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András Váradi kämpft gegen die Umwandlung seines Dorfes in eine Orbán-Kultstätte. Damit hat er es bis in die "New York Times" geschafft.
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Felcsút. Auf dem Acker in Felcsút, einer kleiner Gemeinde 50 Kilometer westlich von Budapest, wuchert saftiges Unkraut. Am Horizont wölbt sich die Decke eines monumentalen Fußballstadions, im Hintergrund hämmert es, denn die Sporthalle ist noch nicht fertig. Von einem Gehöft, etwa 100 Meter weit entfernt, ruft jemand wütend, Fotografieren sei verboten. Selbst jede noch so kleine Kamera stößt hier offenbar auf Argwohn. An der Baustelle stehen mehrere Wächter. András Váradi geht auf einen von ihnen zu, gibt ihm diskret ein Buch. "Haben Sie es gemerkt? Ich habe ihn extra vorsichtshalber gesiezt, damit die anderen Wächter nicht merken, dass wir Freunde sind", sagt Váradi später.
Dieses konspirative Treffen in Felcsút ist Teil einer Art Demokratieschule im Kleinen. Provoziert wurde dies durch den berühmtesten Sohn des Ortes, Ungarns Ministerpräsidenten Viktor Orbán, der hier zum großen Teil seine Kindheit verbracht hat. Auf seine Initiative entsteht hier nämlich ein Fußballstadion mit rund 3500 Plätzen - mehr als doppelt so viele, wie das kleine Dorf Einwohner hat. Es ist, als würde sich der Hobby-Fußballer Orbán, der hier als Kind zum ersten Mal den Ball trat, den Traum eines kleinen Jungen erfüllen. Finanziert wird all dies indirekt aus Staatsmitteln, über Spenden, die von der Steuer abgesetzt werden können.
András Váradi ist einer der Gegner des Projekts, zumal Orbáns Familie Felcsút nicht nur zur Fußball-Hochburg ausbaut. Vielmehr soll der Orbán-Clan, zum Teil über Strohmänner, viele Grundstücke in Felcsút kontrollieren. Das sagt Váradi, und dies steht auch in dem Buch, das er hier an die Baustellenwächter verteilt. Geschrieben hat es die Enthüllungsjournalistin Kristzina Ferenczi, die seit mehr als zehn Jahren die Vermögensverhältnisse der Familie Orbán erforscht.
Váradi ist von all dem persönlich betroffen, denn er ist Schafhirte. Wegen der neuen Landverteilung an den Orbán nahestehenden Clan hat er keinen Ort mehr, um seine Tiere auf die Weide zu führen. Früher zählte seine Herde mehr als 300 Schafe, die er auf den Feldern einer alten staatlichen Landwirtschaftsbetriebs im nahe gelegenen Gömböljárás grasen ließ. Ihr Fleisch sei sogar nach Italien exportiert worden, sagt er.
Jetzt musste Váradi, dessen Kampf gegen den übermächtigen Premier selbst der "New York Times" eine Geschichte wert war, seine Herde quasi auflösen. Gerade mal ein gutes Dutzend Schafe sind ihm geblieben. Denn die entscheidenden Teile dieser Weidegründe gehören dem Bürgermeister von Felcsút, Lörincz Mészáros, einem Günstling Orbáns. Mészáros hatte dem Hirten schon 2011, noch vor der offiziellen Entscheidung über die Landverteilung, prophezeit, dass er demnächst seine Herde vergessen kann, weil ihm, dem Bürgermeister, das Land gehören werde.
Vom Installateur zum Millionär
Der Gas-Installateur Mészáros hat es seit Orbáns Amtsantritt zum Multimillionär gebracht, er liegt auf Platz 88 der Reichen-Liste Ungarns. Dabei sollen ihm zahlreiche Staatsaufträge geholfen haben, wie die Journalistin Ferenczi schreibt. Obwohl das Landverteilungsgesetz vorsieht, dass aktive Bauern bei der Zuweisung von Pachtverträgen begünstigt werden sollen, hat der Hirte Váradi nie eine entsprechende Ausschreibung gewonnen. Stattdessen kam der fachfremde Mészáros zum Zuge.
Eine Fußball-Akademie, benannt nach Ungarns Kicker-Legende Ferenc Puskas, hat Orbán bereits in Felcsút ins Leben gerufen. Daran gekoppelt ist der Fußballklub FC Puskas Akadémia, der es - wohl auch dank umfangreicher Spieler-Einkäufe im Ausland - in kurzer Zeit in die erste Liga geschafft hat. Neben dem Stadion soll es demnächst für Felcsút auch eine Eisenbahnverbindung und einen kleinen Flugplatz geben.
Wie die meisten Felcsúter hat auch der Hirte Váradi früher Orbáns Partei gewählt. Doch die neuen Entwicklungen haben ihn politisch sensibilisiert. Geholfen hat dabei auch der regelmäßige Kontakt zur Enthüllungsjournalistin. "Ich habe viel von Krisztina Ferenczi gelernt", schwärmt der 49-Jährige. "Man muss sich weiterentwickeln."