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Ein schleichender Exodus

Von Hannes Schopf

Reflexionen

Die Islamische Republik Iran erkennt zwar alle religiösen Minderheiten rechtlich an, de facto werden aber Nicht-Muslime benachteiligt und verfolgt.


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Auf dem Weltverfolgungsindex 2017 des überkonfessionellen Hilfswerks Open Doors nimmt der Iran den achten Platz ein und gehört damit zu jenen Ländern, in denen Christen einem sehr hohen Maß an Verfolgung ausgesetzt sind. Die Hoffnung, dass sich nach Abschluss des Atomabkommens mit dem Iran im Juli 2015 die Situation in dieser Beziehung entspannen würde, war trügerisch. Praktisch stellt fast jede christliche Aktivität eine Übertretung des Gesetzes dar, besonders dann, wenn sie in der persischen Sprache Farsi stattfindet. Die Regierung hat ihre Anstrengungen verstärkt, Farsi-sprachige Christen aus dem Land zu vertreiben.

Ende 2015 wurde etwa Farshid Fathi Malayeri nach fünf Jahren Haft vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen. Im Zuge einer Verhaftungswelle wurde er am 26. Dezember 2010 mit 68 anderen Christen wegen "Handlungen gegen die nationale Sicherheit" festgenommen und zu sechs Jahren Haft verurteilt. Der Hintergrund: Fathi war vom Islam zum Christentum konvertiert und es wurde ihm noch dazu vorgeworfen, unter Muslimen missioniert zu haben.

Fathi durfte nach seiner Freilassung den Iran verlassen. Doch der Traum, mit seiner Frau und den beiden Kindern, die seit 2013 im kanadischen Exil sind, ein Leben in Freiheit zu führen, ging nicht in Erfüllung. Die Zeit im Gefängnis war eine zu große Belastung für die Ehe - sie wurde geschieden.

Der "Gottesstaat"

Aber wieso gefährden persönliche und religiöse Freiheiten die nationale Sicherheit? Seit der Islamischen Revolution 1979 ist der Iran ein Gottesstaat, der offiziell als Islamische Republik firmiert, deren gesamtes Staats- und Gesellschaftssystem auf dem Islam und der Scharia gründet. Da gibt es keine Trennung von Staat und Religion - und auch keine Gewaltenteilung. Über allem, damit auch über den gewählten Politikern, stehen das Oberhaupt der Islamischen Revolution, Ayatollah Ali Khamenei, und der "Wächterrat". Religion und Staat bilden eine Einheit, Koran und Sunna setzen der Gesetzgebung Schranken.

Zwar genießen laut iranischer Verfassung alle Menschen den gleichen Schutz des Gesetzes, aber eben nur "in Übereinstimmung mit islamischen Kriterien". Und Staatsreligion ist der schiitische Islam. Eine Religionsfreiheit, die den einzelnen Menschen in seinem religiösen und weltanschaulichen Glauben schützt, ihm gar erlaubt, sich einer anderen Glaubensgemeinschaft zuzuwenden, gibt es nicht. Und das, obwohl sich der Iran mit der Unterzeichnung des "Internationalen Paktes über bürgerliche Rechte" zu Schutz und Achtung der Religionsfreiheit verpflichtet hat.

Von den heute rund 80,5 Millionen Einwohnern sind 99 Prozent Muslime, davon 90 Prozent Schiiten - der Iran ist das wichtigste Zentrum der Zwölfer-Schia - und etwa neun Prozent Sunniten. Auf alle religiösen Minderheiten zusammen entfällt somit insgesamt nur knapp ein Prozent der iranischen Bevölkerung.

Dabei zählt der Iran religionsgeschichtlich zu den interessantesten Ländern der Welt. Die älteste iranische Religion, die sich etwa im siebten bis vierten Jahrhundert v. Chr. im persischen Kulturraum ausgebreitet hat, und die seit dem Großreich der Achämeniden (559-330 v. Chr.) bis in unsere Tage hinein überlebt hat, ist der monotheistische Zoroastrismus, eine der ältesten Offenbarungsreligionen der Erde.

