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Der slowakische Außenminister Miroslav Lajcak im Interview über die Ukraine-Krise und den Standpunkt der Slowakei.
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"Wiener Zeitung": Wie lauten Ihre Vorschläge zur Lösung der Ukraine-Krise?
Miroslav Lajcak: Die Ukraine ist ein Weckruf oder mehr noch: ein Schlag ins Gesicht für Europa, weil wir auf einen so ernsten Konflikt auf europäischem Boden nicht vorbereitet waren. Wir müssen alles tun, um eine politische Lösung zu finden. In der jetzigen Situation ist es sehr wichtig, dass wir als Europäische Union hinter unseren Prinzipien stehen. Die territoriale Integrität der Ukraine wurde verletzt, internationales Recht wurde verletzt, darüber gibt es keine Zweifel. Es ist wichtig, klarzumachen, dass wir nicht gegen jemanden kämpfen, sondern für unsere Prinzipien kämpfen: Für den Respekt vor internationalem Recht, für territoriale Integrität, international anerkannten Grenzen und die Prinzipien der Demokratie.
Dazu hat die EU den Weg der Sanktionen gewählt.
Sanktionen sind schmerzhaft. Es ist nicht einfach, einen globalen Akteur wie Russland zu sanktionieren. Die EU griff erst zu Sanktionen, als alle Versuche, einen politischen Prozess einzuleiten, scheiterten. Es ist wichtig festzuhalten, dass Sanktionen ein Werkzeug und kein Ziel sind. Das ist auch meine Warnung an alle, die nach weiteren Sanktionen rufen: Wir müssen den Prozess kontrollieren, wir müssen wissen, was der nächste Schritt ist. Wir dürfen nicht in eine Situation kommen, nicht mehr zu wissen, was als Nächstes zu tun ist. Das geschah in der Vergangenheit. Für mich sind die Sanktionen dann erfolgreich, wenn sie uns helfen, einen politischen Prozess zu starten.
Die Slowakei ist ein Nachbarland der Ukraine. Wie betreffen die Sanktionen Ihr Land?
Aus mehreren Gründen - unserer geografischen Lage, unserer Abhängigkeit von russischem Öl und Gas - sind wir unter den am stärksten verwundbaren Mitgliedern von EU und Nato. Wir haben die Entscheidung für die Sanktionen mitgetragen, aber für uns ist wichtig, dass jeder dazu bereit ist, die Schmerzen zu teilen und die Konsequenzen von Sanktionen zu tragen. Wir dürfen nicht in eine Situation kommen, wo jeder nur solche Sanktionen fordert, die ihm selbst nicht schaden. Gleichzeitig helfen wir der Ukraine. Am 2. September öffnen wir die Rückfluss-Gasleitung, was den Rückfluss von bis zu 40 Prozent des ukrainischen Gaskonsums erlauben wird. Das ist sehr bedeutend.
Polen gilt innerhalb der EU in der Diskussion um Sanktionen als Ukraine-freundlich, Ungarn als pro-russisch. Wo steht die Slowakei da zwischen ihren Nachbarländern?
Es ist immer schwierig, eine Liste von Ländern aufzustellen. Wir haben eine gemeinsame Position aller 28 EU-Länder. Und dann gibt es diverse Äußerungen. Sehr oft unterzeichnen jene, die besonders scharfe Aussagen machen, Verträge mit Russland. Wir sind nicht durch scharfe Äußerungen gegenüber Russland aufgefallen, haben der Ukraine aber gleichzeitig ermöglicht, 40 Prozent ihres Gasbedarfs zu bekommen. Unsere Investition hat das ermöglicht, dafür haben wir kein Geld von der EU-Kommission oder sonst irgendjemandem bekommen. Jeder hat seine eigene Geschichte und Emotionen mit Russland. Wir können uns nicht gegenseitig für diese oder jene gemeinsame Geschichte mit Russland beschuldigen. Ich glaube, die zentraleuropäischen Länder Österreich, Tschechien und die Slowakei haben eine ähnliche Sicht auf die aktuelle Situation und auf das, was nun notwendig ist.
Die Ukraine hat große wirtschaftliche Probleme. Wie kann die EU der Ukraine helfen?
Ich befürchte, dass viele europäische Politiker - aus welchen Gründen auch immer - mitgeholfen haben, bei den Ukrainern größere Erwartungen zu wecken, als realistisch erreichbar sind. Viele, die von einer europäischen Zukunft für die Ukraine gesprochen haben, haben ein Bild gezeichnet, als ob es keine Notwendigkeit für Reformen gäbe, als ob Europa morgen bereit für eine Erweiterung um die Ukraine wäre. Das ist keine verantwortungsvolle Politik. Die Slowakei weiß, wie schmerzhaft es ist, sich selbst zu reformieren und die Bedingungen für eine EU-Mitgliedschaft zu erfüllen. Wir sind da, um der Ukraine zu helfen, aber natürlich muss der Großteil der Arbeit in der Ukraine gemacht werden.
Auch wenn es aufgrund aktueller Ereignisse unrealistisch erscheint: Es gibt Gespräche über eine breitspurige Eisenbahnverbindung von China in die EU, an der die Slowakei und Österreich Interesse haben. Gibt es abgesehen von den aktuellen Problemen in der Ukraine Potenzial für ein solches Projekt?
Dieses Thema wurde von der falschen Seite angegangen. Es wurde ohne eine richtige Basis bereits zu viel gesagt. Als Basis bräuchte es eine Machbarkeitsstudie, um zu sehen, ob so ein Projekt profitabel wäre und von wem und wie es finanziert werden kann. Wir sprechen da von Milliarden-Eurobeträgen. Erst wenn wir eine ernsthafte Analyse haben, sollen wir eine politische Entscheidung treffen.
Innerhalb der EU wird im Vorfeld des Gipfels am Samstag viel über Kandidaten für die nächste Kommission gesprochen. Ihr Name wird dabei regelmäßig genannt. Werden Sie bald in Brüssel arbeiten?
Die Auswahl für EU-Topjobs ist ein komplexer Prozess, deshalb raubt mir diese Entscheidung nicht den Schlaf. Namen müssen in gewisse Muster passen. Ich vertraue darauf, dass es eine gute Kommission geben wird.
Sie werden auch als Kandidat für den nächsten UNO-Generalsekretär gehandelt. Ihr Name scheint derzeit überall aufzutauchen.
Das schadet zumindest nicht (lacht, Anm.). Ich bin komplett entspannt, was diese Gerüchte betrifft, und mache meinen Job.
Was raubt Ihnen dann den Schlaf, macht Ihnen abgesehen von der Situation in der Ukraine Sorgen?
Neben den aktuellen Krisen, die uns beschäftigen, sind es die beunruhigenden Trends in der EU, die das politische System an sich in Frage stellen. Die selbsternannten Propheten, die Nationalismus, Fremdenhass und Selbstisolierung predigen, sind sehr gefährlich. Es ist ebenso ein gefährlicher Weckruf für Europas Politiker, dass sie den Kontakt zu den Bürgern verlieren. Sie verlieren die Fähigkeit, mit den Bürgern zu sprechen. Das ist eine sehr große Herausforderung für Europa.
Miroslav Lajcak ist Außenminister und Vizepremier der Slowakei. Der 51-jährige parteilose Diplomat nahm an der Tagung "1814, 1914, 2014" des Salzburg Global Seminars und des International Peace Institutes in Salzburg teil.