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"Der Vortrag macht des Redners Glück. Ich fühl' es wohl, noch ist er weit zurück." So oder so ähnlich dachte ich bei mir, als ich Lutz Görner zum ersten Mal an einem Sonntagvormittag um 9.05 Uhr auf 3sat sah. Wie er sich, auf seine doch eher hausbackene Rezitationskunstfertigkeit, die Wirkung starker Verse, die schwache Ablenkungskraft seines gescheckten Hemdes und den guten Willen der Zuhörer vertrauend, mit dem Mute spätpubertärer Begeisterung in die Brust und seine literarische Sendung warf, hat mich skeptisch gestimmt. Tut dieser possierliche Kauz, der allsonntäglich zu früher Fernsehmorgenstunde zehn Minuten "Lyrik für alle" vorträgt, der Sache wirklich etwas Gutes?
Inzwischen weiß ich mehr über Lutz Görner. Inzwischen bin ich älter und einsichtiger geworden. Der 1945 geborene Görner hatte nach einigen Jahren als Schauspieler, Dramaturg und Regisseur auf eher zweitklassigen Bühnen mit 29 bei der Lektüre von Heines "Harzreise" sein Schlüsselerlebnis und erkannte: Man muss den Menschen Lyrik nahe bringen. Seitdem reist er, wenn er nicht gerade in seinem "Reziteater" in Köln auftritt, Gedichte rezitierend durch Deutschland. Außerdem hat er etliche CDs und DVDs produziert, die über seine Homepage (www.rezitator.de) bestellt werden können, und er ist wie gesagt regelmäßig auf 3sat zu hören.
Ich halte Lutz Görner immer noch für einen eher zweitklassigen Vortragskünstler. Doch ich respektiere seine unermüdliche Anstrengung, Lyrik populär zu machen. Ein gutes Gedicht ist mehr wert als ein ganzer Fernsehapparat.