Die erhöhte Aufmerksamkeit, die der Papst-Rücktritt findet, lenkt ab vom tiefen Problem einer brüchigen Moderne, die die Aufklärung nicht fortsetzt.
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Der Rücktritt des Oberhaupts der katholischen Kirche dominiert seit Tagen die Berichterstattung. Obwohl ich Atheist bin, regen mich X Vorfälle, Maßnahmen, Aktionen und dergleichen von Kirchen, ihren Vertretern und den Gläubigen meist nicht derart auf, dass ich meine, darauf öffentlich reagieren zu sollen. Das wichtige Problem der strikten Trennung von Staat und Kirche ist ungelöst, wiewohl es im Westen weniger aktuell ist als in anderen Kulturen und Ländern, vor allem moslemischen. Ich hätte wohl als nicht religiöser oder ungläubiger Jude in Israel meine Probleme, von höchst intoleranten, barbarischen islamischen Ländern ganz zu schweigen. Auch fände ich mich in prekärer Opposition zu Wladimir Putins Koalitionspolitik mit der russischen orthodoxen Kirche und dem daraus folgenden, besorgniserregenden Niedergang der letzten Reste demokratischer Kultur.
Aber all das hat mit Regierungen, Gesetzeswerken und den vielen Gläubigen zu tun, die als Gläubige die Basis für ihre Führer und deren (Un-)Taten liefern.
Eine Häme gegen den abtretenden Papst würde sich nur ein in untaugliche, oberflächliche Hassäußerungen gegen einen Papiertiger einreihen. Interessanterweise sind die meisten dieser Protestierer oder Verurteiler kleinlaut gegenüber Islamisten, die heute die viel schlimmere Gefahr darstellen, ganz zu schweigen von den Massen der Mitläufer, der Ducker, Schlecker und Kriecher, die die europäische Aufklärung vollends zu kippen scheinen, aufweichen, unterminieren, zerstören.
Religion sollte, wie Philosophie, Privatsache sein. Wäre dies der Fall, existierten viele Probleme nicht als öffentliche. Für mich ist Religion Privatsache. Ich wettere als Atheist nie gegen Religionen oder Gottesglauben. Meine Kritik richtet sich gegen den politischen Aspekt von Kirchen, ihren Vertretern und Gläubigen. Ich wehre mich gegen Anmaßungen. Das ist alles. Würde Religion, ganz gleich welche, wie Philosophie behandelt, gäbe es vielleicht Streitgespräche. Mehr nicht. Es sind Staaten, Regierungen, politische Institutionen, die kritisiert werden müssen, sobald und wenn sie Religion als Politikum einsetzen. Oder wenn Gläubige sich wünschen, dass ihre Religion verbindliches Programm wird, dessen Nichtbeachtung sanktioniert wird. Machen wir uns nichts vor. Ohne Gefolgschaft könnte kein Führer Macht ausüben.
Den Rücktritt des Pontifex als gesellschaftlich relevantes Ereignis zu betrachten, bedeutet da nur, es zu vergrößern, zu stärken. Man ist als vermeintlicher Gegner Teil der Maschinerie. Da bleibe ich draußen und wundere mich über die scheinbaren Probleme, die gewisse Gläubige und gewisse Gegenüber zu haben vorgeben.
Die erhöhte Aufmerksamkeit, die der Papst-Rücktritt findet, lenkt ab vom tiefen Problem einer brüchigen Moderne, die die Aufklärung nicht fortsetzt, sondern sich bequem mit Halbheiten und Lügen durchschlängeln will: gutmenschlich, dumm, pseudo-tolerant, inhuman. Diese Wischiwaschi-Haltung in unserer Opferkultur besorgt mich mehr, insbesondere gegenüber indoktrinären Fundamentalisten jeder Art.