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Ein Rekord-Projekt ist auf Schiene

Von Peter Muzik

Wirtschaft

ICE-Kopie sorgt für helle Aufregung. | China tritt gegen seine ehemaligen Lieferanten an. | Bahn-Unglück drosselt allerdings die Expansionspläne.


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Shanghai. Am 30. Juni, als Chinas Kommunistische Partei ihren 90. Jahrestag feierte, war es so weit: Der neueste Superschnellzug, der die 1300 Kilometer zwischen Beijing und Shanghai in nicht einmal fünf Stunden schafft, ging offiziell in Betrieb. Der luxuriös ausgestattete CRH 380 BL, der aussieht wie das deutsche Parademodell ICE 3/Velaro, ist laut staatlichem Zughersteller China Northern Railways (CNR) eine chinesische Eigenentwicklung.

Mit dem 24 Milliarden Euro teuren Projekt sprengt die Volksrepublik, die sich von internationalen Herstellern à la Siemens gerne inspirieren ließ, jedenfalls sämtliche Rekorde: Sie stellt dank der ausgebauten Bahnlinie beispielsweise den französischen Flitzer TGV, bisher die Nummer eins der Hochgeschwindigkeitszüge, ebenso in den Schatten wie den japanischen Shinkansen, der bereits seit 1962 in einem Höllentempo unterwegs ist.

Die Franzosen etwa, die 2007 mit einer Geschwindigkeit von 574,8 Stundenkilometern die Weltbestmarke aufgestellt hatten, müssen sich eingestehen, dass sie bald von China überflügelt werden dürften: Der CRH 380 BL - bisheriger Glanzpunkt des CRH-Programms, was für "China Railways High Speed" steht - erreicht bereits ein Spitzentempo von 487 Stundenkilometern und könnte locker mit durchschnittlich 350 km/h dahin düsen. Er darf das allerdings bloß mit maximal 300, weil das vom chinesischen Eisenbahnministerium vor einigen Wochen so verfügt wurde, um die Kosten zu begrenzen.

Kurz zuvor war der zuständige Minister samt seinem Chefingenieur wegen des Verdachts der Bestechlichkeit abgesetzt worden. Es seien, so hieß es, einerseits Millionen-Beträge unterschlagen worden und andererseits Scheinrechnungen in exorbitanter Größenordnung aufgetaucht. Dennoch wittert Chinas Eisenbahnindustrie beträchtliche Chancen am Weltmarkt und sagt den führenden Zug-Produzenten, darunter Siemens, Alstom und Bombardier, aber auch japanischen Konzernen wie Hitachi und Kawasaki, den Kampf an.

Das Ziel sind 500 km/h

Der Zug ist längst abgefahren: Die Eisenbahn, Chinas um Längen wichtigstes Transportmittel, verfügt bereits über ein in den letzten Jahren zügig ausgebautes Hochgeschwindigkeits-Streckennetz von 7500 Kilometer Länge. Bis zum Jahr 2020 soll es auf 16.000 Kilometer erweitert werden. Bislang kaufte das Reich der Mitte fleißig Super-Züge im Ausland ein, darunter den japanischen Shinkansen, den deutschen Velaro oder die Siemens-/ThyssenKrupp-Magnetschwebebahn Transrapid, die seit 2004 in Shanghai in Betrieb ist.

Schon im November 2005 hatte China für 1,3 Milliarden Euro 60 Züge, die auf der Siemens-Plattform Velaro basieren, bestellt. Die Produktion sollte ursprünglich komplett in China erfolgen, weshalb Siemens ein Partnerunternehmen mit der Firma China Tangshan Locomotive and Rolling Stock Works gründete. Die ersten Garnituren wurden allerdings in Krefeld gefertigt, und die Abnehmer waren so begeistert, dass sie gleich weitere 100 orderten.

Die Chinesen beauftragten auch andere Hersteller und kamen sukzessive an jede Menge Know-how heran: 2007 etwa gaben sie bei Bombardier Transportation 40 Züge in Auftrag, die mittlerweile zwischen Guangzhou und Shenzhen pendeln. Weiters erstanden sie 60 Züge des japanischen Shinkansen, die nunmehr mit bis zu 250 Stundenkilometern die Städte Shanghai und Nanjing verbinden. Anlässlich der Olympischen Spiele 2008 wurde das Modell CRH 3 auf der Strecke Beijing-Tianjin ins Rennen geschickt, das bei Testfahrten mit 395 km/h einen chinesischen Schienen-Rekord aufgestellt hatte.

Im September 2010 sorgte sodann erstmals ein Serienfahrzeug "Made in China" für branchen- und weltweites Aufsehen. Es kam dem erklärten Ziel der Chinesen, künftig Züge mit 500 Stundenkilometern im regulären Fahrplan einzusetzen, schon ziemlich nahe. Gleich 100 solcher 16-Wagen-Garnituren waren eineinhalb Jahre zuvor bei CNR in Auftrag gegeben worden, bald darauf 40 weitere - der "Technologietransfer" funktionierte also reibungslos.

Die Superzüge, die dem CRH 3 der Velaro-Familie wie aus dem Gesicht geschnitten sind, haben eine Länge von 400 Metern und bieten rund 1000 Reisenden Platz. Eine einfache Bahnfahrt von Beijing nach Shanghai kostet, je nach Klasse, zwischen 410 und 1750 Yuan (umgerechnet 44 bis 190 Euro).

Crash-Rückschlag

Das chinesische Eisenbahnministerium ordert laufend weitere Züge. 80 Einheiten sollen von 2012 bis 2016 ausgeliefert werden. Der Staat plant überdies auch schon den nächsten Superlativ: Im kommenden Jahr soll Hongkong über eine Hochgeschwindigkeitstrasse mit der Hauptstadt verbunden werden. Die 2240 Kilometer sollen per Bahn in weniger als acht Stunden machbar sein.

Die ehrgeizige Bahn-Offensive des Reichs der Mitte hat allerdings bereits einen schweren Dämpfer erhalten: Am 23. Juli, kurz nach der Premiere des CRH 380 BL, kam es auf der Strecke Bejing-Shanghai zum Zusammenstoß zweier Hochgeschwindigkeitszüge. Bei dem Unglück in der Nähe der Stadt Wenzhou wurden mehr als 40 Passagiere getötet und rund 200 verletzt. Vier Waggons des Schnellzugs D 301, der auf einer Brücke eine wegen Blitzschlags zum Stillstand gekommene Garnitur des Typs CRH 2 rammte, entgleisten und stürzten von der fast 30 Meter hohen Brücke in die Tiefe.

Die chinesische Regierung hat daraufhin für alle Hochgeschwindigkeitszüge bis auf Weiteres ein Tempolimit auf 200 Stundenkilometern angeordnet. Weil sich dadurch die Reisezeiten verlängern, müssen jetzt neue Fahrpläne erstellt werden. Obendrein wird der Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes vorerst so lange auf EIs gelegt, bis die Sicherheitsüberprüfungen abgeschlossen sind.