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Ein Schelm, wer da an Wahlkampf denkt

Von Vilja Schiretz

Politik

Von Neuwahlen will Türkis-Grün momentan nichts wissen. Trotzdem bringen sich die Parteien schon jetzt in Stellung.


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Wahlkampf? "Nein überhaupt nicht, um Gottes willen!" Alleine ob der Frage zeigte sich Finanzminister Magnus Brunner fassungslos. Die ÖVP hatte zu einem Pressetermin vor einem "Zukunftsraum-Dialog" geladen, neben Brunner lobten auch Verteidigungsministerin Klaudia Tanner und Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm die Arbeit der Partei am "Zukunftsplan" des Bundeskanzlers. Es gehe darum, zu zeigen, was die Schwerpunkte der Volkspartei sind, betonte Brunner. Denn: "Jede Partei sollte sich intensiv mit Inhalten und Zukunftsvisionen beschäftigen."

Nicht nur die Partei von Bundeskanzler Karl Nehammer ist zuletzt bemüht, solche Schwerpunkte und Visionen stärker nach außen zu tragen. Auch der Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) ist aktuell auf Tour durch Österreich. Die "Lass uns reden Tour", führte ihn erst nach Graz, am Donnerstag auch nach Wien.

Fortschritte beim Klima und "Rettung" der Justiz

Ob das Wahlkampf sei, sei er bereits gefragt worden, sagte der Vizekanzler eingangs. Aber es gehe ihm vielmehr darum, "ein Versprechen einzulösen". Denn nach dem geglückten Wiedereinzug der Grünen in den Nationalrat habe er der Basis und der Wählerschaft versprochen, weiterhin im Dialog zu bleiben. Noch mehr sei er aber auf Tour, "weil’s mir wirklich taugt", so Kogler. In den ersten Jahren von Türkis-Grün habe die Pandemie den Austausch erschwert.

Nun konnten sich aber knapp 200 Interessierte im Wiener Volkskundemuseum versammeln, anmelden konnte sich jeder. Im Publikum erkannte Vizekanzler Kogler aber vor allem "viele grüne Gesichter".

Und wie ein Versuch, die grüne Basis nach dreieinhalb Jahren Regierungsarbeit wieder auf ihre Grundwerte einzuschwören, klang auch Koglers halbstündige Rede zu Beginn der Veranstaltung. Ja, es sei nicht immer einfach mit dem Koalitionspartner, doch dank den Grünen in der Regierung sei "beim Klimaschutz so viel weitergegangen wie 30 Jahre davor nicht", unter Justizministerin Alma Zadic sei die "Rettung der Justiz" gelungen.

Aus dem Publikum gibt es dafür Lob, aber auch Kritik, etwa am immer noch fehlenden Klimaschutzgesetz, der Corona-Politik der Bundesregierung und der Einstellung der "Wiener Zeitung". Kogler versuchte nicht, nur zu beschwichtigen, sondern auch neue Themen zu setzen. Das einer "Millionärssteuer im Erbschaftsbereich" etwa. "Man kann Konzepte dafür entwickeln, auch wenn man einen Koalitionspartner hat, mit dem das nicht geht", meinte Kogler. Denn es gebe ja auch eine Zeit nach Türkis-Grün.

ÖVP besteht auf Fortsetzung der Koalition

Öffentlich nachdenken über die Zeit nach der Koalition - das tut die ÖVP spätestens seit März. Nehammer lud damals zu einer "Rede zur Zukunft der Nation", eineinhalb Stunden lang sprach er vor versammelter ÖVP-Prominenz über die zentralen Standpunkte und Ziele der Volkspartei - darunter auch vieles, bei dem die Grünen nicht mitkönnen. Da ging es etwa um eingeschränkte Sozialleistungen, Vorwürfe, Klimaaktivisten würden "Untergangsapokalypsen hinaufbeschwören", oder die Abschaffung der Grunderwerbssteuer beim ersten Eigenheim. Letzteres forderte die ÖVP im Gegenzug zu der von den Grünen angestrebten Mietpreisbremse. Am Ende scheiterten beide Vorhaben - einer der großen Rückschläge für Türkis-Grün.