In Zarathustras religiöser Lehre ist Ahura Mazda - wohl eine Verschmelzung verschiedener früherer indo-iranischer Gottheiten - der Schöpfergott des Universums, der Himmel, Erde und den Menschen erschaffen hat. Damit verknüpft ist der Glaube an die Erlösung der Menschen, wenn sie mit guten Gedanken, guten Worten und guten Taten leben sowie der Glaube an die Ewigkeit der Seele und an die Belohnung für gute Taten. Und auch der religiös-moralische Dualismus hat darin seinen Ursprung: Der Mensch selbst hat die freie Wahl zwischen dem guten und dem bösen Weg.

In der "Babylonische Gefangenschaft", aus welcher der Achämeniden-König Kyrus der Große 539 v. Chr. die Juden befreite, wurde jedenfalls die jüdische Exilgemeinde mit diesen religiösen Ideen vertraut, so mit dem monotheistischen Gedanken und dem Konzept der persönlichen Verantwortung. In die Zeit von Kyrus - also bis in das 6. Jh. v. Chr. - geht auch die Ansiedlung jener freigelassenen Juden auf persischem Gebiet zurück, die nicht nach Palästina heimkehren wollten.

Mit der Ausbreitung des Christentums im Vorderen Orient entwickelten sich auch in Persien ab der "hellenistischen" Zeit der Parther-Dynastie christliche Gemeinden, so etwa solche der armenischen und assyrischen Christen.

Zoroastrier, Juden und Christen - diese drei monotheistischen "Schriftreligionen" der vorislamischen Ära in Persien - werden heute in der iranischen Verfassung als religiöse Minderheiten anerkannt, für die bei Parlamentswahlen, bei denen insgesamt 290 Mandate vergeben werden, fünf Parlamentssitze in jedem Fall reserviert sind. Das ist nun die eine Seite.

Die andere Seite

Obwohl als religiöse Minderheiten anerkannt, dürfen deren Gläubige ihre Religion lediglich ausüben, solange sie nicht missionieren oder gegen die islamische Ordnung verstoßen. Beispielsweise gilt die islamische Kleiderordnung - einschließlich Kopftuchverpflichtung - für sie ebenso wie die Geschlechtertrennung bei öffentlichen Zusammenkünften. Der Druck von christlichen Schriften, vor allem Publikationen in Farsi, also für Iraner verständlich, sowie Gottesdienste in dieser Sprache sind verboten. Mischehen mit Muslimen sind ausgeschlossen.

Seit 2008 gilt auch gesetzlich, dass der Übertritt vom Islam zu einer anderen Religion mit dem Tod bestraft werden kann: Der Abfall vom islamischen Glauben (Apostasie) ist Hochverrat. Gleich zwei Ministerien haben ein waches Auge auf religiöse Aktivitäten. Da kann es zu spürbaren Einschränkungen kommen.

Viele Angehörige religiöser Minderheiten - heimatliebende Iranerinnen und Iraner - sind angesichts dieser Umstände bereits ausgewandert, darunter auch viele junge Gläubige: weil es für sie nicht zuletzt zunehmend schwer wird bzw. unmöglich ist, Ehepartner zu finden, ohne mit dem islamischen Recht in Konflikt zu geraten. Der Exodus geht weiter.

Verlässliche Zahlen über die Zugehörigkeit zu den kleinen Religionsgemeinschaften gibt es kaum. Die Angaben zu den Zoroastriern schwanken zwischen 25.000 und 30.000, wobei große Teile der Glaubensgemeinschaft bereits seit dem Vordringen des Islam nach Indien ausgewandert und dort als Parsen bekannt sind.

Mit der Islamischen Revolution 1979 hat sich die Lebenssituation der Anhänger dieser alt-persischen Religion deutlich verschlechtert. Zoroastrier erleiden als Nicht-Muslime zahlreiche berufliche Benachteiligungen. Für sie ist es schwer, einen Arbeitsplatz im öffentlichen Dienst zu finden, für höhere Bildungsabschlüsse werden sie oft nicht zugelassen.

