In Bezug auf Gewalt gegen Frauen und Kinder ist in Österreich noch viel zu tun.
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Regelmäßig werden zu Ende des Jahres Zahlen über Gewaltopfer veröffentlicht. Für 2017 erweisen sich diese für weibliche Opfer als besonders besorgniserregend: Mit 77 Morden und Mordversuchen an Frauen im vergangenen Jahr liegt Österreich in Europa an der Spitze. Darüber hinaus ist tagtäglich eine von fünf Frauen körperlicher und/oder sexueller Gewalt ausgesetzt. Laut Kriminalstatistik hatten im Vorjahr fast zwei Drittel aller 42.079 Tötungs-, Körperverletzungs- und sexuellen Übergriffsanzeigen mit Beziehungstaten zu tun. Gewalt durch den eigenen Lebenspartner ist weltweit die Todesursache Nummer eins für Frauen zwischen 16 und 44 Jahren.
Kinder werden verletzt oder als "Waffen" gegen Frauen benutzt
Kinder sind von häuslichen Gewaltakten indirekt betroffen, werden im Eltern- und Beziehungsstreit aber selbst oft Opfer von Gewalt. Sie werden wie ihre Mütter geschlagen, gestoßen; mit scharfen Gegenständen werden ihnen Wunden zugefügt, mit Messern wird auf sie eingestochen. Sie fungieren als "Waffen", um Frauen gefügig zu machen.
Als Mitbetroffene sind sie Teil eines Kreislaufs, der sich bei Nichtbearbeitung immer weiter verstärkt und zu vielfach dramatischen Folgen führt. Sie fühlen sich orientierungslos beziehungsweise traumatisiert, oft selbst mitverantwortlich, langfristig beziehungs- und bindungsgestört.
Österreich war auch aktiv: Studien liegen zum Beispiel vom Familienministerium (2011) und von der Grundrechtsagentur (2014) vor. Von 2014 bis heute wurden wesentliche Maßnahmen etwa im Kontext des "Nationalen Aktionsplans zum Schutz von Frauen vor Gewalt" umgesetzt oder "Gewaltfrei Leben" kampagnisiert. Vielfach sind diese Aktionen abgeschlossen und beendet. Ebenso darf an das Gewaltschutzgesetz (1997) und das Ende der körperlichen Züchtigung in der Erziehung (1989) erinnert werden. 1989 war auch Schluss mit der Straffreiheit von Vergewaltigung in der Ehe.
Österreich unterzeichnete die Istanbul-Konvention zur Bekämpfung der Gewalt gegen Frauen im Jahr 2011. Die Expertengruppe zur "Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt" (Grevio-Gruppe) nannte besondere Herausforderungen für Österreich: Die Maßnahmen sind auf Kurzfristigkeit angelegt, lassen nachhaltige und umfassende Lösungsansätze vermissen und vernachlässigen bestimmte Formen der Gewalt, zum Beispiel an besonders verletzlichen Gruppen (Menschen mit Behinderung oder mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus).
Ausländische Mörder sind in der Minderzahl
Wenn die aktuellen Opferzahlen nun die Früchte der vielfältigen Anstrengungen repräsentieren, müssen wir ernsthaft nachdenken. Die Kriminalstatistik sollte künftig aufschlussreicher, detaillierter, lösungsorientierter gestaltet sein, vor allem in Bezug auf Gewaltprävention. Anstrengungen sind diesbezüglich auch im Bereich der Forschung zu unternehmen, und die zersplitterten Initiativen in den jeweiligen Bundesländern sind zusammenzuführen. Herausforderungen, die mit Schüler- und Jugendlichenpopulationen mit Migrationshintergrund zusammenhängen (zum Beispiel importierte Konfliktkulturen, bestimmte Ehr- und Geschlechtervorstellungen, Zwangsheirat), verlangen besondere Sensibilisierungs-, Trainings- und primärpräventive Maßnahmen, besondere Aufmerksamkeit gegen Gewalt im Internet eingeschlossen.
Das Lernen eines gewalt-, nicht gleich konfliktfreien Zusammenlebens muss von der ersten Bildungseinrichtung an eingeübt und eingefordert werden. Schule ist ein Ort des sozialen Lernens (unter anderem gemäß ihrem Erziehungsauftrag), das an außerschulischen Orten fortgeführt werden sollte. Vielfach wird dieser Aspekt aus dem Schulleben ausgeblendet.
Auch braucht es nach der Wegweisung weiterführende nicht-justizielle Angebote (Therapie, Training), die die Täter zu entsprechenden Maßnahmen verpflichten, um wieder gesellschaftlich und allenfalls familiär integriert zu werden. U-Haft allein ist zu wenig. Angebote (zum Beispiel Beschäftigung, günstiges Wohnen) sind auch für die Zeit nach dem Leben im Frauenhaus zu etablieren.
Gewaltbekämpfung ist keine eindimensionale Angelegenheit. Übrigens: Von den Morden 2017 wurden je vier von EU-Bürgern beziehungsweise von Bürgern aus Drittstaaten verübt, alle anderen von Österreichern.
Keine Gewalttat fällt von heute auf morgen vom Himmel
Der überwiegend häusliche Boden, auf dem Gewaltakte und Morde geschehen, hat auch mit den veränderten Lebensverhältnissen zu tun. Ein Zurück zu traditionellen Rollenvorstellungen mit gleichzeitig instabileren Arbeits- und Beschäftigungsverhältnissen führt in der Praxis sehr oft zu Enttäuschungen. Eine Retraditionalisierung der Rollenvorstellungen, wie wir sie laut Umfragen erleben, führt geradewegs in die falsche Richtung. Männer sollen auch zu ihrem eigenen Schutz nicht zu "alten" Männlichkeitsvorstellungen motiviert werden. Finanzielle Enge, Eifersucht und Überforderung münden, wie die Zahlen zeigen, geradewegs in Aggression und Gewalt.
Keine Gewalttat fällt von heute auf morgen vom Himmel. Menschen sollen durch Wissen gestärkt und ermutigt werden, sich gewaltfrei zu wehren, anzuzeigen, Hilfe zu rufen, Therapien aufzusuchen. Mädchen und Frauen "mit aufrechtem Gang" sind gefragt. Aufklärung und Rationalität statt romantische, vom Bauchgefühl geleitete Märchenvorstellungen über ein gelingendes Zusammenleben sind gefordert.
Gewaltfreiheit beginnt in der Schule
Das Zusammenführen von Informationen, die enge Zusammenarbeit von Behörden mit Präventions- und Schutzeinrichtungen soll in Zukunft verbessert und damit eine effizientere Risikoabwägung erreicht werden. Eine multi-professionelle und multi-institutionelle Praxis soll auf dieser Basis Selbstverständlichkeit werden.
Gewaltfreiheit beginnt in der Schule. In Wien wurden im vergangenen Schuljahr 245 Schüler vorübergehend vom Unterricht ausgeschlossen - wegen disziplinärer Probleme, 278 Suspendierungen wurden ausgesprochen, 258 Anzeigen gemacht - alle Daten konzentriert auf 25 Brennpunktschulen! Was wird aus diesen Schülern?
Schließlich: Was bedeuten die steigenden Zahlen zu sexuellen Belästigungen am Arbeitsplatz? Warten wir nicht auf die nächste Kriminalstatistik!