28,87 Prozent der Wähler haben in der traditionell SPÖ-dominierten Gemeinde Baumgarten für den SPÖ-Kandidaten Rudolf Hundstorfer gestimmt. Was machen sie nun in der Stichwahl?
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Baumgarten. Baumgarten ist ein typisches Straßendorf im Burgenland. L-förmige Häuser reihen sich an der Hauptstraße nahtlos aneinander. Der Durchzugsverkehr ist beträchtlich, die Gehsteige sind hingegen ziemlich leer.
In Baumgarten, einer 877-Einwohner-Gemeinde im Bezirk Mattersburg an der Grenze zu Ungarn, wählt man aus Tradition rot. 60,68 Prozent der Wähler haben bei der burgenländischen Landtagswahl 2015 für die SPÖ gestimmt, 2010 waren es sogar noch 65,92 Prozent. Etwa die Hälfte der Einwohner gehört der burgenländischkroatischen Minderheit an.
Bürgermeister Kurt Fischer ist ein freundlicher Mann. Er trägt einen Oberlippenbart, man kann ihn sich leicht in einer geselligen Runde beim Zeltfest vorstellen. Fischer hat die Zweidrittelmehrheit im Gemeinderat. "Mit der Mehrheit muss man aber vorsichtig umgehen", betont er im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Denn die Wähler sind heute mobil wie nie. Wenn man nicht aufpasst, sind sie schnell weg."
Dieses Phänomen erlebt die SPÖ seit Jahren. Baumgarten ist einer der wenigen Orte in Österreich, in denen der rote Bundespräsidentschaftskandidat Rudolf Hundstorfer noch die meisten Stimmen erhalten hat. 28,87 Prozent haben für ihn gestimmt. FPÖ-Kandidat Norbert Hofer liegt allerdings mit 27,34 Prozent der Stimmen hauchdünn hinter ihm.
"Für mich war das Wahlergebnis so nicht voraussehbar", sagt Fischer. "Ich denke eher, es war eine Abrechnung mit der Regierung, weniger mit den einzelnen Kandidaten."
In Murzis Cafe, das sich direkt an der Hauptstraße befindet, steht der Rauch in der Luft. Pensionierte Männer trinken weiße Spritzer und spielen Karten. Über die Wahl spricht man hier nicht gern. "Gehst mit mir in den Wald?", fragt ein älterer Gast lieber und lacht über seine eigene Frage. "Brav sein, Franz", sagt die ungarische Kellnerin zurechtweisend und stellt ihm noch einen Spritzer auf die Theke.
"Ich hab drei Kreuzerl gemacht", sagt Richard Markovich vom Nebentisch. "Gleich bei den ersten drei. Wer waren die?", fragt er seinen Nebenmann. "Faymann war dabei", sagt dieser und trinkt aus seinem Glas. Ob Markovich überhaupt zur Stichwahl geht, muss er sich noch überlegen.
"Hofer und Strache sind zu radikal"
Etwas gesitteter geht es am Ende der Hauptstraße beim Heurigen Reiff zu. Auch dort trinkt man weiße Spritzer. Über Politik hat man hier mehr zu sagen: "Ich war enttäuscht von dem Wahlergebnis", meint ein Pensionist. "Ich war ein kleiner Beamter, man muss die wählen, die einen vertreten", sagt er. Für ihn war das Rudolf Hundstorfer. In der Stichwahl wird er nun für "den alten Professor" stimmen. "Der ist nachsichtiger. Hofer und Strache sind zu radikal. Das ist nicht gut."
Auch ein 44-jähriger Mann, der gerade von der Arbeit kommt, hat sein Kreuzerl bei Hundstorfer gemacht. "Für mich gibt es keine Alternative", sagt er. Wie er sich in der Stichwahl am 22. Mai entscheidet, weiß er nicht. "Van der Bellen ist für mich unwählbar. Der ist viel zu links. Aber der Hofer ist zu rechts. - Mit der Burschenschaft, das geht nicht." Vielleicht wählt er ungültig, meint er.
Bürgermeister Fischer hat sich schon entschieden. Er wird in der Stichwahl für Alexander Van der Bellen stimmen "Mir ist etwas weiter links lieber als rechts", sagt er. "Die Menschlichkeit ist mir wichtig."
Gerhard Reiff, der Besitzer des Heurigenbetriebs ist einer der wenigen in Baumgarten, die immer die ÖVP gewählt haben. Dieses Mal hat er sich aber für Norbert Hofer entschieden. "Khol hat mir nicht gepasst", sagt er. "Der ist so alt. Ich finde, die Leute sollten ab 65 aufwärts in Pension gehen. Der Hofer ist jung und er ist Burgenländer." Das habe ihm sicher viele Stimmen gebracht. "Zwischen dem Khol und dem Hofer liegt eine ganze Generation. Die haben ganz andere Ansichten." Die Entscheidung in der Stichwahl fällt Reiff leicht: Er wird auch dann Hofer wählen.
Für den FPÖ-Kandidaten hat sich auch ein Spaziergänger entschieden, der mit seinem Hund dem unfreundlichen Wetter trotzt. "24 Jahre war ich Parteimitglied. Dann wollte ich ein neues Buch, aber habe keines gekriegt", erzählt er und streichelt seinen Kampfhund, einen American Stafford. Ein Kampfschmuser sei das, sagt er. "Ein Jahr hab’ ich aufs neue Parteibuch warten müssen. Jetzt wähl‘ ich patriotisch."
Frauen sprechen in Baumgarten nicht gern über Politik. Nicht in der örtlichen Apotheke, nicht beim Greißler und auch die Frau, die am Fenster lehnt und einen Arbeiter beobachtet, der mit seinem Lastwagen Abpumparbeiten durchführt, will nicht über die Wahl sprechen. "Na, dazu sog i nix", heißt es von allen Seiten. Die Verkäuferin vom Greißler reagiert so, als hätte man ihr eine sehr unanständige Frage gestellt, und schüttelt verächtlich den Kopf. Die einzig anzutreffende Frau, die in Baumgarten über die Wahl spricht, ist eine 42-jährige Mutter, ihr kleines Kind hat sie auf dem Arm. Sie kommt gerade aus der Greißlerei.
"Ich hab mir gedacht, dass das ein Debakel wird"
Auch sie hat sich im ersten Wahlgang, wie viele im Ort, für den roten Kandidaten entschieden. Dass er nur 11,28 Prozent der Stimmen bekommen hat, wundert sie nicht. "Ich hab‘ mir gedacht, dass das ein Debakel wird. Das Volk hat gesagt, so kann es nicht weitergehen", sagt sie. Schließlich sei man nicht das Wunderland, das alle Flüchtlinge aufnehmen kann.
Sie wird in der Stichwahl Alexander Van der Bellen wählen. "Hofer kommt für mich nicht in Frage", sagt sie, setzt ihr Kind ins Auto und fährt davon.
"Rot bis in den Tod. Das war früher einmal", meint ein Pensionist in der Apotheke. Er ist stolz darauf, aus dem Gedächtnis von jedem Datum des Jahres den Wochentag nennen zu können. Die Apothekerin führt mit einem Kalender ein paar Stichproben durch. "70 Jahre hat Rot-Schwarz das Land im Griff gehabt. Das ist vorbei", sagt er. Im ersten Wahlgang habe er "Frau Griss" gewählt. Jetzt wählt er halt "einen anderen".