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Rechnerische Mehrheiten für Schwarz-Blau, Schwarz-Rot und Rot-Blau. Bundespräsident mit beschränktem Spielraum.
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Der Wahlsieger ist jetzt am Zug. Und der heißt Sebastian Kurz mit seiner neue ÖVP. Vor der Wahl hat der Außenminister angekündigt, mit allen Parteien Gespräche zu führen, und genau dies wird jetzt wohl passieren.
Das formale Prozedere schaut wie folgt aus: Die bestehende Regierung mit Bundeskanzler Christian Kern an der Spitze wird Bundespräsident Alexander Van der Bellen nun ihren Rücktritt anbieten, der wird dankend ablehnen und die Koalition mit der Fortführung der Geschäfte bis zur Bildung einer neuen Regierung betrauen.
Spätestens am Ende der Woche, wenn das endgültige Wahlergebnis feststeht, wird der Bundespräsident den Wahlsieger, also Kurz, mit der Bildung einer tragfähigen Regierung beauftragen. Dabei wird er insbesondere auf deren Europa-Kurs achten; möglich auch, dass er der Kandidatenriege der FPÖ für ein Ministeramt genauer unter die Lupe nimmt. Ansonsten jedoch bleibt dem Bundespräsidenten ein überschaubarer Spielraum, sollte eine handlungswillige Mehrheit im Parlament zum Regieren entschlossen sein.
Kurz selbst hat sich vorgenommen, möglichst rasch eine Regierung zu bilden. Es heißt, dass er diese bereits bis zum Nationalfeiertag am 26. Oktober gezimmert haben will. Und obwohl FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache im Wahlkampf mehrmals darauf hingewiesen hat, dass hinter den Kulissen bereits wieder an Schwarz-Rot gearbeitet werde, scheinen die Dinge doch eher anders herum zu liegen. Schon bei den Fernsehduellen haben einander Kurz und Strache eher mit Streicheleinheiten bedacht als in die Schmutzkiste zu greifen. Eine Annäherung wurde auch in den Wahlprogrammen bereits vorweggenommen.
Die Chancen stehen also gut für Türkis/Schwarz-Blau. Zumal eine solche Koalition laut Wählerstromanalyse von Peter Hajek als bevorzugte Variante für das Land gesehen wird. Und nicht nur von ÖVP- und FPÖ-Wählern. "Auch bei den SPÖ-Wählern beginnt die Haltung gegenüber Rot-Blau zu bröckeln. Sollte also die SPÖ die Möglichkeit zu Verhandlungen mit der FPÖ haben, werden die Wähler das geringere Problem sein", sagt Hajek. Dass der FPÖ in der Wählereinschätzung eine Regierungsbeteiligung zugewiesen wird, könnte natürlich auch am Wahlkampf und den veröffentlichten Einschätzungen liegen. Schließlich gehen viele Kommentatoren längst davon aus, dass ein Regieren ohne FPÖ nach dieser Wahl gar nicht mehr möglich sein würde, weil selbst die Grünen zur Kleinstpartei schrumpfen - und somit als Mehrheitsbeschaffer in einer Koalition ausfallen.
Offen ist, ob die SPÖ tatsächlich offensiv werden will. Kanzler Kern hat angekündigt, auch als Juniorpartner durchaus an einer Regierungsbeteiligung interessiert zu sein. Bevor es dazu kommt, müsste aber wohl das arg ramponierte persönliche Verhältnis zwischen Kurz und Kern wieder eingerenkt werden. Beide hatten sich im Wahlkampf hart attackiert, die Antipathie war mit Händen zu greifen. In der ÖVP selbst ist die Begeisterung für eine Koalition mit der FPÖ keineswegs einhellig, gerade in den Reihen der Wirtschaft plädieren manche für eine erneuerte Zusammenarbeit mit der SPÖ in der Juniorrolle.
Am Ende hat es aber wohl die FPÖ selbst in der Hand, ob sie einer künftigen Regierung angehört. Theoretisch könnte sie auch mit der SPÖ eine rot-blaue Mehrheit bilden, auch wenn die für die Sozialdemokratie wohl zu einer Zerreißprobe führen würde; und wenn sie bei den Verhandlungen mit Kurz zu hoch pokert, kann dieser immer noch mit der SPÖ einen Neuanfang versuchen.