualität der Beratung nicht so verwässert?

Ja, die Ausbildung ist unterschiedlich. In Spanien kann man sich als Rechtsanwalt eintragen lassen, sobald man die Sponsionsurkunde in der Hand hält. Wenn man besonders schlau ist, kann man als Österreicher in Spanien studieren, sich dort dann gleich eintragen lassen und kommt dann nach Wien, um als niedergelassener europäischer Rechtsanwalt zu praktizieren. Man erspart sich so die ganze Ochsentour der Konzipientenzeit und der Prüfung. Aber das ist ein ausgerissener Fall, denn auch so jemand muss irgendwann das neue Außerstreitgesetz lernen. Die EU beseitigt nur Zugangshürden, aber im Markt bestehen muss man selber.

Wie viele ausländische Anwälte gibt es in Wien?

Die Migrationsfreude der EU wird überschätzt. Damals dachten auch alle, in Wien gibt es bald nur portugiesische Friseure. Nichts von alldem ist passiert: Die Leute wollen daheim bleiben. Genauso ist die Zahl der ausländischen Anwälte minimal. Und die, die da sind, werden meist von Großkanzleien aus rein strategischen Gründen nach Wien geschickt. Aber am Bezirksgericht Hernals werden sie nie jemanden aus Wales sehen.

Geht der Trend der Rechtsanwälte - aufgrund des Drucks der Internationalisierung - hin zu Großkanzleien?

Nein. 80 bis 90 Prozent der Kanzleien sind Einzelkanzleien, in Österreich genauso wie in den USA. Es scheint nur so, dass die Kanzleien immer größer werden - durch die US-Filme und vielleicht die John Grisham Bücher. John Grisham war übrigens als Rechtsanwalt in einer kleinen Kanzlei tätig und hat aus Mangel an Beschäftigung begonnen, Bücher zu schreiben. Und in den Filmen zaubert dann immer irgendein Rechtsanwalt vor den staunenden Augen der Jury ein schielendes Kaninchen aus dem Hut. Die Realität des Berufs ist anders: Knochenarbeit an der Basis. Dazu gehören stundenlange Gespräche in der Kanzlei und auch einige Psychologie. Man muss herausfinden, was will der Klient genau, und was wäre die beste Lösung. Und erst dann geht man hinaus, um den Prozess zu führen. Ein Rechtsproblem ist für den einzelnen ein Problem wie eine Krankheit, und natürlich will jeder den besten Arzt. Dazu gehört viel Ausbildung. Sich irgendwie durchzuschummeln bringt nichts.

Wie ist das Verhältnis Ihrer Rechtsanwaltskammer zu den der anderen Länder?

Wien sieht sich als avantgardistische Rechtsanwaltskammer innerhalb der österreichischen Rechtsanwälte. Unsere 2150 Mitglieder machen 40 Prozent aller österreichischen Rechtsanwälte aus. Mit den anderen Rechtsanwaltskammern sind wir aber sehr gut verbunden. Das ist mir ein wesentliches Anliegen.

Inwieweit gilt die Wiener Rechtsanwaltskammer als "avantgardistisch"?

Das Äußern zu gesellschaftspolitischen Problemen galt lange als verpönt. Früher wollten sich die Rechtsanwälte nicht zu weit herauslehnen - im ständigen Bemühen um Äquidistanz. Ich war immer der Meinung, dass es kein gesellschaftspolitisch relevantes Thema gibt, zu dem ein Berufsstand wie die Rechtsanwälte nichts zu sagen hätte. Das reicht von In-Vitro-Fertilisation über die Vorsorgevollmacht und endet bei der Stärkung der Überwachungspflichten der Aufsichtsräte, um ein aktuelles Thema aufzugreifen.

Die Anwaltschaft ist ein wesentlicher Vertreter der öffentlichen Meinung - "ubi societas ibi ius". Die Rechtswissenschaft ist eine soziologische Disziplin.

Anlässlich des Besuches des US-Präsidents George Bush hat die Rechtsanwaltskammer Wien eine Pressekonferenz zum Gefangenenlager in Guantanamo abgehalten.

Das war keine politische Stellungnahme. Es ging um die Universalität der Menschenrechte. Rechtsanwälte können zur Verletzung von Menschenrechten, wo immer sie auch stattfinden, nicht schweigen. (Anm.: Die US-amerikanischen Höchstrichter haben in der Zwischenzeit ebenfalls das Gefangenenlager verurteilt.) Hier gilt es herauszustreichen: Auch das Recht auf eine freie Verteidigung ist ein Menschenrecht, dazu gehört die freie Wahl des Vertreters, die eine unbeeinflusste Rechtsdurchsetzung garantiert.