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Die halbe tschechische Regierung, angeführt von Ministerpräsident Milos Zeman und seinem designierten Nachfolger Vladimir Spidla, Senatspräsident Petr Pithart und diplomatische Vertreter zahlreicher europäischer Staaten, aber auch aus Brasilien, Panama, Mexiko, Peru und Japan nahmen am vergangenen Wochenende in Lidice an der Gedenkveranstaltung zum 60. Jahrestag des Nazi-Massakers vom Juni 1942 teil. Österreich war durch eine Delegation der drei Opferverbände - Sozialdemokratische Freiheitskämpfer, KZ-Verband und ÖVP-Kameradschaft - vertreten.
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Mit in der österreichischen Gruppe waren auch zwei Frauen - Irma Trksak und Käthe Sasso -, die gemeinsam mit den Frauen von Lidice jahrelang im Konzentrationslager Ravensbrück inhaftiert waren. "Wir haben immer, wenn wir erfuhren, dass Züge aus Böhmen oder Mähren erwartet wurden, die neu ins Lager kommenden Frauen gebeten, den Frauen aus Lidice nichts vom Schicksal ihrer Männer Brüder und Väter zu erzählen", schilderte Irma Trksak. "Die Frauen aus Lidice hätten sonst unter den ohnehin schon furchtbaren Lagerbedingungen in Ravensbrück den letzten Lebensmut verloren, wenn sie erfahren hätten, dass alle ihre männlichen Angehörigen über 15 Jahre schon am 10. und am 16. Juni 1942 ermordet worden waren.
Mila Kalibova, die Vorsitzende des tschechischen Verbandes des Freiheitskämpfer und leitende Mitarbeiterin der Gedenkstätte in Lidice war eine der 196 Frauen, die im Juni 1942 ins Frauenkonzentrationslager Ravensbrück deportiert wurden. 49 von ihnen überlebten die fast dreijährige Lagerhaft nicht. Noch in den letzten Monaten wurden sechs von ihnen in der Gaskammer ermordet. Weitere drei wurden Ende April 1945 auf dem Todesmarsch aus dem Lager erschossen.
Erst bei der Rückkehr aus dem KZ Wahrheit erfahren
"Als wir im Juni 1945 aus dem Konzentrationslager nach Hause kamen, fanden wir unser Dorf nicht mehr und wir erfuhren, dass am 10. Juni 1942 alle männlichen Einwohner Lidices - insgesamt 173 - erschossen worden waren. 19 weitere Männer - es waren die Verwandten von Josef Horak und Josef Stribrny, die in der britischen Armee kämpften, sowie Männer, die vom 9. auf 10. Juni in den Hüttenwerken von Kladno in der Nachtschicht gearbeitet hatten und ein 15 Jahre und zwei Monate alter Junge, den die Mörder am 10. Juni zu den Kindern gezählt hatten, sowie sieben Frauen aus den Familien Horak und Stribrny waren am 16, Juni erschossen worden. Die Zerstörer Lidices hatten nicht einmal vor den Toten des Dorfes Halt gemacht. Auch der Friedhof war vollkommen zerstört worden.
Von den 105 Kindern aus Lidice fehlte jede Spur."
Nur 17 von ihnen - als letzter der heutige Bürgermeister von Lidice, Vaclav Zelenka - konnten in den Nachkriegsjahren zu ihren Müttern zurückkehren. 88 Kinder wurden von den Nazis ermordet, 82 davon nach einem Zwischenaufenthalt in Lodz in Gaswagen im KZ Chelmno.
Zur Erinnerung an die Kinder von Lidice wurde vor zehn Jahren ein Denkmal auf dem Gelände des ehemaligen Dorfes errichtet. 30 Jahre lang hatte die Bildhauerin Marie Uchytilova an den Kinderskulpturen gearbeitet, hatte viele Gespräche mit den Müttern von Lidice geführt, um Wesenseigenarten der einzelnen Kinder in die Skulpturen einzuarbeiten. Aber nie war Geld für die Ausführung vorhanden, erst nach der samtenen Revolution vom November 1989. Frau Uchytilovas Lebensgefährte Juri Vaclav Hampl stellte das Denkmal fertig, denn die Künstlerin war einen Tag vor der Wende in der damaligen Tschechoslowakei gestorben.
Ein neuer Rosengarten zur Erinnerung an die Opfer
In den Neunzigerjahren war aber kein Geld mehr da, um den 1955 entstandenen Rosengarten von Lidice mit seinen mehr als 21.000 Rosenstöcken zu betreuen. Zu Kriegsende hatte sich in Großbritannien ein Verein "Lidice wird weiter leben" konstituiert. Sein Vorsitzender, der Abgeordnete Barnett Stross hatte die Idee zur Errichtung eines Rosengartens. Das neue Lidice war seit Sommer 1947 auf einem Hügel neben dem alten Dorf errichtet worden. Die tschechoslowakische Regierung stellte jeder überlebenden Frau und jedem zurückgekehrten Kind ein kleines Haus zur Verfügung. Zwischen den neuen Häusern und der Gedenkstätte entstand 1955 der Rosengarten, der daran erinnern sollte, dass das Massaker zur Rosenblütenzeit stattgefunden hatte. Im Vorjahr dann entstand unter Mithilfe deutscher und tschechischer Jugendlicher die neue Anlage, die jetzt am 60. Jahrestag der Zerstörung Lidices eröffnet wurde. Die Rosenbeete auf dem 1,55 Hektar großen Areal sind so angeordnet, dass sie drei Rosenblüten ergeben. In der Mitte eine Rose mit Dornen und halbverwelkten Blättern, die Trauer und Schmerz über den Tod der Männer ausdrücken soll, und an den Seiten eine Rosenknospe aus hellblühenden Rosen, die an die Kinder erinnert und eine aufgeblühte Rose aus dunkelroten, großblühenden Rosen, als Symbol für die verschleppten Frauen.
Von den Frauen, die 1945 aus dem Konzentrationslager in ihre Heimat zurückgekehrt sind, leben heute nur mehr 18 und von den 17 wiedergefundenen Kindern 16. In der Gedenkstätte von Lidice, wo an zwei gegenüberliegenden Wänden die Bilder der getöteten Männer und die der Frauen angebracht sind, werden jene Frauenfotos, auf denen nur das Geburtsdatum steht, immer weniger. Erst im Vorjahr ist Marie Hanfova gestorben, eine der beiden Frauen aus Lidice, die bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen als Zeuginnen aufgetreten sind.