Ernst Ulrich von Weizsäcker im Interview. | "US-Republikaner betreiben Desinformation." | Längere AKW-Laufzeiten? "Darüber kann man reden." | "Wiener Zeitung": In Kopenhagen drohen die Verhandlungen über ein Klimaschutzabkommen zu scheitern. Was wären die Folgen? | Ernst Ulrich von Weizsäcker: Im günstigsten Fall kommt es zum Fortbestand des Kyoto-Abkommens mit einer Fortsetzungsverpflichtung der Staaten. Im ungünstigsten Fall stehen wir nach Kopenhagen für weitere zwei, drei Jahre mit leeren Händen da.
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Das würden allerdings sehr, sehr teure Jahre werden, weil je länger wir ohne globales Klimaschutzabkommen auskommen müssen, desto teurer wird es am Ende werden.
Sie haben die Diskriminierung von Wissenschaftern in den USA beklagt, die die Klimaerwärmung für eine Tatsache erachten. Mittlerweile hat das Pendel in die andere Richtung ausgeschlagen und Klimaskeptiker beklagen dieselben Mechanismen der Meinungsunterdrückung.
Es war für alle akademisch gebildeten Menschen in den USA in der Ära von Reagan bis Bush Junior ein ganz großes Problem, dass man intellektuelles Denken zum Teil verachtet, zum Teil sogar behindert hat. Mit Barack Obama hat sich das geändert, er hat viele hervorragende Intellektuelle in sein Team geholt.
Gleichzeitig aber gibt es US-Umfragen, laut denen in den letzten zwölf Monaten die Zahl der Bürger, die sich wegen der Klimaerwärmung Sorgen machen, von 71 auf 57 Prozent abgesackt ist. Und nur noch 28 Prozent der deklarierten Republikaner glauben, dass hier überhaupt ein Problem vorliegt. Das ist für mich ein Zeichen flächendeckender Verdummung.
Dabei sind doch auch die US-Medien voll mit Stories über den Klimawandel.
Was die großen Qualitätsmedien angeht, da haben Sie recht, aber im Heartland of America findet sich darüber keine Zeile, das ist Fox-Land (nach dem konservativen, Obama-kritischen TV-Sender Fox News; Anm.). Hier gibt es nur Nachrichten über Baseball. Der kürzliche Hackerangriff auf den Mailverkehr von Umweltwissenschaftern, die sich angeblich über manipulierte Daten unterhalten haben, wurde dagegen breitgetreten. Das ist aktive Desinformationspolitik der Republikaner.
Kritiker wenden ein, dass mit den gigantischen Summen, die für eine Wende in der Klimapolitik nötig sind, kurzfristig Sinnvolleres geschehen könnte - etwa im Kampf gegen Hunger und Krankheiten.
Das ist exakt die Position von Björn Lomborg und seinem sogenannten Kopenhagener-Konsensus. Lomborg ist ein Däne, der damit Karriere gemacht hat, dass er alles nur erdenklich Mögliche zusammenträgt, was gegen die Vernunft spricht - mit dem einzigen Ziel zu verunsichern. Die Behauptung, dass ein Kurswechsel so teuer sei, kommt von denjenigen, die sich als Verlierer in einem weitgehend CO2-freien Wirtschaftswelt sehen: Den Vertretern der Kohle- und Erdölindustrie.
Mit etwas mehr gesundem Menschenverstand und technologischem Wissen kommt man dagegen zu einem anderen Ergebnis. Der Umbau von Altbauten in Richtung Passivhausstandard ist etwa für den Eigentümer rentabel, weil einfach die Energiekosten massiv sinken. Das ist aber nur ein Beispiel - es gibt ein riesiges Potenzial an rentablen Klimaschutzmaßnahmen.
* Was sind dann für Sie die unrentablen?
*Darunter fällt für mich etwa der Bau neuer Atomkraftwerke, erfordern diese doch lange Wartezeiten und enormen Kapitaleinsatz. Auch bei Photovoltaik habe ich meine Zweifel.
Wie steht es mit der Verlängerung der Laufzeiten bestehender AKW, ein in Deutschland heißes Thema?
Darüber kann man sicher vernünftig reden, ich war nie ein Vorkämpfer für einen raschen Ausstieg. Man muss aber wissen, dass eine längere Laufzeit einer Lizenz zum Gelddrucken für die AKW-Betreiber gleichkommt. Wenn man jedoch je ein Drittel der Erträge für das allgemeine notleidende Budget, für Investitionen in Effizienzsteigerungen sowie für die Betreiber selbst aufteilt, könnte eine längere AKW-Laufzeit vielleicht ganz vernünftig sein.
Bei jedem erdenklichen Zusammentreffen europäischer Spitzenpolitiker wird derzeit über einen Umbau des Steuersystems gesprochen. Rechnen Sie persönlich mit einer baldigen Einführung von Finanztransaktionssteuer und/oder Ökosteuer?
Das ist schwer zu prognostizieren, aber wenn vor 15 Jahren jemand behauptet hätte, dass sich ein EU-Gipfel ernsthaft mit der Einführung der Tobinsteuer befasst, dann hätte man denjenigen ausgelacht. Die Befürworter argumentieren mit zwei Motiven: Die einen suchen eine neue Einnahmenquelle für den Staat oder die Entwicklungsländer, die anderen wollen die Entstehung neuer spekulativer Blasen auf den Märkten unterbinden. Ich sehe diese Debatte als absolut rationale Entwicklung - die Tobinsteuer wird in zwanzig Jahren ganz selbstverständlich eingeführt sein.
Zwanzig Jahre sind allerdings eine lange Zeit.
Aber bitte! Ich verstehe ja, dass Sie als Journalist einer Tageszeitung vor allem auf den nächsten Tag fixiert sind. Bedenken Sie jedoch, dass die Umstellung auf das Prinzip der Mehrwertsteuer vom alten System der Umsatz steuer fast dreißig Jahre benötigte.
Die Skepsis vieler Bürger beruht auf der Erfahrung, dass die Gesamtbelastung für die Steuerzahler immer gestiegen sind und Versprechen, etwa den Faktor Arbeit zu entlasten, verpufften.
Ich kann diese Skepsis ganz gut verstehen, im Fall der Einführung der Ökosteuer in Deutschland ist es aber sehr wohl zu einer Entlastung in anderen Bereichen gekommen.
Zur PersonErnst Ulrich von Weizsäcker,geboren 1939 in Zürich, studierte Chemie und Physik in Hamburg. Zuletzt Forschungen im Bereich Umwelttechnologien und Klimapolitik. Von 1998 bis 2005 für die SPD Mitglied des Bundestags. Er ist der Sohn des Physikers Carl Friedrich von Weizsäcker und Neffe des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker.
Siehe auch:Das Spiel mit offenen Karten beginnt
+++ Gastkommentar von Alexander Van der Bellen
+++ Gastkommentar von Wolfgang Pekny
+++ Verschmutzungsrechte zum Sparpreis
+++ Interview mit der WWF-Mitarbeiterin Tara Rao