Lebten in den siebziger Jahren noch rund 100.000 Juden im Iran, werden es heute etwa 10.000 sein. Der Vorwurf, Spione für Israel und sein "zionistisches Regime" zu sein, hat zu massiven Abwanderungen geführt. Die feindselige Stimmung hat nicht zuletzt Mahmut Ahmadinejad mit seiner Holocaust-Leugnung geschürt. Die Juden sind zwar als Religionsgemeinschaft anerkannt, aber trotzdem keine gleichberechtigten Bürger.

Präsident Hassan Rohani, der sich seit seinem Amtsantritt im August 2013 immer wieder von den anti-israelischen Äußerungen seines Vorgängers Ahmadinejad distanziert hat, hat auch Zeichen guten Willens gesetzt: Dem jüdischen Krankenhaus in der Hauptstadt Teheran hat er 2014 - anlässlich des 35. Jahrestages der Islamischen Revolution - umgerechnet knapp 150.000 Euro gespendet. Rohani wollte damit ein Zeichen gegen religiöse Diskriminierung in seinem Land setzen. In dem Krankenhaus werden auch Nichtjuden behandelt und viele Mitarbeiter sind Muslime.

Die Zahl der Christen - darunter nach vatikanischen Angaben 6000 Katholiken - wird auf rund 107.000 geschätzt, von Konvertiten, die in Hauskirchen im Untergrund leben müssen, gibt es nicht einmal Dunkelziffern. Klar: Denn die Verfassung sieht für Muslime keine Möglichkeit vor, ihre religiöse Überzeugung nach eigener Vorstellung zu wählen, zu konvertieren oder aufzugeben. Protestantische Gläubige und Evangelikale Bewegungen sind durch diese Rahmenbedingungen ebenso unter Druck, immer bedroht, bespitzelt oder verraten zu werden. Es ist ein Leben in ständiger Angst. Vielen Konvertiten bleibt keine andere Wahl, als das Land zu verlassen.

Der sunnitische Islam, dem vor allem Turkvölker und Kurden angehören, wird einigermaßen respektiert und den Anhängern steht es frei, ihre Glaubensform zu praktizieren. Allerdings haben die iranischen Behörden etwa keine sunnitischen Moscheebauten in Teheran erlaubt. Offensichtlich soll der schiitischen Staatsreli-
gion auch keine islamische "Konkurrenz" erwachsen.

Die "Abgefallenen"

Daher ist auch die Bahai-Religion selbst im privaten Bereich in ihrem Ursprungsland gänzlich verboten, weil die Anhänger dieser monotheistischen Offenbarungsreligion - eigentlich die größte religiöse Minderheit im Iran - als "Abgefallene" vom Islam gelten. Diese Religion ist im 19. Jahrhundert aus dem schiitischen Islam hervorgegangen und wurde in Teheran gegründet. Da sie jedoch nach dem Tod des Propheten entstanden ist, wird ihr keinerlei Existenzberechtigung zuerkannt und ihre Anhänger werden diskriminiert und unterdrückt.

Schließlich: Über die Jesiden im Iran sucht man vergeblich gesicherte Angaben. Sie müssen ihre Religionszugehörigkeit mehr oder minder geheim halten und leben ihren Glauben - vieles deutet darauf hin, dass er aus der persischen Mythologie, speziell aus dem Mithraskult, hervorgegangen ist - in Anonymität. Durch ihre strikte Endogamie, also Eheschließung nur innerhalb der eigenen Gemeinschaft, ist der Weiterbestand als Glaubensgemeinschaft, die ausschließlich auf mündlicher Überlieferung beruht und die nicht missioniert, im Iran gefährdet. Im Irak haben bekanntlich die Massaker der Terroristen des Islamischen Staates der Existenz der zumeist nordkurdisch sprechenden jesidischen Minderheit schon 2014 schwer zugesetzt.

Hannes Schopf ist Journalist, war von 1984 bis 1994 Chefredakteur der Wochenzeitung "Die Furche", danach Leiter der Öffentlichkeitsarbeit des Verbandes Österreichischer Zeitungen (VÖZ) und ist derzeit Ombudsmann des Österreichischen Presserates.