Folgend auf die Kanzlerrede begann die ÖVP-Parteiakademie mit der Erarbeitung eines "Zukunftsplans", begleitet von mehreren Kampagnen. "Der Kanzler arbeitet für Österreich, die Opposition streitet", war etwa auf einem der im Frühling präsentierten Sujets zu lesen. Vergangene Woche präsentierte Generalsekretär Christian Stocker eine neue Online-Kampagne. Die Botschaft ist dabei ähnlich: "Auf unseren Kanzler ist Verlass."

Aber ist das Wahlkampf? Stehen Neuwahlen bevor? Stocker verneinte beides vehement. "Für die ÖVP steht außer Frage, dass wir diese Legislaturperiode zum vorgesehenen Ende bringen." Es gebe noch viel zu tun, beteuerte der Generalsekretär.

Umfragen zufolge hätten die Regierungsparteien bei einem Urnengang zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch nicht viel zu gewinnen. Die ÖVP sahen Meinungsforscher in den vergangen Monaten meist zwischen 20 und 25 Prozent, also deutlich unter den 37,5 Prozent von 2019. Und auch die Grünen lagen zuletzt stets bei gut zehn Prozent, unter dem Rekordergebnis bei der letzten Nationalratswahl. Profitieren würde von Neuwahlen derzeit vor allem die FPÖ, die in Umfragen an der 30-Prozent-Marke kratzt.

Geht es nach den Freiheitlichen, wären Neuwahlen ohnehin längst überfällig. Und auch, wenn zahlreiche entsprechende Anträge der Opposition im Parlament bisher keine Mehrheit fanden, geht auch die FPÖ vorsorglich auf Werbetour. Im Zentrum soll dabei die Idee einer "Festung Österreich" stehen, Parteichef Herbert Kickl startete bereits gemeinsam mit Dominik Nepp, Chef der Wiener Freiheitlichen, eine entsprechende Online-Petition. Für die kommenden Wochen kündigte FPÖ-Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer Pressekonferenzen mit allen FPÖ-Landesparteiobleuten zum selben Thema an. Kickl selbst will Ende Juni eine Großdemonstration gegen ein Asylquartier in Leoben anführen.

Babler will durch alle Bezirke touren

Noch mehr hat sich SPÖ-Vorsitzender Andreas Babler für den Sommer vorgenommen. Schon während seiner "Basistour" im Zuge des parteiinternen Wahlkampfes habe er 10.000 SPÖ-Mitglieder getroffen. Noch vor seiner Wahl zum Vorsitzenden kündigte er an, die Tour über die Sommermonate fortsetzen zu wollen - und dabei sämtliche österreichische Bezirke abzuklappern. Freilich, für Babler geht es auch darum, die Scherben der vergangenen Monate aufzusammeln und die zuletzt tiefgespaltenen Genossen hinter sich zu einen. Doch dürfte auch er bereits auf die kommende Nationalratswahl schielen - immerhin forderte auch Babler kurz nach Amtsantritt einen vorgezogenen Urnengang.

Lange angekündigte Vorhaben vor Beschluss

Fehlen noch die Neos. Diese agierten bisher zurückhaltender, am Sonntag wird aber auch Parteichefin Beate Meinl-Reisinger bei der Mitgliederversammlung eine "Grundsatzrede" halten. Im Zentrum stehen die Themen Wohlstand, Wirtschaftsstandort, Bildung und Umweltschutz. Auch ist geplant, beim Parteiprogramm nachzuschärfen, sich klarer vom politischen Mitbewerb abzugrenzen. Aber ist das Wahlkampf? Darauf angesprochen, verweist ein Sprecher auf die Regierung, die kaum noch arbeiten würde.

Doch diese war in den vergangenen Tagen bemüht, Tatendrang und Einigkeit zu demonstrieren. Nachdem in den Wochen davor kaum gewichtige Beschlüsse den Ministerrat passiert hatten, wurden vergangenen Mittwoch gleich 28 Ministerratsvorträge abgenickt, darunter etwa die lange angekündigte Verschärfung des Korruptionsstrafrechts, ein neues Krisensicherheitsgesetz und die Novelle des ORF-Gesetzes. Diese könnten damit noch vor der Sommerpause im Nationalrat beschlossen werden. Noch hält man also an der - wie von beiden Partnern immer wieder betont - nicht immer einfachen Zusammenarbeit fest. Wie lange noch, wird sich weisen. Den Zeitpunkt, das eigene Profil zu schärfen, Forderungen aufzustellen und die Basis auf Linie zu bringen, sehen sämtliche Parlamentsparteien aber offenbar gekommen.