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Rund 18.000 Asylanträge wurden heuer bereits gestellt, ÖVP und FPÖ deuten das unterschiedlich. Eine Einordnung.
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Es sind dieselben Asylzahlen, auf die ÖVP und FPÖ am Sonntag reagiert haben. Doch während die Statistik der FPÖ Beweis für ein "politisches Totalversagen" der Bundesregierung war, sah ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker Grund für Zufriedenheit: "Hier entfalten die vom Innenminister gesetzten Maßnahmen volle Wirkung und die Asylbremse wird weiter angezogen."
Tatsächlich, die Asylantragszahlen sind niedriger als 2022 um die gleiche Zeit. Knapp 18.000 Anträge wurden 2023 bisher gestellt, 4.354 davon im Mai. In den ersten fünf Monaten 2022 waren es 22.618 Anträge gewesen, 6.030 im Mai. Gleichzeitig ist es ein Rückgang auf hohem Niveau: Im Jahr 2021 war etwa von Jänner bis Mai nur rund 8.650 Mal um Schutz angesucht worden.
"Nicht nur die konsequente Schlepperbekämpfung und die Grenzraum- und Grenzpunktkontrollen des Innenministeriums, sondern auch die internationalen Kooperationen und die beschleunigten Asylverfahren" hätten laut Stocker aber dazu geführt, dass die Zahlen heuer wieder rückläufig sind. Wie groß die Auswirkungen der einzelnen Maßnahmen sind, sei allerdings kaum zu beziffern, sagt Migrationsforscherin Judith Kohlenberger im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" und regt eine empirische Begleitung zu einer besseren Einschätzung an.
Rückstau durch Corona
Eine Rolle dürfte jedenfalls spielen, dass der "coronabedingte Rückstau jetzt abgebaut ist", sagt Kohlenberger. Auch die veränderte Visapolitik Serbiens hat wohl einen Einfluss: Durften Inder und Tunesier vergangenes Jahr noch ohne Visum in das Land am Westbalkan einreisen, hat Belgrad mittlerweile nachgeschärft. Nicht selten machten sich Inder und Tunesier von Serbien aus auf den Weg in EU-Staaten, weshalb sich die verschärften Visaregeln auch in der österreichischen Asylstatistik bemerkbar machen. 706 Inder und 172 Tunesier haben von Jänner bis Mai um Asyl angesucht, im Herbst des vergangenen Jahres hatte monatlich jeweils eine vierstellige Anzahl von Menschen aus diesen Ländern Schutz beantragt.
Außerdem beobachtet Kohlenberger eine Verschiebung der Fluchtrouten: Der Landweg ins Zentrum Europas sei immer schwieriger zu passieren, entlang der Westbalkanroute habe die Gewalt etwa durch Pushbacks zugenommen. Dadurch würden Geflüchtete nun zunehmend auf den - besonders gefährlichen - Weg über das Mittelmeer ausweichen.
Die meisten Anträge, die trotz allem in Österreich gestellt werden, stammen heuer von Menschen aus Syrien, Afghanistan und Marokko. Dahinter folgen die Türkei und Bangladesh. Viele von ihnen dürften aber weiterhin in andere EU-Staaten weiterziehen, wie es bereits im vergangenen der Fall war. Dafür spricht, dass alleine heuer bereits knapp 17.500 "sonstige Entscheidungen" in der Asylstatistik des Innenministeriums vermerkt wurden. In der Regel bedeutet das, dass das Asylverfahren eingestellt wurde, weil die betroffene Person Österreich wieder verlassen hat. "Bei den Einstellungen ist Österreich Europameister", sagt Lukas Gahleitner-Gertz vom Verein Asylkoordination. "Es gibt kein Land, wo mehr Menschen einen Asylantrag stellen und danach weiterziehen."
Dass nicht jeder, der einen Asylantrag stellt, auch tatsächlich in Österreich bleibt, zeigen auch die Zahlen zur Grundversorgung. Gut 83.000 Personen werden aktuell versorgt, vor einem Jahr waren es um 5.000 Menschen mehr gewesen - dazwischen wurden allerdings fast 100.000 Asylanträge gestellt. Der Anteil der ukrainischen Vertriebenen ist dabei allerdings zurückgegangen, jener der Asylwerber und der Asylberechtigten dagegen angestiegen.
Saisonaler Effekt
Auffällig ist, dass aktuell deutlich weniger Menschen in der Bundesbetreuung versorgt werden als noch vor einem Jahr. Waren es im Juni 2022 mehr als 5.000 Menschen, sind es aktuell weniger als 3.000. Als die Bundesbetreuungsagentur mangels Kapazitäten in den Bundesländern vergangenen Oktober Zelte aufstellte, waren mehr als 7.700 Menschen in Bundesbetreuungseinrichtungen untergebracht. Doch zumindest Wien, Tirol, Vorarlberg und Oberösterreich hätten reagiert und zusätzliche Plätze geschaffen, sagt Gahleitner-Gertz. Bei Antragszahlen wie im vergangenen Sommer würde das System aber wohl wieder an seine Grenze geraten.
Derart hohe Zahlen erwartet Kohlenberger heuer allerdings nicht. Zwar sei es in den nächsten Monaten saisonbedingt wieder mit einem Anstieg zu rechnen, eine Situation wie 2022 sei aber unwahrscheinlich.